Überall wird gespart und entlassen, nur die Zahl der EU-Beamte erhöht sich ständig. Mit einem Trick soll jetzt die Zahl der Kommissare erhöht werden. Die Spitzenverdiener im Brüsseler Politbüro verdienen mehr als die Bundeskanzlerin und sind willfährige Büttel der Lobbyisten.
von Norman Hanert
Nach unzähligen Rechtsbrüchen die bereits im Zuge der Euro-Rettung begangen wurden, steht in Brüssel nun eine Trickserei auf der Tagesordnung, für die nur mit größter Mühe eine plausibel klingende Ausrede zu finden sein wird. Eine Verkleinerung der EU-Kommission – bisher verbindlich im Lissabon-Vertrag so vereinbart – wird es nicht geben. Die Brüsseler Kommission wird stattdessen noch größer. Auf den Weg gebracht wurde diese erstaunliche Umdeutung von Vertragstext klammheimlich auf dem jüngsten EU-Gipfeltreffen am 22. Mai.
Was zunächst nur so aussieht, als solle dem EU-Neumitglied Kroatien vorübergehend bis zum Mai 2014 auch ein Kommissionsposten zugestanden werden, ist tatsächlich ein viel weitreichenderer Beschluss: Nicht nur Kroatien, sondern jedes EU-Land soll zumindest bis 2019 mit einem Kommissar in Brüssel vertreten sein. Noch im Lissabon-Vertrag war eigentlich eine Verkleinerung der Kommission auf 19 Mitglieder vereinbart. Ein Kommissar erhält rund 20000 Euro Monatsgehalt und verursacht jährliche Kosten in Höhe von insgesamt zwei Millionen Euro, wenn man seinen Mitarbeiterstab, seine Reisekosten und seinen Dienstwagen mit einbezieht.
Den Anstoß für den neuerlichen Rechtsbruch hat Irland, das gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehat, gegeben. Im Vorfeld des dortigen Referendums zum Lissabon-Vertrag im Jahr 2009 hatte Dublin mit Erfolg auf die übrigen EU-Länder Druck ausgeübt. Die erhaltene Zusage, dass auch die kleinen Staaten künftig ihren Kommissar behalten dürfen, diente Irlands Regierung dann als Argument beim Referendum.
Nun, wo sich abzeichnet, dass die EU-Kommission nicht verkleinert wird, sondern im Gegenteil sogar noch größer werden soll, scheint selbst Vertretern der Berliner Regierungskoalition mulmig zu werden: „Ganz Europa spart und kürzt bei der Verwaltung. Nur Brüssel will das nicht einsehen“, so Rainer Brüderle (FDP) gegen-über der Nachrichtenagentur Reuters.
Noch entscheidender als die unmittelbaren Kosten, ist jedoch ein anderer Punkt: Die Schar von 27 EU-Kommissaren sieht sich schon bisher unter starkem Legitimationsdruck und entfacht einen Aktionismus, um die eigene Existenzberechtigung zu beweisen. Die Folge: Die Kommissare versuchen immer mehr, Kompetenzen von den Nationalstaaten an sich zu reißen. Zusätzlich ist man in Brüssel ständig auf der Suche nach Problemen, die vermeintlich einer Lösung aus Brüssel bedürfen. Ablesbar ist dieser Aktionismus an der Brüsseler Regulierungswut. Von Vorgaben zur Gurkenkrümmung bis zum Glühlampenverbot bietet die EU einiges.
Hinter den oft skurril wirkenden Bemühungen, auch letzte Details des Alltagslebens per EU-Dekret zu regeln, verbirgt sich allerdings mehr als nur der Betätigungsdrang eigentlich überflüssiger EU-Kommissare. Die Kommission hat sich zum idealen Angriffspunkt für Lobbyisten entwickelt. Statt in allen 27 EU-Ländern einzeln die Gesetzgebung zu beeinflussen und sich mit demokratisch gewählten Parlamenten herumzuschlagen, brauchen Lobbyisten nur noch zentral auf die EU-Kommission Einfluss zu nehmen, um gewünschte Vorhaben in ganz Europa durchzubringen. Bestes Beispiel, wie so etwas funktioniert, ist die Posse um das Verbot von nachfüllbaren Olivenöl-Kännchen in Restaurants, die gerade in Brüssel aufgeführt wird. Hinter dem Vorhaben stehen große südeuropäischen Ölproduzenten, die ein leichtes Zusatzgeschäft wittern. Deren Kalkül: Klein-Produzenten sind nicht in der Lage, massenweise versiegelte und nicht nachfüllbare Ölbehältnisse zu liefern, wenn diese für Restaurants EU-weit Pflicht werden. Nach einem massiven Proteststurm hat die EU-Kommission das Vorhaben inzwischen zurückgezogen. Ein Anteil an dem Rückzieher dürfte dem „Daily Telegraph“ zukommen. Auf dessen Nachfrage, ob es Belege dafür gebe, dass in Restaurants den Gästen häufig minderwertiges Ölivenöl vorgesetzt worden sei, musste die Kommission kleinlaut zugeben: „Wir haben keine Beweise, es gab anekdotenhafte Berichte und das war für das Komitee ausreichend.“
Ebenso aufschlussreich ist ein Blick darauf, wie das Projekt überhaupt zustande gekommen war – ihm fehlte nämlich die qualifizierte Mehrheit. Lediglich 15 EU-Mitgliedstaaten – darunter natürlich die Herstellerländer von Olivenöl – hatten den Plänen der Kommission zugestimmt. Da keine qualifizierte Mehrheit zustande gekommen war, lag die Entscheidung am Ende wieder bei der EU-Kommission.