Selten war nach Anbruch der Urlaubssaison auf der politischen Bühne Europas noch so viel Hektik wie derzeit. In der EU geht die Angst um, dass die Krise der Euro-Zone im Laufe des August eskaliert, ohne dass man wirklich handlungsfähig ist.
von Norman Hanert
Ein US-Finanzminister, der seinen deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble im Urlaubsdomizil auf Sylt besucht, und eine deutsche Kanzlerin, die zwischen Bergwanderungen in Südtirol mit Frankreichs Präsident François Hollande telefoniert: Im Gegensatz zu dem sonst üblichen „Sommerloch“ sind derartige Meldungen in diesem Jahr keine Seltenheit. Kurz nach Beginn der offiziellen Sommerpause sind in den Hauptstädten der Euro-Mitgliedsstaaten und bei der Europäischen Zentralbank (EZB) noch einmal fieberhafte Aktivitäten ausgebrochen.
Vor allem in Madrid und Rom geht die Angst vor einem Szenario um, das wie folgt aussehen könnte: Die finanzielle Lage Spaniens und Italiens spitzt sich im Laufe des August weiter zu, gleichzeitig sind wegen der Sommerpause hochrangige Politiker der EU-Mitgliedstaaten und Zentralbankenchefs zumindest nicht kurzfristig mobilisierbar. Erstmalig könnte dann das scheitern, was bereits mehrfach im Laufe der Euro-Krise praktiziert wurde, wenn die Lage kritisch wurde: Auf einem Krisengipfel wird im Hau-Ruck-Verfahren eine scheinbare Lösung verkündet und die Märkte beruhigen sich wieder – zumindest vorübergehend.
Diese Art von Krisendiplomatie wird in den kommenden Wochen tatsächlich schwierig auf die Beine zu stellen sein. Die EU-Finanzminister werden sich regulär erst wieder am 13. September auf einem G20-Gipfel in Mexico treffen. Bei der EZB-Spitze steht erst für den 6. September wieder ein Treffen auf dem Terminplan. Parallel zum Anbruch der Urlaubssaison ist erkennbar, dass die Lage in der Euro-Zone immer mehr eskaliert.
Mit Sorge wird vor allem der 20. August betrachtet. Griechenland muss dann eine Anleihe über 3,1 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen. Vom neuerlichen „Selbstdrucken“ der Summe per „Liquiditäts Nothilfe“ der griechischen Zentralbank bis zu einem erneuten Schuldenschnitt scheint momentan alles möglich.
Zu einem regelrechten Pulverfass droht sich allerdings Spanien zu entwickeln. Die neuesten Sparbeschlüsse der Regierung von Mariano Rajoy über 65 Milliarden Euro hatten Massenproteste in 80 Städten zur Folge. Gegen die Kürzungen demonstrieren mittlerweile selbst Polizisten, Richter und Militärangehörige. Gleichzeitig melden gegenüber Madrid immer mehr Regionen Bedarf an Finanzhilfen an. Mit anderen Worten: Die bankrotten Regionen hoffen vom bankrotten spanischen Staat gerettet zu werden. Aber auch die Lage der Banken könnte als Auslöser der nächsten Krisenstufe auf der iberischen Halbinsel taugen. Mit Rekordausleihungen von 365 Milliarden Euro im Juni ist der spanische Bankensektor nach wie vor der größte Kreditnehmer bei der EZB. Entsprechend skeptisch sind inzwischen die Prognosen für Spanien.
Die in europäischen Angelegenheiten meist treffsichere japanische Bank Nomura hält eine Stabilisierung aus eigener Kraft sowohl für Spanien als auch für Italien inzwischen für „keine Option“ mehr. Beide Länder werden „binnen Wochen“ externe Hilfe beantragen, so Nomura. Über die Höhe eines Hilfspakts für Spanien hat sich bereits die Investmentbank Jefferies Gedanken gemacht: 400 Milliarden Euro zusätzlich zu den schon zugesagten 100 Milliarden Euro für Spaniens Banken werden benötigt. Ein entsprechender Hilfsantrag aus Madrid innerhalb der nächsten Wochen würde die „Euro-Retter“ allerdings auf dem falschen Fuß erwischen. Der alte Rettungsschirm EFSF ist nahezu ausgeschöpft, der Nachfolger ESM ist noch nicht einsatzbereit. Nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM steht noch aus, sondern auch eine Verhandlung vor dem obersten österreichischen Gericht. Während in Karlsruhe die Urteilsverkündung für den 12. September angekündigt ist, wird in Wien mit bis zu sechs Monaten Verhandlungsdauer gerechnet. EU-intern gilt mittlerweile der Anfang des Jahres 2013 als realistischer Termin für den Arbeitsbeginn des ESM. Mit einem spanischen Hilfsantrag in Höhe mehrerer hundert Milliarden Euro wäre der Start des ESM allerdings gleich von einer Diskussion über eine Mittelaufstockung begleitet.
Wie sehr sich mit dem bereits zugesagten Rettungspaket für die spanischen Banken die Koordinaten der bisherigen Euro-Rettungspolitik verschoben haben, wird mit einem Blick nach Irland deutlich. Nicht nur die Nachverhandlung der Konditionen für das schon erhaltene 85-Milliarden-Paket für Irland steht auf der Tagesordnung, sondern allen Ernstes die Forderung, dass der Euro-Rettungsfonds Anteile an irischen Banken übernehmen soll. Damit nicht genug: Nach Meinung des Finanzministers Michael Noonan soll Europa an Irland auch noch mehr als den aktuellen Marktpreis der maroden Banken – derzeit nur acht Milliarden Euro – zahlen. Nach Angaben der Dubliner Tageszeitung „Independent“ soll Noonan bereits entsprechende Gespräche aufgenommen haben, an deren Ende das Weiterreichen der irischer „Zombie-Banken“ an den Euro-Rettungsfonds stehen könnte, so jedenfalls seine Hoffnung. Ohne dass dies in der deutschen Öffentlichkeit weiter wahrgenommen wurde, hatte Irland im Zuge der umstrittene Zusage eines Rettungspaket für die spanischen Banken tatsächlich das Versprechen erhalten, die Bedingungen des irischen Rettungspakts neu verhandeln zu können.