Ist die Eurokrise bald beendet oder geht sie erst richtig los? Ökonomen sind unterschiedlicher Meinung insbesondere über die Rolle Griechenlands. Die Euro-Gruppe will dort jetzt eine Art Zwangsfinanzregierung installieren.
Berenberg-Chefökonom Schmieding: Euro-Krise ist bald beendet
Holger Schmieding, Chefökonom von Deutschlands ältester Privatbank Berenberg, hat den Euro als Reformmotor für Europa gelobt. „Der Euro ist stabiler, als die D-Mark es je war, und er wirkt als Reformpeitsche“, sagt Schmieding im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Keine andere Region der Welt reformiert derzeit ihre Wirtschaft so hart wie der Süden der Euro-Zone. Ich sage dem Euro eine gute Zukunft voraus.“
Irland, Portugal und Spanien hätten mit ihren Reformen bereits „große Erfolge“ erzielt, so Schmieding. „Fakt ist: Die Ausfuhren der Krisenländer steigen, und die konjunkturell bereinigten Defizite in den Staatshaushalten sinken. Irland kann sich bald wieder selbst finanzieren. Italien und Portugal dürften bis Mitte 2013 die Kurve bekommen, Spanien benötigt wohl noch ein knappes Jahr“, prognostiziert Schmieding. „Alle Länder ernten bis Ende nächsten Jahres die ersten Früchte ihrer Reformen“, ist sich der Bankökonom sicher. Selbst für Griechenland sieht er Chancen.
Zwar räumt der Euro-Befürworter ein, das griechische Programm sei falsch dosiert. „Das Medikament Sparen wurde dem Land in einer zu hohen, das Medikament Strukturreformen hingegen in einer zu niedrigen Dosis verabreicht.“ Doch auch in Athen sei noch eine Wende zum Guten möglich: „Wenn die Mischung neu justiert wird und man mehr auf den Abbau von Bürokratie und weniger auf Austerität setzt, springt die Wirtschaft auch dort an.“
Eurogruppe erwägt automatische Reformgesetze in Griechenland ohne Parlamentsbeteiligung
Nachdem Griechenland fest zugesagte Reformen wiederholt nicht umgesetzt hat, erwägen die Finanzminister der Eurozone drastische Überwachungsmechanismen. Nach Informationen der WirtschaftsWoche diskutieren die Finanzminister, Griechenland zur automatischen Umsetzung von Reformen auch ohne Zustimmung des Parlaments zu zwingen.. „Griechenland bekommt für die Umsetzung der geforderten Reformen zwölf Monate Zeit“, heißt es zu dieser Überlegung aus der Euro-Gruppe. „Nach Ablauf der Frist werden die Reformen automatisch Gesetz, auch wenn das Parlament nicht seine Zustimmung gegeben hat.“ Ein solches Verfahren wäre ein tiefer Einschnitt in die Souveränität des Landes. Er belegt, dass den Finanzministern die Geduld mit Griechenland ausgeht. „Wir benötigen mehr automatische Korrekturen, damit das Hilfsprogramm für Griechenland auf dem Pfad bleibt“, heißt es in Brüssel.
Vergangene Woche hat das griechische Parlament nur mit einer knappen Mehrheit dem jüngsten Privatisierungsprogramm zugestimmt. Es ist nicht sicher, ob die Koalitions-Regierung von Antonis Samaras am Mittwoch eine Mehrheit für die Arbeitsmarktreformen finden wird, die Voraussetzung sind für die Ausbezahlung der nächsten Tranche aus dem Hilfsprogramm.
Rösler: Griechischer Schuldenschnitt würde Lücke in Bundeshaushalt reißen
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) lehnt einen Schuldenschnitt zu Lasten öffentlicher Gläubiger ab, weil dies die Finanzierung des Bundeshaushalts und die Bonität Deutschlands gefährden würde. „Ein Schuldenerlass für Griechenland würde letztlich auch auf den Bundeshaushalt durchschlagen, und diese Lücke müsste gegenfinanziert werden“, sagte Rösler der WirtschaftsWoche: „Deutschland selbst darf aber seine Ziele nicht verfehlen, sondern muss Anker für Stabilität und Solidität in der Euro-Zone bleiben.“
Auch juristisch sei ein solcher Nachlass nicht machbar: „Gegen einen Schuldenschnitt für die öffentlichen Gläubiger Griechenlands sprechen handfeste haushaltsrechtliche Gründe“, erklärt Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Diskussionen über einen Schuldenerlass würden im Übrigen von der eigentlichen Aufgabe ablenken. Rösler: „Was wir brauchen, ist ein glaubwürdiges Vorgehen Griechenlands zur Umsetzung der zugesagten Reformen. Die griechische Regierung muss belegen, dass sie Fortschritte bei den Reformvereinbarungen erreicht hat. Das wird der Troika-Bericht zeigen.“
Mayer: Keine Kredite mehr für Griechenland
Der frühere Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer plädiert dafür, die bisherigen Hilfsprogramme für Griechenland zu streichen. „Weitere Kredite zur Finanzierung des griechischen Haushalts darf es nicht mehr geben“, sagt Mayer im Interview mit der WirtschaftsWoche. Die bewilligten, aber noch nicht ausbezahlten Hilfsgelder von 71 Milliarden Euro sollten laut Mayer verwendet werden, um einen Bankenkollaps in Griechenland zu verhindern.
Außerdem fordert Mayer, dass zukünftig die griechischen Banken dem Rettungsfonds ESM gehören: „Es ist notwendig, den hellenischen Stabilisierungsfonds, dem faktisch alle griechischen Banken gehören und für den derzeit die griechische Regierung verantwortlich ist, an den ESM zu übergeben.“ Die griechischen Kreditinstitute hätten dann den Status von Auslandsbanken in Griechenland. Mayer: „Sie wären EU-Banken – und könnten nicht mehr als Geldmaschinen für den hellenischen Staat missbraucht werden. Alle ausstehenden Hilfsgelder würden direkt an die griechischen Banken fließen.“
Sobald die Banken rekapitalisiert seien und dem ESM gehörten, könnte man den griechischen Staat sich selbst überlassen. Wenn dann alles gut geht, so Mayers Theorie, „könnten die Griechen 2013, sofern man die Zinszahlungen abzieht, einen ausgeglichenen Haushalt schaffen“. Zinsen zahlen oder gar Schulden tilgen werde Griechenland in den nächsten Jahren aber nicht. In fünf oder zehn Jahren habe sich die Lage vielleicht entspannt, und der Staat beginne mit den Rückzahlungen. Wenn nicht, käme es zum Schuldenschnitt, so Mayer.
Commerzbank-Chefvolkswirt attackiert den Sachverständigenrat
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, wirft dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Versäumnisse im Umgang mit der Euro-Krise vor. „Der Sachverständigenrat hat mit dem Schuldentilgungsfonds ein zweifelhaftes Konzept vorgeschlagen – die wirtschaftspolitische Debatte prägt er jedoch nicht“, schreibt Krämer in einem Gastbeitrag für die WirtschaftsWoche.
Der Ökonom fordert eine grundlegende Reform des Gremiums, das in Kürze sein neues Jahresgutachten präsentieren wird. „Deutschland braucht mehr denn je einen Sachverständigenrat, der der Öffentlichkeit und der Politik sagt, wie sich die Schuldenkrise lösen lässt, ohne unsere Wirtschaftsordnung zu schädigen.“ Krämer schlägt vor, die Mitarbeit bei den Wirtschaftsweisen zu einem Vollzeitjob zu machen. „Der Sachverständigenrat braucht unabhängige, erfahrene Persönlichkeiten, die idealerweise auf eine Karriere zurückblicken können und keine falschen Rücksichten nehmen müssen“, so Krämer. Zudem sollte eine Berufungskommission gebildet werden, „um die besten Professoren für den Sachverständigenrat zu finden“. Ihr sollten laut Krämer nicht nur Vertreter des Wirtschaftsministeriums angehören, sondern auch ehemalige Ratsmitglieder oder Präsidenten großer Wirtschaftsforschungsinstitute.
Ändern muss sich laut Krämer auch die Außendarstellung des Gremiums. „Um die wirtschaftspolitische Diskussion wieder zu prägen, müssen sich die Sachverständigen gemeinsam regelmäßig an die Öffentlichkeit wenden und dabei mit einer Stimme reden. Der Rat braucht eine Kommunikationsstrategie, um an das Renommee früherer Tage anzuknüpfen.“