Die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, wegen drohender Energie-Engpässe im Herbst schnell ein Spitzentreffen mit allen wichtigen Akteuren aus dem Bereich der Energieversorgung zu organisieren. "Wir alle - Bundesregierung, Unternehmen, Beschäftigte und private Haushalte - müssen uns darauf einstellen, dass es im Herbst mit der Energieversorgung sehr schwierig werden kann", warnte der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Samstagausgabe). "Wenn es jemals Anlass zu einem Energiegipfel unter Führung von Bundeskanzler und Wirtschaftsminister gab, dann jetzt."
Deutschland müsse ich mit hoher Dringlichkeit auf einen solchen Ernstfall einstellen und "besser heute als morgen" nötige Vorbereitungsschritte auf Spitzenebene abstimmen, sagte Vassiliadis. Zentral sei dafür eine Klärung, wie viel Gas für welche Zwecke zur Verfügung stehe: "Was entfällt auf die Nutzung als Rohstoff in der Produktion, was auf Strom-, was auf Wärmeproduktion?" Zugleich stünden wichtige Folgeentscheidungen an, zum Beispiel zum Abbau von Braunkohle: Wenn nun zur Stromerzeugung mehr Kohlekraftwerke in Reserve gehalten würden, "dann müssen auch die Bedingungen geklärt sein, unter denen in den Braunkohletagebauen im Bedarfsfall der Abbau weiterlaufen kann", so Vassiliadis. Auf die Frage, ob für ihn der geplante Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 in Frage stehe, antwortete er: "Dazu sehe ich keinen akuten Anlass. Bis dahin bleibt noch Spielraum, die Abschalttermine der einzelnen Kohlekraftwerke je nach Bedarf anzupassen." Am Ende hänge alles davon ab, wie sich der Ausbau erneuerbarer Energien und der Stromnetze weiter beschleunigen lasse. "Auch das sollte Thema eines solchen Gipfels sein", sagte Vassiliadis.
Zu einem möglichen Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in Deutschland äußerte sich der IG-BCE-Vorsitzende zurückhaltend, verwies aber auf die deutlich größerer Bedeutung von Kernenergie in anderen EU-Ländern. "Dort sollte Deutschland das nicht behindern, sondern freie Bahn geben", forderte er. "Denn womöglich werden wir noch froh sein, Atomstrom aus Frankreich importieren zu können - sofern sie dann überhaupt etwas für uns übrig haben." Ob sich der Weiterbetrieb der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke lohne, sei offen. In der Diskussion über härtere Sanktionen gegen Russland bekräftigte Vassiliadis seine Ablehnung eines sofortigen Gas-Embargos. Das von der EU-Kommission geplante Öl-Embargo befürwortete er unter Bedingungen: "Auch das bringt große Belastungen, weil es den ohnehin starken Preisanstieg weiter verschärft", sagte er. "Aber gerade wegen seiner Rolle in der Abhängigkeit von russischem Gas sollte Deutschland das geplante Ölembargo unterstützen." Dies stehe aber "unter der Voraussetzung, dass die Belieferung der ostdeutschen Raffinerien, die besonders abhängig von russischem Öl sind, über alternative Wege gesichert ist."
Foto: IG BCE, über dts Nachrichtenagentur