Die Gewalt von Chemnitz ist die Metastase eines tieferliegenden Problems. Deutschland ist in Unordnung, diese Unordnung ist wie Krebs. Deutschland, ordne deine Kreise – oder andere werden sie für dich ordnen! (Es wäre ja nicht das erste Mal.)
Von Dushan Wegner
Wenn Zellen eines Körpers mutieren, wenn sie übergriffig werden und gefährlich, und wenn der Körper sich nicht mehr gegen diese Zellen zu helfen weiß, dann reden wir von Krebs.
Unsere Zivilisation ist unser eigenes Werk. Dies ist nicht der »Urzustand«. Die moderne Zivilisation, samt ihrer Kultur und ihrer Sitten, ist das Schönste und am wenigsten Ungerechte, was die Menschheit, in dieser Dimension, je hervorgebracht hat.
Nicht alles, was »natürlich« ist, ist dadurch schon gut. Krebs ist auf eine bestimmte Weise »natürlich«. Krebs ist natürlich und ursprünglich, er wurde sogar schon bei einer Mumie nachgewiesen.
Politische und soziale Gewalttätigkeit ist der »Krebs der Gesellschaft«. Ich rede wohlgemerkt nicht von Menschen oder Menschengruppen. Ich rede von einem Verhalten: von der Gewalttätigkeit.
Blutaufkehrmaschine
In Chemnitz wurde ein Mensch erstochen. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat gegen einen Syrer und einen Iraker in diesem Kontext einen Haftbefehl beantragt, berichtet bild.de, 27.8.2018. Ein neues Symbolfoto für die kalte Gleichgültigkeit der Gutmenschrepublik gegenüber ihren Opfern entsteht. Es ist von Harry Haertel und es trägt die Bildzeile: »Die Kehrmaschine reinigt die mit Blut beschmierte Straße« (bild.de, 26.8.2018).
Sei brav, ordne dich ein und stirb leise für den Traum der Gutmenschen, und dann kommt die effiziente Technologie der Kehrmaschine und wischt dein Blut von der Straße.
Unsere hochmoralischen Parteien exportieren ja gern Maschinen nach Saudi-Arabien, vielleicht könnte man auch als neues Produkt die »Blutaufkehrmaschine« anbieten – bislang wird dort das Blut nach Hinrichtungen ganz rustikal mit Wasser aus dem Tankwagen weggespült (siehe zeit.de, 13.4.2018).
Messergewalt, selbst mit tödlichem Ausgang, hat im Gutmenschland »nur regionale Bedeutung«. Wo der Gutmensch hobelt, da fallen eben Späne, und wer über die Gehobelten weint, der ist ein Nazi. Es ist besser, in der richtigen Gesinnung zu sterben und seine Kinder als Waisen zu hinterlassen, als in der falschen zu leben und die Kinder aufwachsen zu sehen, so lehren die Ideologen.
Doch, dieser Fall von Gewalt war anders. Dieser Fall schaffte es in die Nachrichten, denn diesmal gab es eine andere, eine stärkere, und ja, eine furchteinflößende Reaktion.
In Chemnitz gibt es eine rechte Szene. Also nicht »rechts« im dem Sinne, »wer Deutschland nicht hasst, ist Nazi«, sondern wirklich rechts, genauer: rechtsaußen. Bei der Anschlussdemo am Montag wird sogar der Hitlergruß gezeigt (bild.de, 27.8.2018).
Als Reaktion auf die Tötung sammelten sich Rechte, also die in soliden Stiefeln und Bomberjacken, und zogen durch Chemnitz. Laut Videoaufnahmen wurden auch Menschen, die man für Migranten hielt, bedrängt.
Das Chemnitzer Straßenfest, das zur gleichen Zeit stattfand, wurde abgebrochen. Offiziell aus Pietätsgründen, doch es war wohl aus Angst vor rechter Mobgewalt.
Innere Verdrahtung
Es braut sich etwas zusammen in Deutschland. Europa hatte jüngst die rechte Gewalt gegen Roma in Ungarn (siehe z.B. taz.de, 22.8.2012) und rechte Gewalt gegen Roma in Tschechien (siehe z.B. welt.de, 30.8.2011).
Die Bundesregierung stellte fest: » Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin, das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz, und das kann ich für die Bundesregierung sagen, dass wir das auf das Schärfste verurteilen.« (bild.de, 27.8.2018) – In der Überschrift fasst die BILD zusammen: »Hetzjagden auf Menschen anderer Herkunft nehmen wir nicht hin« – und der Zyniker in uns fragt sich, was denn mit anderen Hetzjagden wäre, mit Messermorden und eben auch dem antideutschen Rassismus.
Die rechte Gewalt geschieht nicht im luftleeren Raum. Bürger sterben, Bürger verlieren ihre Heimat, weil Gutmenschen ihre wirren Träume durchsetzen. Rechte Gewalttäter könnten sich einbilden, eine Gegengewalt aufzustellen – und ich sage es gleich, bevor jemand moralischen Schluckauf bekommt: ich rechtfertige es nicht, ich beschreibe eine mögliche innere Verdrahtung.
Ob die linke Antifa die Autos von Krankenpflegediensten anzündet und auf AfD-Mitglieder einprügelt, oder ob rechte Schlägertypen ausländische Mitmenschen jagen und bedrängen: Gewalttätigkeit ist immer Krebs, doch Krebs hat eine Ursache.
Wenn der Arzt irgendwo die Anzeichen von Krebs entdeckt, ist es nicht nur die eine Stelle, die uns Sorgen macht – das noch größere Problem sind oft die vielen anderen Stellen.
Die linke und rechte Gewalt sind ein Problem, doch sie sind quasi ein »gestreutes Problem«. Was hier beginnt, bereitet mir große Sorge, doch das, was dazu führte, das macht mir tatsächlich noch mehr Angst.
Gegenwart und Zukunft
Die neuen Entwicklungen von Chemnitz führten zu unterschiedlichen Reaktionen. Einige waren besonnen, andere machten das zugrundeliegende Problem noch schlimmer. In Stresssituationen scheint bei den Menschen durch, wer sie wirklich sind, und die Szenen von Chemnitz sind, wenn man Anteil an Gegenwart und Zukunft Deutschlands nimmt, durchaus stressvoll.
Zu den besonnenen Reaktionen können wir etwa den nüchternen Tweet von Julian Reichelt (BILD-Chef) rechnen. Er sagte:
Wenn die Stadt Chemnitz und das Land Sachsen mit der Lage überfordert sind, muss die Bundespolizei mit großem Aufgebot nach Chemnitz, um Ordnung wiederherzustellen. Solche Jagdszenen darf es in Deutschland und im Rechtsstaat nicht geben.
Auf der Titelseite von bild.de wurden beide Faktengruppen berichtet: Dass da wohl eine Tötung stattgefunden hatte, durchgeführt von Menschen aus Kulturen, in denen die Gewichtung »Ehre vs. Leben« dann doch immer wieder anders ausfällt als noch bis vor kurzem in der Bundesrepublik. Und, daneben, dass ausländische Menschen in »Jagdszenen« verfolgt wurden. Der Zusammenhang von Ereignissen liefert weder Entschuldigung noch Rechtfertigung, doch den Zusammenhang zu ignorieren, wie Gutmenschen es tun, wäre leichtsinnig.
Nicht alle reagieren so besonnen. Es gibt auch noch die, die Öl ins Feuer gießen.
Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, die sich in der Vergangenheit gegen den Vorwurf verteidigen musste, etwas nah am Islamismus zu lagern (siehe z.B. zeit.de, 4.2.2017), die mit der Äußerung »Islam macht mir das Leben leicht« zitiert wird (tagesspiegel.de, 22.2.2011), die feststellt, die Scharia sei mit Demokratie »absolut kompatibel« (welt.de, 11.12.2016), sagt:
Rechte werden immer stärker, immer lauter, aggressiver, immer radikaler, immer selbstbewusster, sie werden immer mehr. Wir sind mehr (noch), aber zu still, zu bequem, zu gespalten, zu unorganisiert, zu zaghaft. Wir sind zu wenig radikal. #Chemnitz #NoAfD
In welcher Rolle klagt die »Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales« denn, dass ihre Leute (»Wir«) »zu wenig radikal« sind? Welche »Radikalisierung« wird denn gefordert?
Frau Chebli tritt in der Öffentlichkeit vor allem als Verteidigerin des Islam auf. Fordert sie mehr muslimische Radikalisierung? Das wäre nicht unkritisch.
Doch, sie ist auch Politikerin der SPD. Fordert sie mehr linke Radikalisierung? Brennen nicht Nacht für Nacht genug Autos in Berlin? In dem Tweet kommt tatsächlich nicht Islam vor, aber eine Oppositionspartei – »#NoAfD« – fordert Chebli hier durch die Blume zur Radikalisierung gegen den politischen Gegner auf? Himmel, das wäre übel!
Aktuell in Chemnitz
Der Journalist Steffen Lüdke von Spiegel Online hat sich aktuell in Chemnitz umgehört. Es ist ein linker Text in einem stramm linken Medium, mit moralischer Lehre zum Schluss und moralischem Zeigefinger zwischendurch, doch die beschreibenden Passagen sind lesenswert und machen diesen Text schon jetzt zu einem Zeitdokument:
Judy und Tamea blicken auf die Blumen am Tatort, über ihre Wangen laufen Tränen. Sie kannten das Opfer flüchtig. “Irgendwann musste das ausarten mit den Flüchtlingen”, sagt Judy. Ob die beiden von der Polizei festgenommenen Männer wirklich etwas mit der Tat zu tun hatten, ob sie Ausländer sind, ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar.
Sie finde den Aufmarsch der Rechten gut, sagt Judy. Einige hätten es zwar übertrieben mit der Gewalt. “Aber wir brauchen die Rechtsextremen, wir brauchen Menschen, die mal in den Stadtpark gehen und einen umklatschen. Wenn wir Frauen demonstrieren gehen, wäre das doch allen egal”, sagt die 32-Jährige. Wegen der männlichen Flüchtlinge fühle sie sich unwohl. Ihre Freundin nickt.
Es sind schockierende Sätze. Doch, vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich mich seit Jahren der selbstgewählten Aufgabe widme, von Relevanten Strukturen zu reden (mehr Infos zum Buch hier). Es ist zufällig (sprich: wir wissen es nicht im Voraus), wie der einzelne Würfel fallen wird, doch wie die Zahlen bei sechstausend Würfen grob verteilt sein werden, das wissen wir recht genau.
Ähnlich ist es mit der Moral der Menschen: Nach so und so vielen Würfen werden sie immer bei den Strukturen ankommen, die ihnen relevant sind – ob das den Eliten passt oder nicht.
Gewalttätigkeit ist Krebs für die Gesellschaft, doch ist sie der ausstrahlende Herd, oder sind es »nur« die Metastasen. Wer heute von der »Weimarer Republik« spricht, diesem Vorabend des Dritten Reichs, der meint auch politisch motivierte Gewalttätigkeit. Wie entfernt man Verhalten, das a) dem Menschen innewohnt und b) immer neues Trägergewebe findet?
Die neue Gewalt wird mehr werden, denn sie ist nicht das Problem selbst. Ohne Zweifel ist es notwendig, kurzfristig die lokale Gewalt mit der einzigen legitimen »Gewalt«, der staatlichen, einzudämmen. Ohne Zweifel ist es gefährlich, wenn Einheizer weiteres Öl ins Feuer kippen.
Doch die Gewalt in Chemnitz, in Hamburg und überall sonst, wo Gruppen das Recht in die eigene Hand nehmen, dieses Verhalten sind nur Metastasen – der eigentliche Herd sitzt tiefer.
Der eigentliche Herd
Solange der eigentliche Herd ignoriert wird, wird es schlimmer werden. Krebs ist eine Unordnung der Zellen – Schlägereien und gewalttätige Mobs sind die Metastasen, die von einer tieferliegenden Unruhe der Gesellschaft ausstrahlen.
Was tun? Ich kann Ihnen nur meine Diagnose anbieten, und meinen Therapievorschlag. Meine Diagnose haben Sie eben gelesen. Mein Therapievorschlag ist nicht neu: Ich meine, dass das Glück des Menschen darin zu suchen ist, dass er erkennt, was seine wirklich »relevanten Strukturen« sind, seine »Kreise« sozusagen.
Bislang habe ich es nur dem einzelnen Leser zugerufen: Ordne deine Kreise! – Vielleicht sollten wir die Kreise weiter ziehen: Deutschland, denke darüber nach, was deine wirklich relevanten Strukturen sind – die Launen linker Eliten in Berlin oder das Wohl der echten Menschen, der Arbeiter und Arbeiterkinder?
So schrecklich es ist, was passiert und was noch passieren wird, so kühl lässt sich eine Diagnose treffen: Deutschland ist in Unordnung, und die Unordnung beginnt zu metastasieren.
Leute wie jene Staatssekretärin scheinen weitere Radikalisierung zu empfehlen. Ich empfehle das Gegenteil. Wie der BILD-Mann sage ich, dass es selbstverständlich der erste Schritt sein muss, das Chaos vor Ort zu unterbinden. Doch das wird nicht genügen, denn der Herd wird weiter ausstrahlen, es wird mehr Gewalt geben, solange wir die Ursache, die innere Unordnung, nicht benennen und beheben.
Deutschland, ordne deine Kreise – oder schau eben zu, wie die öffentlichen Mobs alltäglich werden! Das Problem ist, dass die linken wie rechten Schläger das Epiphänomen einer tieferen Unordnung sind.
Wenn Deutschland nicht bald den linksgrünen Wahn abschüttelt und zurückkehrt zu jener Vernunft, die das Land einst stark gemacht hat, werden wir uns noch nach den heutigen Tagen zurücksehnen. Heute ist die Zeit, von der man später sagen wird: Wie konnten die nicht sehen, worauf sie zusteuern? Waren die denn alle blind? – Nein nicht alle, nur die, welche die Macht in Staat und Staatsfunk erlangt hatten.
So schrecklich sie ist: die Gewalttätigkeit ist »nur« das zweite Problem. Das erste Problem ist die Unordnung, die in der offenen Gewalt metastasiert.
Es ist so einfach und so schwer zugleich: Deutschland, ordne deine Kreise! Deutschland, du kannst es noch eine Weile laufen lassen, dann werden eben andere deine Kreise für dich ordnen … es wäre ja nicht das erste Mal.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com. – Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.
Dushan Wegner verstehen: