Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Die Lage auf den internationalen Finanzmärkten ist ernst. Sie ist in dieser Form
noch nie da gewesen. Sie stellt vieles, was als selbstverständlich galt, infrage.
Sie bestätigt manches, was mit Gier, verantwortungsloser Spekulation und
Missmanagement im Finanzsektor verbunden wird.
Heute ist nicht die Stunde, die Lage schwarz zu malen. Aber es ist wahrlich auch
nicht die Stunde, die Lage schönzureden. Es ist die Stunde, zweierlei zu
schaffen: zum einen sehr kurzfristig zu denken, zu bewerten und dann zu
entscheiden, also klassisches Krisenmanagement zu leisten, wie es die
Bundesregierung zum Beispiel mit dem Rettungsplan für die Hypo Real Estate
gemacht hat und macht und wozu wir auch weiter jederzeit bereit sein müssen. Zum
anderen ist es die Stunde, über den Tag hinaus zu denken, zu bewerten und zu
entscheiden, das heißt, eine neue Systematik für das Zusammenwirken aller im
Finanzsektor Tätigen zu entwickeln, also eine Zukunftsperspektive zu gestalten
und präventiv zu handeln.
Beides, das klassische Krisenmanagement von Tag zu Tag wie auch die Entwicklung
der Zukunftsperspektive über den Tag hinaus, macht die Bundesregierung. Ich
möchte mich bei denen im Parlament, die dabei hilfreich sind, für die
Unterstützung bedanken und auch für den Geist, in dem wir die Unterrichtung der
Fraktionen bisher vorgenommen haben.
Meine Damen und Herren, was stand am Anfang?
In den USA wurden über Jahre hinweg in unverantwortlicher Weise Immobilienkredite
an Bankkunden vergeben, bei denen keine Aussicht auf normale Rückzahlung des
Darlehens bestand. Alle Beteiligten verließen sich auf ständig steigende
Immobilienpreise und niedrige Zinsen. Die Risiken aus diesen Krediten wurden
weiterverkauft, neu verpackt, weltweit gestreut und waren damit der Keim der
weltweiten Finanzmarktkrise.
Traditionsreiche Investmentbanken mit klangvollen Namen sind in den USA von einem
auf den anderen Tag vom Markt verschwunden. Aus der amerikanischen
Immobilienkreditkrise ist inzwischen eine globale Finanzmarktkrise geworden. Das
Vertrauen die wichtigste Währung der Finanzmärkte ist verloren gegangen. Die
Banken misstrauen sich gegenseitig und gewähren sich kaum noch Kredite.
Angesichts der besonders engen Verflechtung der Akteure im Finanzbereich sind
inzwischen auch solide Institute von der Finanzmarktkrise betroffen, und
Deutschland ist davon nicht ausgenommen.
In dieser Situation ist es von entscheidender Bedeutung, das Vertrauen in die
Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte schnell und entschlossen zurückzugewinnen.
Dazu sind kurzfristige Maßnahmen notwendig. Worum geht es bei diesen
kurzfristigen Maßnahmen?
Erstens ging es in Deutschland darum, die Hypo Real Estate in einer akuten
Notlage zu retten. Nichts zu tun, hätte nicht nur für den Pfandbriefmarkt,
sondern auch in viel tieferer Weise unabsehbare Schäden gehabt. Alle Fachleute
haben uns gesagt, dass dies ein "systemisches Risiko", wie man das in der
Fachsprache nennt, hervorrufen würde. Deshalb haben private Banken und vor allem
die Bundesregierung eine Bürgschaft zur Verfügung gestellt. Ich möchte mich bei
dieser Gelegenheit beim Haushaltsausschuss bedanken, der das Ganze sehr gut
begleitet hat. Ich will allerdings noch darauf hinweisen, dass wir im
Zusammenhang mit dieser Bürgschaft auch darauf Wert gelegt haben, dass dafür ein
Entgelt genommen werden kann. Das heißt, dass dieses Institut das Geld nicht
einfach umsonst vom Staat bekommt.
Es ging also darum, den Liquiditätsbedarf der HRE zu decken. Als am Wochenende
noch einmal bislang unbekannte Liquiditätsbedarfe aufgetreten sind, mussten wir
Neuverhandlungen beginnen, die allerdings so enden konnten, dass der
Bürgschaftsrahmen, der in der vergangenen Woche gegeben wurde, nicht
überschritten werden musste. Das ist gelungen, weil die Bundesbank dabei sehr
hilfreich war.
Meine Damen und Herren,
wir haben dann darauf gedrungen wieder zusammen mit anderen , dass das
Management der HRE ausgewechselt wird. Das ist heute geschehen. Wir glauben, dass
das die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass wieder Vertrauen in dieses
Institut entstehen kann. Wir setzen darauf, dass das auch gelingt.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen: Wir haben heute im Kabinett darüber
gesprochen, dass es in Deutschland sehr wohl rechtliche Grundlagen gibt, um
Manager und Aufsichtsräte in die Haftung zu nehmen. Wir stellen allerdings fest,
dass diese gesetzlichen Regelungen so gut wie nicht genutzt werden. Ich glaube,
wir alle sollten darauf schauen, wie wir es dazu bringen können, dass sie besser
genutzt werden, oder wie wir Gesetze so ändern, dass sie genutzt werden. Auch das
halte ich für absolut zwingend.
Wir haben zweitens im akuten Krisenmanagement am Samstag ein Treffen der
europäischen Mitglieder der G-8-Gruppe mit dem EZB-Präsidenten und Jean-Claude
Juncker gehabt. Wir haben dabei die Übereinstimmung gefunden, dass die
Europäische Zentralbank Liquidität in ausreichendem Maße zur Verfügung stellt.
Das ist in diesen Zeiten ausgesprochen wichtig.
Wir haben uns in Paris drittens darüber geeinigt, dass die Bilanzierungsregeln
denen der amerikanischen Standards anzugleichen sind.
Das ist eine der wichtigsten Maßnahmen für unsere Bankinstitute gerade auch in
Deutschland.
Wir haben im Augenblick keinen fairen Wettbewerb zwischen dem amerikanischen
Bereich und dem europäischen. Es wird jetzt darum gehen denn es geht hier um
Tage und nicht um Monate , dass wir nicht über das normale
Rechtsetzungsverfahren Richtlinie, Europäisches Parlament, nationale Umsetzung
vorgehen, sondern einen Weg finden, dass die europäischen Staaten dies schnell
anwenden können. Ich danke dem Finanzminister, dass er die Bemühungen hierfür
bereits begonnen hat.
Viertens wissen wir, dass wir in einem europäischen Binnenmarkt agieren.
Natürlich stellt sich die Frage, wie nationale Aktionen mit europäischen zu
verzahnen sind. Dazu will ich sagen, welche Wege aus meiner Sicht nicht geeignet
sind. Nicht geeignet ist der irische Weg, unabgestimmt eigene Bankinstitute unter
einen Schirm zu stellen, andere internationale Institute, die auch lange in
Irland Steuern gezahlt haben, nicht in diesen Schirm mit einzubeziehen und damit
natürlich Wettbewerbsverwerfungen hervorzurufen, die aus meiner Sicht im
Binnenmarkt nicht akzeptabel sind.
Ein aus deutscher Sicht ebenfalls nicht akzeptabler Weg ist, dass 27
Mitgliedstaaten einen Schirm spannen und alle in einen Fonds einzahlen, um dann
mit 27 Staaten das entsprechende Krisenmanagement in den jeweiligen
Mitgliedstaaten zu betreiben. Ich glaube, das ist der Fähigkeit zu schnellen
Aktionen nicht zuträglich. Deshalb lehnen wir diesen Weg ab.
Wir brauchen aber natürlich ein kohärentes, ein gemeinsames Vorgehen. Deshalb war
es eine wichtige Botschaft des Ecofin-Rates, dass sich alle Mitgliedstaaten
verpflichten, Finanzinstitutionen, die systemische Risiken hervorrufen können,
wenn sie in eine Schieflage geraten, im jeweiligen Mitgliedstaat und darüber
hinaus zu stützen. Darauf müssen wir uns in Europa verlassen können. Deshalb
haben wir das bei der HRE gemacht, deshalb haben Frankreich und Belgien das bei
der Dexia gemacht, deshalb haben die Beneluxländer das bei Fortis gemacht; ich
könnte auch britische Beispiele aufzählen. Das ist Verlässlichkeit in Europa, die
wir natürlich dringend brauchen.
Fünftens. Im Zusammenhang mit dem Treffen in Paris hat die Kommission erklärt,
dass sie in den Beihilfeverfahren zum Beispiel, wenn Landesbanken Stützungen
erhalten die Spielräume voll und flexibel ausschöpfen will. Ich glaube, das ist
in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiges Signal.
All diese Maßnahmen dienen nicht etwa der Rettung von Institutionen als
Selbstzweck deshalb gibt es keine Blankoschecks oder dem Schutz von Managern, die
Fehlleistungen erbracht haben. Nein, alle diese Maßnahmen dienen dem
Funktionieren unserer Wirtschaft und vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern
in unserem Land.
Dazu gehört auch die am Sonntag vom Bundesfinanzminister und mir abgegebene
Erklärung im Namen der Bundesregierung, dass kein Sparer um seine Einlagen
fürchten muss. Ich sage hier noch einmal: Diese Erklärung gilt.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das Vertrauen in unsere
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die soziale Marktwirtschaft das ist meine
feste Überzeugung ist das beste Wirtschafts- und Sozialmodell, das es gibt.
Wie jede Krise bietet auch diese Krise des Finanzsektors eine Chance. Sie bietet
die Chance, dass alle innerhalb und außerhalb Deutschlands die internationale
Dimension der sozialen Marktwirtschaft erkennen, verstehen lernen und den
Anspruch erheben, sie gestalten zu wollen. Dafür haben wir während unserer
G-8-Präsidentschaft, konkret beim Gipfel in Heiligendamm, gekämpft. Damals das
muss man im Rückblick sagen war es vergebens; jetzt erkennt aber eigentlich auch
der Letzte, wie nötig es schon damals gewesen wäre, Vorschläge zu unterbreiten
und Maßnahmen zu treffen. Deshalb sind die gleichen Vorschläge natürlich
ausgeweitet Teil der Langfriststrategie der Bundesregierung für die Gestaltung
der sozialen Marktwirtschaft in ihrer internationalen Dimension.
Wir wissen deshalb können wir hier nicht nur national handeln , dass dafür ein
abgestimmtes europäisches und internationales Handeln erforderlich ist. Dies
haben wir immer wieder betont, zum Beispiel bei der Transparenzinitiative,
vertreten durch die Finanzminister sowie die Staats- und Regierungschefs.
Wir haben im September mit dem französischen Staatspräsidenten in einer
gemeinsamen Erklärung Deutschlands und Frankreichs alle europäischen und
internationalen Positionen zur Lösung der Probleme festgeklopft und sie dann in
einem Treffen mit dem britischen Premierminister und dem italienischen
Ministerpräsidenten konkretisiert.
Wir haben uns für Maßnahmen im internationalen Bereich eingesetzt. Dabei berufen
wir uns in besonderer Weise auf das, was von den Finanzministern mit
ausgearbeitet wurde: die Vorschläge, die das Forum für Finanzmarktstabilität im
April 2008 den G-7-Finanzministern, die ein wenig an der Ausarbeitung beteiligt
waren, vorgelegt hat. Daraus ergeben sich die entsprechenden Ziele.
Es geht um die Verbesserung des Liquiditätsmanagements. Es geht um die Behandlung
außerbilanzieller Risiken; wir haben bei der IKB schmerzhaft miterlebt, welche
Folgen sich daraus ergeben. Es geht um die Bewertung illiquider
Vermögensgegenstände. Es geht um Transparenzregeln auf den Finanzmärkten, und es
geht um den Umgang mit Ratings.
Die G-8-Staats- und Regierungschefs haben im Juli 2008 einen Fortschrittsbericht
des Forums entgegengenommen und gebilligt. Allerdings muss ich sagen: Auch im
Sommer war der Enthusiasmus über diese Regeln zumindest auf der Ebene der
Staats- und Regierungschefs noch nicht so groß, wie er hätte sein müssen.
Wir können allerdings feststellen, dass bei der Umsetzung bereits erste und auch
wesentliche Fortschritte zu verzeichnen sind. Zahlreiche weitere Vorschläge des
Forums sollen bis Ende 2008 verwirklicht werden. Der Bundesfinanzminister wird in
den nächsten Tagen nach Amerika reisen und diese Diskussion natürlich fortsetzen.
Die Bundesregierung wird also an der Spitze derjenigen stehen, die solche
Regelungen fordern.
Bis Ende 2008 müssen vergleichbare Arbeiten auf europäischer Ebene abgeschlossen
werden. Dazu gehört insbesondere die neue Regulierung von Rating-Agenturen; denn
diese haben einen erheblichen Anteil an den falschen Bewertungen, wie wir sie
jetzt erleben.
Man muss vor allem darauf achten, dass das Finanzsystem selbst die richtigen
Anreize setzt. Wir brauchen Finanzmärkte und adäquate Mechanismen, die nicht nur
aus Regulierungen, sondern auch aus Anreizen bestehen. Diese Anreize müssen so
gesetzt werden, dass eine einseitige Fokussierung der Banken auf kurzfristige
Unternehmensstrategien verhindert werden.
Eine Ursache der Krise war, dass Kredite vergeben wurden, die erst nach Jahren
fällig waren. Die Bonuszahlungen wurden aber bereits nach einem Jahr
ausgeschüttet, ohne dass man wusste, ob für dieses Produkt nach seiner
Bewährungsprobe überhaupt eine Zahlung eingeht. Das ist ein Unding und darf so
nicht sein.
Daraus resultiert, dass für die Vergütung der Manager der langfristige
Unternehmenserfolg und nicht die Kurzfriststrategie das entscheidende Kriterium
sein sollte.
Ich bin zuversichtlich, dass durch die Umsetzung der Empfehlung des Forums, die
Vorschläge der Europäischen Union und das Setzen richtiger Anreizstrukturen die
Grundlage dafür geschaffen wird, dass eine vergleichbare Krise in Zukunft nicht
mehr entstehen kann. Das heißt, dass wir eine Architektur bekommen, in der sich
solche Fehler verbieten.
Wir müssen in dieser Situation kritisch hinterfragen, ob die Bankenaufsicht ihren
Aufgaben gerecht geworden ist.
Wir brauchen eine vorausschauende Aufsicht, die sich aufbauende Fehlentwicklungen
rechtzeitig erkennt und die dann auch handelt. Dafür müssen Strukturen überprüft
und gegebenenfalls verbessert werden.
Das gilt für den nationalen Bereich, aber natürlich auch für den europäischen und
für den internationalen Bereich.
Deshalb wird die Bundesregierung überlegen in Bezug auf die nationale Ebene , ob
das Zusammenspiel zwischen Bafin und Bundesbank noch effizienter gestaltet werden
kann. Es muss auch sichergestellt werden, dass die internen
Entscheidungsstrukturen schnelle Reaktionen möglich machen. Wir sollten an dieser
Stelle keine Schnellschüsse machen, aber wir sollten konsequent an dieser Frage
arbeiten.
Meine Damen und Herren, diese Krise bietet die Chance, besser zu verstehen, dass
auf der einen Seite Freiheit und auf der anderen Seite Ordnung keine Gegensätze
sind, sondern dass sie in der sozialen Marktwirtschaft zusammengehören. Wir
wollen die menschliche soziale Marktwirtschaft. Das ist eine Marktwirtschaft, die
dem Menschen und dem Einzelnen dient.
Es gibt wahrlich nichts zu beschönigen. Dafür bietet die Lage keinen Anlass. Die
langfristigen Auswirkungen der Finanzmarktkrise sind heute noch nicht absehbar.
Das gilt auch für die Auswirkungen auf unser Wachstum und unser Land.
Wir sind eine exportorientierte Wirtschaft. Wir müssen uns mit gestiegenen
Energie- und Nahrungsmittelpreisen auseinandersetzen.
Ich sage in dieser schwierigen Stunde aber auch: Deutschland ist stark.
Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr gut aufgestellt. Daran haben
viele mitgewirkt. Deutschland ist für den globalen Wettbewerb gerüstet. Ich bin
der festen Überzeugung, dass uns das helfen wird, die Folgen der
Finanzmarktkrise, auch wenn es nicht einfach wird, zu meistern.
Der Reformkurs der Bundesregierung war und ist dafür unabdingbar, und er macht
sich bezahlt. Das umfasst die Haushaltskonsolidierung, die Senkung der
Lohnzusatzkosten, die Reaktionen auf die demografischen Veränderungen unserer
Gesellschaft ich erinnere an die Rente mit 67 und die konsequenten Investitionen
in Bildung und Innovation. Ich glaube, dass auch die Ergebnisse der Sitzung des
Koalitionsausschusses in der letzten Woche ein weiterer Beleg dafür sind.
Ich sage ausdrücklich: Gerade in dieser Situation werden wir diesen Weg
konsequent fortsetzen. Es wäre das allerfalscheste Signal, jetzt von dem Kurs
abzuweichen. Das Ziel ist, Vertrauen zurückzugeben, Vertrauen zu stärken; denn
Vertrauen, das ist die Währung, in der gezahlt wird. Ich glaube, dass jeder von
uns wir in diesem Hause, vor allen Dingen aber die Akteure im Lande einen
Beitrag dazu leisten kann, dass Vertrauen wiederhergestellt wird.
Die Bundesregierung ist entschlossen, diesen Weg ruhig und besonnen, aber mit
aller Entschlusskraft zu gehen.
Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: In diesen Tagen der Krise gibt es
viele, die bis an den Rand der Belastbarkeit arbeiten. Ich möchte all denen zum
Schluss dieser Regierungserklärung noch einmal ein Dankeschön sagen.
Ob es in der Bankenaufsicht, in den Ministerien oder zum Teil auch in den
privaten Banken ist wir brauchen Akteure, die sich für unser Land einsetzen. Es
ist gut, dass es sie gibt. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass wir diesen Weg
weitergehen können.
Herzlichen Dank.