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Modern Money Theory missverstanden

Der Wirtschaftsnobelpreisträger und Autor der New York Times Paul Krugman nimmt Anstoß an einer Erklärung von James Galbraith und versucht zugleich, gewisse Ansichten der Modern Monetary Theory in Frage zu stellen. Der Finanzanalyst Edward Harrison, der sich selbst der Österreichischen Schule zurechnet, hält das Ganze für ein Missverständnis von Seiten Krugmans und erklärt gleichsam ein paar Grundzüge modernen Geldes.

 

 

von Edward Harrison , Übersetzung von Lars Schall

Ausgangspunkt der Debatte, die sich zwischen Paul Krugman und James Galbraith in den letzten Tagen ergab, war die Erklärung des Letzteren an die von Präsident Obama einberufene Ausgaben-Kommission vom 30. Juni (chaostheorien.de berichtete[1]).

Edward Harrison, der Herausgeber von “Credit Writedowns“ (www.creditwritedowns.com), fasst für uns ein wenig den Sachverhalt zusammen.

DIE KRUGMAN-GALBRAITH-DEBATTE

Paul Krugman schrieb eine Veröffentlichung bezüglich der Modern Monetary Theory (MMT) namens "I Would Do Anything For Stimulus, But I Won’t Do That (Wonkish)." Der Kern von Krugmans Veröffentlichung bestand darin, die Ansichten der MMT zu Geld und Defiziten anzufechten. Krugman schreibt:

„Derzeitig ist die wirkliche politische Debatte die, ob wir fiskalische Einsparungen brauchen, selbst wenn die Wirtschaft tiefgehend depressiv ist. Offensichtlich werde ich viel angegriffen – meiner Ansicht nach ist die Unterhaltung von Defiziten derzeit vollkommen angemessen.

Aber hier ist das Problem: es gibt eine Denkschule, die besagt, dass Defizite niemals ein Problem sind, solange ein Land seine eigene Währung herausgeben kann. Der prominenteste Befürworter dieser Sicht ist wahrscheinlich Jamie Galbraith, aber er ist nicht allein.

Nun denke ich, dass sich Jamie und ich in völligem Einklang darüber befinden, was wir derzeit tun sollten. Aber ich kann nicht einverstanden sein mit seiner Ansicht, dass:

,Solange US-Banken verpflichtet sind, die Schecks der US-Regierung anzunehmen – d. h. solange die Republik existiert – kann die Regierung Gelder ausgeben ohne Kredite aufzunehmen, wenn sie sich dafür entscheidet. (...) Zahlungsunfähigkeit, Bankrott oder auch höhere Zinsraten zählen nicht zu den tatsächlichen Risiken für dieses System.’“[2]

Krugman fährt fort, indem er ein Modell mit starken monetaristisch / neoklassisch eingebetteten Annahmen nutzt, um  seine Haltung klar zu machen. Jamie Galbraith reagierte darauf in der Kommentarspalte und ich veröffentliche hier seine Kommentare. Doch zunächst ein paar Worte.

Ich stimme damit überein, dass Defizite von Bedeutung sind. Aber ich nehme generell einen eher österreichischen / austeritären Standpunkt ein – also ist es selbstverständlich, dass ich das sagen würde.

Indes, so wie ich MMT verstehe, stellt Krugmans Veröffentlichung sowohl MMT als auch Galbraiths Erklärung falsch dar. Es gibt hier zwei separate Sachverhalte, die voneinander getrennt und isoliert behandelt werden sollten. Die erste Fragestellung hat mit Geld und der Quelle der staatlichen Finanzierung zu tun. Eine separate, gleichwohl damit im Zusammenhang stehende Fragestellung sind Defizite.

Was die Finanzierungsseite angeht, klingt es so, als ob Krugman in einer vom Goldstandard geprägten Sicht auf Geld gefangen ist, da er annimmt, dass die Regierung Staatsanleihen herausgeben muss, um sich finanzieren zu können. Er vergisst, dass wir in einer Fiat-Welt leben und dass die Steuern nicht die staatlichen Ausgaben finanzieren, was vom Staat verlangte, Staatsanleihen bei Steuereinnahmerückgängen herauszugeben. Erinnern wir uns: eine Fiat-Währung ist eine, die vom Staat geschaffen wird. Der Staat kann jede Verbindlichkeit in dieser Währung befriedigen, wenn er es will. Er kann einfach Konten elektronisch kreditieren, um seine Verpflichtung zu erfüllen – Staatsanleihen sind dazu nicht notwendig.

Hierzu schrieb ich in meinem Artikel “If the U.S. stopped issuing treasuries, would it go broke?“:

„Von staatlicher Perspektive gibt es keine funktionale Differenz zwischen irgendeiner seiner Obligationen wie Banknoten, elektronischen Krediten oder Staatswechsel und Anleihen. Wie die Zehn-Pfundnote besagt: ’I promise to pay the bearer on demand the sum of [fill in the blank sum] [fill in the blank fiat currency].’

Demnach könnte die US-Regierung legitimer Art das Herausgeben von Anleihen komplett einstellen, wenn sie das wollte. Wenn sich die Leute über die – zugegeben – enormen Staatsschulden beschweren, bedenken sie nicht den Mechanismus der Herausgabe. So wie ich das sehe, und zwar in einem Fiat-Geld-Umfeld, besteht die primäre Funktion der Staatsanleihen darin, als ein Vehikel zu dienen, das Reserven in das System addiert oder subtrahiert, um der Federal Reserve dabei zu helfen, eine angestrebte Federal Funds Rate zu erzielen.[3] Der zweite Grund besteht darin, den Inhabern von staatlichen Obligationen ein Return of Investment zu geben. Nach wie vor bezahlen Banknoten oder Bankreserven nicht viel bis überhaupt nichts.”

Das ist der Punkt, an dem der Österreicher in mir sagt: „Der Staat könnte ganz simpel Dinge mit dem Geld bezahlen, das er selber ‚aus dünner Luft’ elektronisch druckt.“ Diese Tatsache mag man vielleicht nicht mögen, aber praktisch ist das die Art und Weise, wie eine Fiat-Währung arbeitet. Ich würde argumentieren, dass dies wahrscheinlich zu Währungsumschwüngen führt (Krugman spricht von der Benutzung von Kohlebrocken als Geld) und Inflation.

Dazu schrieb ich in On the sovereign debt crisis and the debt servicing cost mentality:

„[W]ährend es für den Staat aufgrund der elektronischen Druckpressen keine operationale Einschränkung gibt, gibt es eine effektive Einschränkung in der Form von Schulden, Währungsumschwüngen und Preisstabilität (große Maße von Deflation oder Inflation). Für Länder wie Griechenland und Portugal in der Eurozone sind die operationalen Einschränkung sehr viel wirklicher, als sie es für das Vereinigte Königreich sind, und zwar wegen der Währungsunion.  Das Gleiche gilt für Länder mit einer Währungsanbindung oder großen Schulden in Fremdwährungen wie Lettland, Ungarn oder Dubai.“

Das Problem bei Defiziten ist also nicht die nationale Solvenz, sondern Inflation und Währungsentwertung. Das besorgt mich bei Defiziten. Wenn mich das zu einem Inflations-Falken und Anti-Defizit eingestellten Menschen macht, dann sei es so. Nichtsdestoweniger sagt MMT das Gleiche über Defizite, nämlich dass sie zu Inflation führen können. Jedoch sagt MMT auch, dass Inflation kein Problem sei, wenn man eine Produktionslücke mit 17%iger Unterbeschäftigung hat. MMT-Befürworter empfehlen Defizitausgaben, um diese Lücke zu schließen. Aber man kann unter MMT-Gesichtspunkten keine Ausgaben tätigen, wie man will; die Produktionslücke schließt sich eventuell und Inflation wird dann zu einem großen Problem.

Man beachte, dass Galbraith die Defizite niemals in seiner Erklärung spezifisch erwähnt. Ich denke nicht, dass er überhaupt über Defizite spricht. Seine Erklärung zielt mehr darauf ab, wie sich der Staat selber finanziert, d. h. durch Fiat-Geld, das er selber schafft. Er spricht des Weiteren über seine Ansicht, dass US-Banken dazu gezwungen sind, das staatliche Geld zu akzeptieren, weil sie Geschäfte mit dem einzigen legalen Zahlungsmittel in der Währungseinheit für Steuererhebungen tätigen wollen. Während Galbraith womöglich etwas zuversichtlicher ist, was die mittelfristigen Aussichten eines Währungsumschwungs angeht, als ich es bin, erwähnt er niemals Defizite.

Also missversteht Krugman MMT klarer Weise, weil es für mich so klingt, als ob er die gleiche Sache sagte. Man möge mich korrigieren, falls ich falsch liege.

Hier ist, was Galbraith bei den Kommentaren als Reaktion sagte:

James Galbraith

Townshend VT

July 17th, 2010

4:01 pm

Pauls Argument ist, dass *unendliche* Inflation eine theoretische Möglichkeit ist. Ja, stimmt. Sie passierte in Deutschland 1923.

Es gibt keinen Grund, um jetzt die Sozialversicherung und das Gesundheitssystem zu kürzen, mit Auswirkungen für die Zukunft, um dadurch die theoretische Möglichkeit zu verhindern, dass irgendeine Kombination von Politikansätzen uns irgendwann einmal in der Zukunft wirtschaftliche Konditionen des Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg beschert.

Diese Konditionen ergaben sich aufgrund größter Ressourcen-Einschränkungen.

In der wirklichen Welt, in der wir leben, muss der Staat "den Privatsektor nicht überreden, um reale Ressourcen freizugeben." In der wirklichen Welt hat der Privatsektor diese Ressourcen bereits in Form von Abermillionen Menschen freigegeben.

Alles, was der Staat in der wirklichen Welt zu tun hat, ist die Mobilisierung dieser Ressourcen, was er durch die Herausgabe von Schecks tut, vorzugsweise um Leute zu bezahlen, damit sie nützliche Dinge verrichten.

Es gibt keinen Grund, warum dies als „kostenreich“ angesehen werden sollte. Wenn es korrekt getan wird, führt es in ökonomischen Begrifflichkeiten nur zur Reduzierung jener Verschwendung, die in Verbindung mit Arbeitslosigkeit steht. Es ist auch nicht notwendig, wenn der Staat Schecks herausgibt, dass er eine Anleihe herausgibt, um sich das Geld hinter dem Scheck ‚auszuleihen’. Der Scheck schafft überhaupt das Geld. (Ja, das tut es "aus dünner Luft", indem Nummern auf einem Bankkonto verändert werden.)

Operational betrachtet ist das eine freie Reserve im Bankensystem. Der Grund, warum der Staat eine Anleihe späterhin herausgibt, ist der, dass die Banken eine höhere Rate auf die Zinsen haben möchten als sie mit Reserven verdienen, und der Staat mag es, ihnen diesen Gefallen zu tun.

Darin besteht der Grund, warum Auktionen des Schatzamts nicht fehlschlagen: der Staat hat schon die Nachfrage für die Anleihen geschaffen, indem es Schecks für das Bankensystem herausgab.

Falls der Staat zwar Ausgaben tätigt, aber weniger „ausleiht“, was passiert dann? Nicht viel. Banken würden ihre Reserven eher als Bargeld denn als Anleihen halten, und ihre Einkünfte würden ein wenig niedriger sein. Es ist nicht wahr, als eine Regel, dass die Leute (oder Banken) dazu bereit sind, Dollar mit Kohlebrocken zu ersetzen, es sei denn, das Preisniveau steigt bereits und ist außer Kontrolle.

Es ist sehr schwierig, andere Leute dazu zu bringen, Kohlebrocken statt Dollar zu akzeptieren!

Pauls Logikfehler ist hier die Konsequenz-Annahme. Er nimmt die Inflation an, die das Abstoßen von Geld verursacht. Wenn es aber kein Geldabstoßen gibt, wird Inflation nicht generell auftauchen.

Ja, noch einmal, es ist technisch möglich, dass die Banken und Andere beginnen würden, Dollar abzustoßen und stattdessen Öl, Weizen, Gummi usw. aufzukaufen (und Lagermöglichkeiten für diese Sachen zu leasen), und dadurch das Preisniveau steigern.

Ich schrieb — korrekter Weise und aus freien Stücken —, dass Bankrott, Insolvenz und höhere reale Zinssätze kein Risiko darstellen. Inflation ist ein Risiko.

Damit, um es klar zu sagen, meine ich, dass ein gewöhnlicher Feld-Wald-und-Wiesen-Anstieg der Inflation ein Risiko darstellt – nicht das Unendliche-Inflations-Szenario.

Inflation, obwohl unattraktiv, ist ungefähr mit Bankrott und Insolvenz vergleichbar, es sei denn, man nimmt Pauls *unendliches* Inflations-Szenario. Was hat’s also damit auf sich?

In seinem Modell rührt sie von seiner monetaristischen (Quantitäts-Theorie) Simplifikation, dass der Geldmengenanstieg direkt in die Preise einfließt. Aber das ist bloß ein Modell-Fehler. In der realen Welt, insbesondere unter ausgeprägt deflationären Konditionen, halten die Leute (und Banken) an ihrem Bargeld fest. Es gibt einen Paul Krugman, der das versteht, und zwar von seinen jahrelangen Nahstudien der japanischen Stagnation.

Dennoch, und noch einmal, in dem derzeitigen Zustand der Weltwirtschaft und für die überschaubare Zukunft – mit Ausnahme des Energiebereichs –, ist ein kleiner Anstieg der Inflationsrate sicherlich ein triviales Risiko. Meine Position ist, dass die Regierung sich auf die wirklichen Probleme fokussieren sollte: Arbeitslosigkeit, die Pflege der Alten, Energie, Klimawandel und die Katastrophe im Golf von Mexiko.

Das so genannte langfristige Defizit ist kein reales Problem. Und der Kapitalmarkt demonstriert jeden Tag, dass die Leute dort mit diesem Urteil übereinstimmen, indem sie langfristige Anleihen des Schatzamtes zu historisch niedrigen Zinssätzen kaufen.

JG

ERGÄNZUNG:

Der kanadische Fondsmanager und Finanzkommentator Marshall Auerback, der zu den prominenten Vertretern der Modern Monetary Theory in den USA gehört, erklärt in Bezug auf die Krugman-Galbraith-Debatte, die bestimmt noch weitergehen wird, exklusiv für chaostheorien.de:

„Wenn man sich die Daten bezüglich des Steuereinnahmenwachstums während der Regierungsjahre von Bill Clinton und George W. Bush anschaut, wird man beobachten, dass die staatlichen Einnahmen im Aufschwung jährlich über 15% zunehmen – typischerweise zwei- bis dreimal so schnell als das BIP und die staatlichen Ausgaben. Das ist der Grund, warum Defizite reduziert werden. Das Krugman-Szenario, in dem die Regierung immerzu Geld in die Wirtschaft ‚pumpt’, selbst wenn eine Vollbeschäftigung aller Ressourcen erreicht ist, ist nicht plausibel. In jedem Fall hat seine ursprüngliche Ablehnung der Modern Monetary Theory, wie sie von Galbraith adaptiert wurde, mit der Zahlungsfähigkeit zu tun, nicht mit der Inflation. Insolvenz ist eine Angelegenheit der Unfähigkeit, NOMINALE Verpflichtungen begleichen zu können, wenn sie fällig werden. Man wird nicht für eine Zahlungsausfallrückversicherung (credit default swap) ausbezahlt, nur aufgrund der Existenz von Inflation. Wenn der Staat Ausgaben tätigt, indem er Bankkonten kreditiert, gibt es keinerlei Situation, in der er diese versprochenen Zahlungen nicht tätigen kann. Krugman versuchte dies auf die Vollbeschäftigung aller Ressourcen zu übertragen, wenngleich der Staat nicht mehr Ressourcen hin zum öffentlichen Sektor bewegen kann. Aber noch einmal, das ist nicht plausibel – solange, wie es Ressourcen gibt, die man mit Dollar kaufen kann, ist der Bundesstaat in der Lage, mit dem Privatsektor um sie zu konkurrieren, und er kann gewinnen, indem er den Preis überbietet.

Man erkenne, dass ich eine solche Politik nicht befürworte. Tatsächlich ist dies der Grund, warum wir Preiskontrollen, Rationierungen und patriotisches Sparen benutzen, wenn uns ein Krieg über die Vollbeschäftigung hinausführt. Jamie weiß das sehr gut, da sein Vater, John Kenneth Galbraith, während unseres letzten Großen Krieges genau dafür verantwortlich war.”

Quellen:

[1] vgl. James Galbraith: „Warum die Ausgaben-Kommission nicht dem amerikanischen Volk dient“, veröffentlicht auf chaostheorien.de am 4. Juli 2010 unter: http://www.chaostheorien.de

[2] vgl. ebd.

[3] Mit der “Federal Funds Rate“ ist der Zinssatz gemeint, unter dessen Konditionen die US-amerikanischen Banken einander Geld verleihen. Eine andere Bezeichnung für diesen Sachverhalt, bei dem es darum geht, dass die Banken ihre Mindestreserveverpflichtungen einhalten, ist der Overnight Credit.

www.chaostheorien.de
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