Schäuble kritisiert Vorgehen der US-Behörden im Fall DSK: “Ich weiß nicht, ob man einen Mann wie Strauss-Kahn wirklich in Handschellen vorführen muss“. Finanzminister appelliert an Europa Französin Lagarde als Nachfolgerin des zurückgetretenen IWF-Chefs Strauss-Kahn zu nominieren.
Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat an die
übrigen europäischen IWF-Mitglieder appelliert, sich auf die
Französin Christine Lagarde als Nachfolgerin des zurückgetretenen
IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn zu verständigen. In einem
Interview mit BILD am SONNTAG sagte Schäuble: “Mit Christine
Lagarde, so sie sich dann entscheidet zu kandidieren, hätte Europa
beste Chancen, den Posten wieder zu besetzen. Entscheidend ist
jetzt aber vor allem, dass Europa in dieser Frage mit einer Stimme
spricht“.
Schäuble lobte die Qualifikationen seiner französischen Amtskollegin:
“Christine Lagarde ist in der Sache und als Person hervorragend
geeignet. Sie wird in der gesamten Finanzwelt überaus respektiert
und geschätzt.“
Schäuble bekräftigte den Anspruch der Europäer auf den Posten
des IWF-Direktors: “Wir brauchen eine starke Persönlichkeit an
der Spitze des IWF und zwar einen Europäer oder eine Europäerin.
Ein Amerikaner leitet traditionell die Weltbank, ein Europäer
den IWF. Die USA und Europa zahlen schließlich mit weitem Abstand
den größten Teil der Beiträge. Das ist wie in jeder Aktiengesellschaft:
Wer die Mehrheit der Anteile besitzt, stellt den Aufsichtsratsvorsitzenden.“
Schäuble drängte auf eine rasche Lösung, um die Handlungsfähigkeit
des IWF nicht zu gefährden: “Die Entscheidung muss jetzt zügig
getroffen werden - innerhalb der nächsten Wochen.“
Der Bundesfinanzminister lobte unabhängig von den aktuellen Vorwürfen
die Arbeit des ehemaligen IWF-Direktors in höchsten Tönen: “Ich
kenne Strauss-Kahn sehr gut und sehr lange - und zwar schon bevor
er Chef des Internationalen Währungsfonds geworden ist. Wir sind
2005 von der Universität Fribourg in der Schweiz zusammen zu
Ehrendoktoren promoviert worden für unsere Verdienste um die
europäische Einigung. Er war ein herausragender Direktor des
IWF.“
Schäuble zeigte sich schockiert über den Umgang der US-Justiz
mit Strauss-Kahn: “Die Nachricht, die Umstände der Verhaftung
und die Bilder haben mich geschockt. Der amerikanische Umgang
mit Verdächtigen ist für uns Europäer manchmal nur schwer nachzuvollziehen.
Ich weiß nicht, ob man einen Mann wie Strauss-Kahn wirklich in
Handschellen vorführen muss. Ich glaube nicht, dass er davongelaufen
wäre...“
Nach den Worten Schäubles ist der Umgang der amerikanischen Justiz
möglicherweise ein nicht mehr gut zu machendes Unrecht: “Eine
eventuelle Vorverurteilung könnte selbst durch einen späteren
Freispruch nicht mehr ungeschehen gemacht werden.“ Dennoch hält
Schäuble den Rücktritt für richtig: “Sein Rücktritt war eine
notwendige und richtige Entscheidung.“
Grundsätzlich glaubt Schäuble nicht, dass Politiker glauben,
sich aufgrund ihrer exponierten Stellung mehr herausnehmen zu
können als andere: “Das Gegenteil ist richtig. Wenn Sie in der
Öffentlichkeit stehen, können Sie sich viel weniger erlauben.
Das ist auch richtig. Wenn Sie nach Verantwortung streben, tragen
sie eben auch eine besondere. Davor schrecken ja auch viele zurück.
Da kann ja schon dann der bloße Verdacht reichen, um ihre Karriere
zu ruinieren. Das zeigt ja auch der Fall Strauss-Kahn.“
Der Minister räumte dennoch ein, dass die Privilegien eines Berufspolitikers
auch zu Fehltritten verleiten könnten: “Natürlich sind solche
Lebensumstände auch eine Versuchung. Deswegen heißt es ja im
Vater Unser ‚Führe mich nicht in Versuchung‘. Für Politiker aber
gilt, und das kann ich Ihnen nach Jahrzehnten in diesem Geschäft
versichern: Unsere Lebensumstände sind verglichen mit Top-Leuten
aus dem Finanz- oder Bankensystem relativ bescheiden. Wenn man
mit unseren Gehaltsmöglichkeiten versucht, jemanden aus der Wirtschaft
in die Politik zu locken, erzielt man im allgemeinen höchstens
Lacherfolge.“