In Deutschland breitet sich ein neuartiges Betrugsphänomen aus: Organisierte Banden betrügen die Familienkassen, indem sie sich von diesen Kindergeld auszahlen lassen - für Kinder, die entweder nicht existieren oder die nicht in Deutschland leben.
Laut eines Berichts der "Welt am Sonntag" liegt die Schadenssumme für die öffentlichen Haushalte pro Jahr im dreistelligen Millionenbereich.
Der bundesweite Leiter der für das Kindergeld zuständigen Familienkasse, Karsten Bunk, sagte der Zeitung: "Wir beobachten diesen organisierten Kindergeldbetrug seit ein, zwei Jahren."
Hinter dem Betrug stehen demnach häufig professionelle Banden, die gezielt EU-Bürger aus Südosteuropa anwerben, ihnen ein besseres Leben in Deutschland versprechen und sie hier mit fingierten Unterlagen wie Geburtsurkunden für nicht existente Kinder oder Schulbescheinigungen für Kinder, die in Wahrheit im Heimatland leben, ausstatten.
Das zu Unrecht gezahlte Geld fließt den Recherchen zufolge häufig nicht an die Antragsteller selbst, sondern zum großen Teil an die Drahtzieher.
Der Grund, warum sich diese Kriminalitätsart derzeit so stark ausbreite, sei die volle Freizügigkeit, die mit der EU-Osterweiterung kam, so Bunk. Seither haben deutlich mehr EU-Bürger in Deutschland Anspruch auf Sozialleistungen.
Kindergeld-Empfänger in Rumänien, Bulgarien
Das Kindergeld ist einer der größten Ausgabenposten der öffentlichen Hand. Pro Jahr zahlt die Familienkasse, die der Bundesagentur für Arbeit unterstellt ist, 32 Milliarden Euro an Kindergeld aus, für 15 Millionen Kinder.
Darunter sind 127.000 rumänische und 78.000 bulgarische Kinder. Bei einer Stichprobe in Düsseldorf und Wuppertal kam heraus, dass bei 40 von 100 Kindergeldberechtigten, die drei oder mehr Kinder zu haben angegeben hatten, die Angaben falsch waren.
Dies lasse allerdings nicht darauf schließen, dass bei rumänischen oder bulgarischen Familien der Betrugsanteil generell 40 Prozent betrage, so der Familienkassenchef. Zudem stammten die organisierten Netzwerke auch aus anderen Herkunftsländern.
Um den Betrug besser verfolgen zu können, fordert Familienkassen-Leiter Bunk von der Politik, eine bessere Vernetzung von Behörden wie seiner mit den Ordnungsämtern und der Polizei zu gestatten. Einer der bundesweit 14 Standorte der Familienkasse, Nordrhein-Westfalen West, versucht derzeit in einem Pilotprojekt, der neuen Betrugsart Herr zu werden - unter anderem mit Außendienstmitarbeitern, die an Razzien teilnehmen und Familien überprüfen, die in sogenannten Schrott-Immobilien untergebracht sind.
Das Bundesfinanzministerium, das die oberste Zuständigkeit für die Ausgaben der öffentlichen Hand hat, teilte auf Anfrage mit, dort sei das Problem bekannt und man arbeite bereits an seiner Bekämpfung. Unter anderem habe der Gesetzgeber bereits erste Maßnahmen zur Verbesserung des Datenabgleichs verabschiedet.
Aus Sicht der Familienkasse reichen diese jedoch nicht. Die FDP nimmt das Betrugsphänomen zum Anlass, das gesamte Konstrukt der Transferleistungen für Familien infrage zu stellen.
"Deutschland gibt etwa 200 Milliarden Euro für über 150 familienpolitische Leistungen aus. Das durchblickt niemand mehr und das erleichtert Missbrauch", sagte die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Katja Suding.
Am wirksamsten könne Missbrauch bekämpft werden, indem alle staatlichen Leistungen gebündelt und in Form eines Bürgergelds von einer zentralen Stelle ausgezahlt würden - wo dann alle nötigen Daten vorlägen, die von geschultem Personal kontrolliert werden könnten.
"Die Akzeptanz unseres Sozialstaats hängt wesentlich davon ab, dass die Leistungen diejenigen erreichen, für die sie gedacht sind. Das muss Priorität haben", so Suding.
Foto: Spielendes Kind, über dts Nachrichtenagentur