Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wenn der Absturz von Germanwings 4U9525 geklärt sei. Doch der Schein könnte trügen. Zu schnell präsentierten Behörden und Ermittler das erschütternde Ergebnis. Dabei sind noch einige Fragen offen. Auch die Pilotengewerkschaft sagt: die Absturz-Ursache ist noch längst nicht geklärt.
Ein Massenmörder oder selbst ein Opfer?
Die Pilotengewerkschaft Cockpit hat vor voreiligen Rückschlüssen aus der vorläufigen Auswertung des Sprachrekorders der abgestürzten Germanwings-Maschine gewarnt. Gemäß den Ausführungen der französischen Ermittlungsbehörden habe der Kapitän das Cockpit verlassen und der Copilot danach bewusst einen Sinkflug eingeleitet - warum er dies gemacht habe, bleibe aber unklar, ebenso wie die Frage, warum der Copilot später nicht mehr reagiert habe.
Ebenso gäben die Ausführungen der Behörden noch keine abschließende Erklärung, warum der Kapitän später keinen Zutritt mehr in das Cockpit erlangen konnte, so die Gewerkschaft in einer Erklärung am Donnerstagabend.
Um hierauf Antworten zu finden, müsse zügig auch der Flugdatenschreiber gefunden und ausgewertet werden. "Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse auf der Basis von unvollständigen Informationen ziehen. Erst nach Auswertung aller Quellen werden wir wissen, was die Gründe für diesen tragischen Unfall gewesen sind", sagte Ilja Schulz, Präsident der Vereinigung Cockpit.
„Wir waren geschockt, als wir die neuen Erkenntnisse über den Absturz gehört haben. Allerdings handelt es sich hierbei um eine ersten Zwischenbericht. Viele Fragen sind noch offen“, sagte zuvor VC-Sprecher Jörg Handwerg dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).
„Woran macht man beispielsweise fest, dass der Sinkflug vorsätzlich eingeleitet wurde?“, fragte Handwerg. „Aus unserer Sicht sind noch andere Möglichkeiten als Vorsatz denkbar. Selbst der Staatsanwalt hat nicht von Suizid gesprochen.“ So wisse man zum Beispiel noch nichts über den technischen Zustand des Flugzeugs. „Deshalb brauchen wir eine Auswertung des Flugdatenschreibers.“
Cockpit warnte zudem davor, vorschnell Maßnahmen als Folge aus dem Unglück zu ergreifen. Nach dem Abschluss der Untersuchungen müssten Behörden, Fluggesellschaften und Piloten gemeinsam geeignete allgemeingültige Verfahren erarbeiten, um vergleichbare Tragödien zukünftig möglichst zu verhindern. Damit stellt sich die Gewerkschaft vorläufig gegen die in der Medienöffentlichkeit verbreitete Meinung, der Copilot habe Selbstmord begangen und 149 Menschen absichtlich mit in den Tod gerissen.
BILD: Germanwings-Kapitän wollte Cockpit-Tür mit Axt aufbrechen
Der ausgesperrte Pilot des Germanwings-Fluges 4U9525 hat angeblich wenige Minuten vor dem Aufprall der Maschine versucht, die verriegelte Panzertür des Cockpits mit einer sich an Bord befindlichen Notfall-Axt zu öffnen. Das berichtet "Bild" (Freitag) unter Berufung auf hochrangige Sicherheitskreise. Demnach wollte der Pilot die Cockpit-Tür mit der Axt zertrümmern, um ins Cockpit zu gelangen.
"Zu der Sicherheitsausrüstung eines A320 gehört auch eine Axt", bestätigte Germanwings-Sprecherin Katharina Muschalla gegenüber "Bild". Bis zu den Anschlägen vom 11. September 2011 war es möglich, die Cockpit-Türen im Notfall mit der an Bord befindlichen Axt einzuschlagen. Seither wurden die Türen aber massiv verstärkt und zusätzlich mit einem elektronischen Code gesichert, um zu verhindern, dass unbefugte Personen ins Cockpit gelangen können.
In psychiatrischer Behandlung?
Der Co-Pilot des abgestürzten Germanwings-Flugs 4U9525, Andreas L., war nach einem Bericht von "Bild" (Freitag) in medizinischer Betreuung. Wegen einer "schweren depressiven Episode" vor sechs Jahren sei L. in psychiatrischer Behandlung gewesen und habe sich auch vor dem Todesflug am vergangenen Dienstag in "besonderer, regelhafter medizinischer" Betreuung befunden, zitiert "Bild" aus internen Unterlagen.
L. hatte seine erste Pilotenausbildung vor sechs Jahren für mehrere Monate aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen müssen. Er soll damals an Depressionen und Angstzuständen gelitten haben. Wie "Bild" weiter schreibt, deutet auch ein Vermerk in der Akte von L. beim Luftfahrtbundesamt auf massive psychologische Probleme hin. In der Akte befindet sich nach "Bild"-Informationen die Codierung "SIC". Diese Abkürzung steht für eine "besondere, regelhafte medizinische Untersuchung".
Das bedeutet im Klartext, L. musste sich demnach regelmäßig der Kontrolle durch einen Arzt unterziehen. Das Luftfahrtbundesamt wird am Freitag einen Psychologen zur Akteneinsicht in dem Fall L. hinzuziehen, schreibt "Bild" weiter. Das sei ein deutlicher Hinweis darauf, dass der "SIC"-Vermerk sich in diesem Fall auf eine seelische Erkrankung beziehe. Der "SIC"-Vermerk findet sich laut des Berichts auch in der Piloten-Lizenz von Andreas L. wieder.
Das Aeromedical Center der Lufthansa teilte nach "Bild"-Informationen dem Luftfahrtbundesamt dazu zuletzt auf Nachfrage mit, dass im Jahr 2009 bei dem Piloten "eine abgeklungene schwere depressive Episode diagnostiziert worden ist". Die entsprechenden Unterlagen sollen nach der Analyse durch die deutschen Ermittlungsbehörden zeitnah auch an die in dem Fall ermittelnde französische Staatsanwaltschaft übergeben werden.
KenFM am Telefon: Peter Haisenko zum Absturz von Germanwings 4U9525