Die türkische Lira stürzt bedrohlich ab und könnte den Euro mit sich reißen. Auch Argentinien und Brasilien stehen währungstechnisch im Feuer. Droht die nächste Finanzkrise?
Von Michael Mross
Bewegungen an den Währungsmärkten gelten in der Regel als treffsicherer Indikator für zukünftige Krisen. Und was sich derzeit am Horizont abzeichnet sieht alles andere als gut aus.
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit breitet sich ein Währungsbrand in Südamerika aus. Der argentinische Peso entwertet sich von Tag zu Tag. Das Land steht mit dem Rücken an der Wand und der Flächenbrand weitet sich bedrohlich aus: Auch der brasilianische Real ist zum Abschuss freigegen und die Währungen anderer Länder in Südamerika geraten bedrohlich ins Wanken.
Währungsabwertungen sind tödlich für das Bankensystem - weil dann Schulden nicht mehr zurückgezahlt werden können, die oft in Dollar gemacht worden sind. Folge: Unternehmenspleiten, Banken bleiben auf den Schulden sitzen - Bankenkrise.
In Sachen Währungskrise muss man aber nicht bis nach Südamerika schauen, denn es brodelt vor der Haustür:
Türkische Lira gegen Euro - 1 Jahr
Türkei am Abgrund
Eine besonders bedrohliche Situation zeichnet sich in der Türkei ab. Die türkische Lira hat im Verlauf des letzten Jahres 30% an Wert verloren und wertet praktisch jeden Tag weiter ab. Das ist an Dramatik kaum zu überbieten. Denn die Türkei gehört zwar nicht zum Euro ist aber über die kommunizierenden Röhren des Finanzsystems direkt mit Resteuropa verbunden.
Und mitten drin dabei: Viele Geldhäuser der Euro-Zonen-Südschiene. Das ist wohl auch mit ein Grund, warum der Euro in letzter Zeit abschmierte: Wegen Sippenhaft.
Die Rechnung ist einfach: Kippt die Türkei, fällt die Eurozone hinterher. Eine Bankenkrise wäre unausweichlich und damit eine neue Finanzkrise.
Wirtschaftshistoriker Russell Napier sieht im NZZ-Interview schwarz für die Zukiunft. Die Türkei steht am Abgrund: "Die Insolvenz der Türkei ist keine Frage der Zeit mehr - der Anfang ist schon gemacht" prognostiziert er. Wenn das stimmt - und die Währungsverwerfungen zeigen es - können wir uns warm anziehen. Denn es droht nichts geringeres als eine zweite Finanzkrise, die noch viele schlimmer ausfallen könnte als die letzte.
Auszug aus dem NZZ-Interview
Napier sieht im im globalen Kreditsystem erste frühe Krisensymptome:
"Der Dollar wird dann stark, wenn sich ein Kreditereignis (Anm. Pleite) abzeichnet. Das ist aus drei Gründen der Fall. Erstens ist Europa nicht mehr so wachstumsorientiert, wie es war. Zweitens riechen die Anleger Stress im globalen Kreditsystem. Drittens sehen die Renditen amerikanischer Staatsanleihen ziemlich attraktiv aus, wenn man sie mit jenen nordeuropäischer Staaten und Japans vergleicht."
Wo sehen Sie konkrete Hinweise auf Probleme im Kreditsystem?
"Zunächst sind in den vergangenen Jahren weltweit rekordverdächtig viele Dollar-Verbindlichkeiten eingegangen worden. Dazu kommen die Schwierigkeiten Argentiniens, den Wechselkurs des Peso stabil zu halten. Zweitens können mehrere türkische Firmen ihre Schulden nicht mehr bedienen, vor allem die in fremden Währungen.
International tätige Finanzinstitute, die der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ihre Positionen melden, weisen Gegenparteirisiken von mehr als 400 Mrd. $ mit Bezug zur Türkei aus. Dazu kommt die Tatsache, dass verschiedene chinesische Firmen von der Regierung gerettet werden mussten, weil sie mit ihren Dollarkrediten nicht mehr klargekommen sind. In Europa ist der sogenannte Ted-Spread, also der Aufpreis für variabel verzinstes Fremdkapital in Dollars, auf das Niveau gestiegen, auf dem er im Jahr 2007 war."
Deutet das auf künftigen Ärger an den Finanzmärkten hin?
"Ja – und die Türkei fällt in diesem Zusammenhang aufgrund der enormen Unwägbarkeiten am stärksten auf. Dabei geht es nicht nur um die Forderungen vor allem französischer und italienischer Banken, sondern auch um die Risiken, die internationale Obligationenfonds in ihren Büchern haben.
Diese Finanzinstitute stehen wohl noch nicht vor Solvenzproblemen, aber ihre Profitabilität und die Wachstumsmöglichkeiten könnten deutlich beeinträchtigt werden. Dazu kommt die Frage, was im Krisenfall mit den 3 Mio. Flüchtlingen in der Türkei passieren wird und ob die Vereinbarung mit der Europäischen Union turbulentere Zeiten übersteht."
Sie fürchten die Insolvenz der Türkei?
"Diese findet doch gerade statt. Ich kann Ihnen mehrere Firmen nennen, welche ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Ein Beispiel ist die Telekom-Holding Otas, ein weiteres das Konglomerat Dogus, das seine Verbindlichkeiten restrukturieren musste.
Es ist keine Frage der Zeit mehr, bis es so weit kommt, sondern der Anfang ist schon gemacht. Letztlich wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in meinen Augen nicht darum herumkommen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, um Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig tiefen Zinsen zu erzielen. Das wäre die De-facto-Insolvenz, weil viele Firmen ihre Auslandsverbindlichkeiten aus juristischen Gründen nicht mehr bedienen könnten."