Energiekonzept: Streit um Auslastung und Sicherheit. Bundesnetzagentur: Rechtzeitiger Netzausbau ist nicht zu schaffen – dena-Chef Kohler: Umweltminister Röttgen „radikaler als Rot-Grün“.
In den Schlussverhandlungen der Bundesregierung zum neuen Energiekonzept konzentriert sich der Streit neben der Laufzeit auf die dabei zu Grunde zu legende Auslastung und auf die Sicherheitsnachrüstungen. Nach Informationen des Magazins WirtschaftsWoche wollen die Beteiligten Minister Brüderle (Wirtschaft), Röttgen (Umwelt) und Schäuble (Finanzen) zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag ab 14 Uhr die Verhandlungen abschließen.
Differenzen gibt es noch über die Frage, mit welcher Auslastung der Kraftwerke die Laufzeitverlängerung in genehmigte Strommengen umgerechnet werden soll. Das Wirtschaftsministerium ist mit einer Auslastung der Anlagen von 95 Prozent in die Verhandlungen gegangen; diesen Wert hatte auch Rot-Grün beim Ausstiegsbeschluss 2002 zu Grunde gelegt. Umweltminister Röttgen plädiert dagegen für einen Wert von 80 Prozent, weil die AKW durch den starken Ausbau der Erneuerbaren Energien immer seltener mit voller Leistung liefen. Die erlaubte Strommenge fiele dadurch geringer aus.
Mit seiner Forderung nach einem Schutz gegen Flugzeugabstürze für alle Atomkraftwerke geht Röttgen deutlich über die Vorgaben der rot-grünen Bundesregierung hinaus. „So konkret hat es diese Forderung aus dem Ministerium nie gegeben“, sagte Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena) der WirtschaftsWoche. Kohler sieht die zusätzliche Betonhülle als „wirtschaftliches K.-o.-Kriterium. Ein bestehendes Kraftwerk mit einem Containment nachzurüsten, um es vor Flugzeugabstürzen zu sichern, das kann ich mir nicht vorstellen.“
Als langfristig größtes Problem für die Realisierung des künftigen Energiekonzepts zeichnet sich der Netzausbau in Deutschland ab. „Aus den Energieszenarien ergibt sich, dass wir in jedem Fall eine große Zahl neuer Trassen brauchen, um den Strom von der Küste in die Industriezentren zu leiten“, sagte Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur in Bonn, der WirtschaftsWoche. Natürlich ließen sich später die Leitungen, die bisher den Strom von den norddeutschen Atomkraftwerken ins Netz bringen, nach deren Ende für den Transport von Windstrom nutzen. „Aber das reicht bei Weitem nicht aus. Denn heute stehen die meisten Kraftwerke auch dort, wo der meiste Verbrauch stattfindet. Und das ist in Nordrhein-Westfalen, in Bayern und Baden-Württemberg.“
Bereits 2005 hatte die Dena ermittelt, dass schon für einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion von 20 Prozent 850 Kilometer neue Leitungen gebaut werden müssten – bis zum Jahr 2015. Doch davon sind erst 90 Kilometer fertiggestellt. „Die Hälfte der Zeit ist bereits vorbei, aber es gibt erst zehn Prozent der erforderlichen Strecke“, kritisiert dena-Geschäftsführer Kohler. Zwar seien etliche Trassen im Genehmigungsverfahren, aber rechtzeitig würden längst nicht alle Kabel fertig. „Die Dimension des Netzausbaus und die Speichertechnologien sind der Knackpunkt des Energiekonzepts.“
Kurth sieht das genauso. „Wenn es schon erhebliche Verzögerungen bei den 24 gesetzlichen Modellprojekten gibt, wie soll das erst werden, wenn all die anderen Leitungen beantragt und genehmigt werden müssen?“ Die Ursache für die Verzögerung läge weder bei seiner Behörde noch den Netzbetreibern. „Wer Geld und Genehmigung hat und trotzdem nicht baut, den könnte man schon heute zum Bau zwingen. Aber so einen Fall habe ich noch nicht erlebt. Der Engpass sind nur die nicht vorliegenden Genehmigungen.“
Das aber ist Ländersache. „Die Genehmigungsbehörden haben zum Teil zu wenig Personal“, so Kurth. „Man kann auch nicht einfach kurzfristig 20 arbeitslose Juristen holen und an die komplexen Verfahren setzen. Es fehlt an den hoch spezialisierten Experten.“ Schließlich müsste „diese knifflige Materie“ gerichtsfest bewältigt werden. Das Bundesumweltministerium prüft, ob sich Genehmigungen seitens des Bundes erzwingen ließen.