Die Konstruktion des Euro und die Beitrittskriterien waren von Anfang an ein Lügengebilde. Viele Länder haben sich in die Gemeinschaftswährung hineingepfuscht. Notenbanken und Politiker haben diesen Beitrittsbetrug gefördert. Internationale Investmentbanken kassierten dabei Milliarden.
von Frank Schäffler
Als die Lage der Eurozone noch nicht ganz so ernst schien, hörte man oft den wiederkehrenden Hinweis, dass es um Land X nicht so stehe wie um Griechenland: „Spanien ist nicht Griechenland“, sagte die spanische Finanzministerin Salgado im Februar 2010 und setzte später hinzu, „Spanien ist weder Irland noch Portugal.“ Der Economist textete, Portugal sei nicht Griechenland. Der irische Finanzminister behauptete, Irland liege nicht im griechischen Territorium. Alle landeten sie später in einem Hilfsprogramm. Demnächst werden wir italienische Politiker sagen hören: „Italien ist nicht Griechenland.“
Doch der Vergleich drängt sich auf. Unter der Woche wurde aufgedeckt, dass im italienischen Haushalt Milliardenrisiken versteckt sind. Vor Einführung des Euro führte man dort Derivate-Geschäfte durch. Man bekam einmalig eine hohe Summe von einer Investmentbank und als Gegenleistung versprach man die Zahlung einer Summe in der Zukunft unter bestimmten Bedingungen. Das brachte den Italienern einen netten Vorteil: Die sofort vereinnahmte Summe drückte das Defizit, während andererseits die Verpflichtungen aus dem Derivategeschäft nicht auf die Staatsschuld anzurechnen sind. Die Würze: Der Deal wurde durchgeführt, als Mario Draghi Generaldirektor in der italienischen Schatzbehörde war. Diese Funktion entspricht in etwa der eines beamteten Staatssekretärs, also dem ersten Mann nach dem Minister.
Nun ist ein Report aus dem italienischen Finanzministerium aufgetaucht, der die Risiken des Geschäfts offenbart. Italien hat 2013 einen geringen Teil der Derivategeschäfte verlängert. Es geht nur um rund 32 Milliarden Euro. Doch bereits aus diesem kleinen Teil sind innerhalb eines Jahres Verpflichtungen Italiens gegenüber seinen Gläubigern von mehr als 8 Milliarden Euro entstanden. Die Höhe des Betrags ist leicht erklärt: Wenn ich einen hohen Betrag jetzt erhalte, diesen nicht einmal verzinsen muss, dann ergibt das für den Vertragspartner nur Sinn, wenn er ein hohes Risiko auf mich abwälzt. Das Problem mit Risiken: Sie neigen dazu, Realität zu werden.
Die griechische Krise wurde seinerzeit ausgelöst, als die Marktteilnehmer die Höhe der griechischen Staatsschulden neu berechneten. Die Geldgeber Griechenlands hatten es bis dahin versäumt, die Zahlen kritisch zu prüfen und nahmen für bare Münze, was ihnen über den Zustand der Staatsfinanzen von Griechenland und Eurostat erzählt wurde. Nach und nach erhöhten sich die Defizite und die Staatsschuld der Griechen. Mit einem Mal erschienen sie als Kreditnehmer in neuem Licht und wurden für neue Schulden stärker zur Kasse gebeten. Diesen Fehler versuchen die Staatsfinanziers seitdem zu vermeiden. Staatsfinanzen, Wahrheit und Klarheit in den Zahlen, stehen im Fokus ihrer Aufmerksamkeit.
Vor einer solchen Neubewertung seiner Staatsschulden könnte nun auch Italien stehen. Für dieses Jahr erwartet die Kommission ein Defizit von 2,9 Prozent, wodurch der Schuldenstand auf 131,4 Prozent steigen soll. Selbstverständlich wird Italien das Defizitziel verfehlen und mehr Schulden machen. Damit ist Italien deutlich von den magischen 120 Prozent Staatsverschuldung entfernt, die irgendwann einmal als Grenze der Tragfähigkeit festgelegt worden sind. Diese Grenze ist so willkürlich zustande gekommen wie der Finanzbedarf der Anglo Irish Bank.
Der Rendite-Anstieg für italienische Bonds ist unterdessen bereits angelaufen. Italienische Bonds notieren wieder wie Anfang des Jahres. Noch profitiert Italien von seiner robusten und langfristig ausgerichteten Finanzierungsstruktur. Es bewegt sich aber am Limit. Die politische Klasse tut sich mit Reformen schwer. Die italienische Mediobanca erwartet gar, dass Italien innerhalb der nächsten 6 Monate Hilfen benötigt.
Italien ist nunmehr um eine Legende ärmer. Italien wurde lange zugute gehalten, dass es in den 90ern erfolgreich ein Primärdefizit in einen hohen Primärüberschuss von mehr als 5 Prozent verwandeln konnte. In 1997 stiegen bei gleichbleibenden Ausgaben die Einnahmen um 3 Prozent an und so konnte das Defizit „mit Hilfe einer erheblichen Anstrengung“ unter 3 Prozent gedrückt werden. Das verschaffte Italien den Eingang in den Euroraum. Heute wissen wir, dass nicht harte Sanierungsschritte im Haushalt, sondern Lug und Trug dafür verantwortlich waren.