Es gibt in diesen Tagen so viel zu retten: Flüchtlinge, Griechenland, die Kiewer Regierung, da kann die heroische Rettung der HSH-Nordbank glatt in den Seiten des Wirtschaftsteils der Zeitungen verschwinden.
Von Uli Gellermann
Es gibt in diesen Tagen so viel zu retten: Flüchtlinge, Griechenland, die Kiewer Regierung, da kann die heroische Rettung der HSH-Nordbank glatt in den Seiten des Wirtschaftsteils der Zeitungen verschwinden. Dabei wissen wir seit 2008: Nichts ist wichtiger als die Rettung der Banken. Nun also die HSH – die Bank für Schiffskredite, die Bank, die 2008/2009 schon mal mit Milliarden aus Steuergeldern "gerettet" wurde – diese Nordbank ist schon wieder dran. Diesmal kann es 14 Milliarden kosten. Aber auch gern mehr. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr haben alle Bundesländer gemeinsam 2,2 Milliarden zur Hilfe für Flüchtlinge bereit gestellt.
Die deutsche Mittelschicht – eine stolze Erfindung der ideologisierten Soziologie, weg von den klaren Klassen- und Abhängigkeitsverhältnissen, hin zur Bestimmung durch das Einkommen. Eine Wirtschaftswunder-Erfindung: Diese schöne Schicht zur Vernebelung der Verhältnisse schwindet dahin. Seit 1992 sank ihr Anteil von 56,4 Prozent auf 48 Prozent im Jahr 2013. Der Anteil der Unter- und Oberschicht stieg im selben Zeitraum von 29,7 auf 34,7 beziehungsweise von 13,9 auf 17,2 Prozent. Wer im Westen in den 60er Jahren nicht zum "Sockel" gehörte, zu jener halben Million Arbeitsloser, die nie schwanden, der fühlte sich als Mittelschichtler, gehörte dazu, hatte Feiertagsanzug, Auto, Urlaub und wählte entweder CDU oder SPD.
Goldman Sachs, the bank that rules the world, definierte die middle class households mit einem Gesamteinkommen von 6.000 bis 30.000 Dollar jährlich. Da war der deutsche Arbeiter aber locker dabei. Der durchschnittliche Angestellte gehörte schon seiner Krawatte und des bügelfreien Hemdes wegen dazu. Und beider Kinder hatten die Chance aus der unteren Mittelschicht in die mittlere Mittelschicht und irgendwann überhaupt aufzusteigen. Die Mittelschicht war das Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft, der Klassenkampf war total altmodisch, die Rente sicher und es ging eigentlich immer nur aufwärts.
Eigentlich. Längst macht sich die Angst breit bei denen, die noch einen festen Job haben: Leistung lohnt sich nicht mehr. Working Poor, im Amtsdeutsch "Erwerbsarmut" genannt, macht sich breit. Viele haben gar keinen Urlaub mehr, manche brauchen zwei Jobs, um über die Runden zu kommen, und das Wort "noch" hat Konjunktur: Noch bin ich nicht gekündigt, noch gibt es meine Firma, noch bin ich nicht "outgesourct", noch nicht vom normal bezahlten Job in den Billiglöhner-Bereich. Die Wirtschaft wächst, die Angst wächst mit.
Gern wird in den Berichten über die HSH-Nordbank betont, sie sei eine staatliche Bank. Und gern wird unterschlagen, dass der Finanzinvestor J.C. Flowers & Co. LLC (USA) mit rund 10 Prozent an der Bank beteiligt ist. Verschwiegen wird auch, dass die Landesbanken, und aus diesem Sektor kommt die HSH, einst der regionalen Wirtschaftsförderung dienen sollten. Was die Bank mit Beteiligungen auf den Cayman Islands, in London, Luxemburg oder Dallas macht, bleibt im Dunklen. Sichtbar allerdings sind die Verluste.
Die brave Mittelschicht rettet jetzt schon die arme deutsche Wirtschaft: Längst ist der Achtstundentag, außerhalb der gewerkschaftlich organisierten Großbetriebe, aufgelöst: Unbezahlte Überstunden sind nicht mehr die Ausnahmen. Zur Regel gehört die Weiterarbeit zu Hause, der eigene Laptop speichert gern die Firmendaten, das eigene Smartphone macht den Beschäftigten rund um die Uhr verfügbar. Und wer den smarten jungen Leute mit dem Tablet-Computer in der Hand zuschaut, der sieht: Sie sind auch noch stolz darauf, ihren Unternehmen jenen Profit zu verschaffen, den die dann gern im Ausland anlegen, dort wo die Arbeit billiger ist. Wenn die Mittelschicht weiter so schnell schrumpft, sind auch die Banken gefährdet: Denn wer soll dann nur die Steuern zahlen, mit denen die Banken gerettet werden?