Angela Merkel betreibt den Ausstieg aus dem Rechtsstaat und will sich zur Kanzlerin aller Europäer aufschwingen. Ursula von der Leyen und Peer Steinbrück sind Konkurrenten, aber keine Alternative zu ihr.
Interview mit Gertrud Höhler über ihr neues Buch "Die Patin". Die Fragen stellte Jürgen Elsässer, "Compact Magazin".
? Ihr Buch trägt den Titel „Die Patin“, das erinnert an den Mafia-Roman von Mario Puzo. Welcher „ehrenwerten Gesellschaft“ steht die Kanzlerin vor?
Es gibt eine strukturelle Analogie des „Systems Merkel“ zu Geheimbünden. Es wird unideologisch agiert, es gilt ein Schweigegelübde, und der Bereich der Legalität wird von illegalen Aktivitäten durchsetzt.
? Sie sezieren die Sprache der Kanzlerin, eine „Alien-Lingua“. Wie konnte jemand mit solchen unverständlichen und schwammigen Bandwurmsätzen nach oben kommen?
Offensichtlich kommt es nicht so darauf an, wie sie spricht. Oder vielleicht sogar: Weil sie so wenig klare Aussagen macht, denken die Leute: Mit dieser Frau ist das Leben ungefährlich. Ihre Nullsummensätze, ihre Verklausulierungen, ihre Interpretationsoffenheit, ihre Abwiegeleien – sie ist eine Frau der Unberechenbarkeiten, aber die Zuhörer werden in der Sicherheit gewiegt, ihnen werde schon nichts passieren. Man hört nie schlechte Nachrichten von ihr – obwohl es, etwa in der Euro-Krise, eigentlich ständig und massiv schlechte Nachrichten gibt. Manchmal hat man den Eindruck, dass sie, wenn sie ans Rednerpult tritt, am liebsten gar nichts sagen würde. Etwa nach ihrem Motto: „Gib‘ nie ein Versprechen – sonst bist du erpressbar.“
? Aber zwei Mal hat sie ganz eindeutig etwas versprochen: Zuletzt im Juni 2012, als sie postulierte: „Solange ich lebe, wird es keine Eurobonds geben.“
So eindeutig war das nicht. Die harte Interpretation ist, dass diese Form der Schuldenvergemeinschaftung im Euro-Raum „nur über ihre Leiche“ durchsetzbar ist. Aber der Satz kann auch anders ausgelegt werden, etwa im Sinne von: Die Verabschiedung von Euro-Bonds wird noch so lange dauern, dass sie das nicht mehr erleben wird. Gut möglich, dass der Satz auch nur ein Ausrutscher war.
?Und wie bewerten Sie ihr anderes Versprechen vom Oktober 2008, gleich nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise: „Die Spareinlagen sind sicher“?
Den Ausspruch kann man ihr nicht allein zurechnen. Man muss berücksichtigen, dass Peer Steinbrück als Finanzminister gemeinsam mit ihr vor die Kameras trat.
? Nochmal zur Definition von Merkel. Im Titel verwenden Sie „Patin“, also Anführerin des Clans. An anderer Stelle sprechen Sie von ihr als einer „Schlafwandlerin. Deren somnambule Schritte werden aber von anderen Mächten gelenkt, oder?
Ich hab in meinem Buch noch ein drittes Bild oder Bildpaar für Frau Merkel verwendet: Ist sie Windsbraut oder Windmaschine? Ist sie also Macherin eines Trends – oder nur dessen Symptom, als besonders geeignet an die Spitze gespült? Aber auch in diesem Fall spielt die Führungsfigur eine Rolle, die nicht nur passiv ist. Wir leben in einer überreifen Demokratie, in der Verfallsepoche einer Wohlstandsgesellschaft. Der Trend geht zum Schuldenmachen, zur Bequemlichkeit. Merkel verkörpert diesen Trend – und treibt ihn weiter.
?Sie diagnostizieren im „System M“ Anklänge an „die Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts“: „die Marginalisierung der Parteien, der Themenmix aus enteigneten Kernbotschaften anderer Lager in der Hand der Regentin; ihre Nonchalance im Umgang mit dem Parlament, mit Verfassungsgarantien, Rechtsnormen und ethischen Standards“. Warum will die Mehrheit der Deutschen diese Gefahr nicht sehen?
Weil Merkel sich als überparteilich präsentiert. Sie betont, dass sie nicht identisch mit ihrer Partei, der CDU, ist. Nach dem Debakel in Nordrhein-Westfalen im Mai 2012 sagte sie schnippisch: „Ich stand nicht zur Wahl.“ Ihre Beliebtheit wird auf diese Weise immer größer, während die Union gleichzeitig von Urnengang zu Urnengang ihren Abstieg fortsetzt.