Gespielt wurde die Karte einer gemeinsamen Zinssenkung zuletzt nach denTerroranschlägen vom 11. September 2001 - und damals waren weit wenigerNotenbanken im Konzert vertreten. Das Gute an dem Coup ist: Ersignalisiert den Finanzmärkten, dass die Zentralbanken den Ernst derLage erkannt haben und sich mit vereinten Kräften gegen die Krisestemmen. Die Signalwirkung einer gemeinsamen Aktion ist prinzipiellweitaus stärker als die von einzelnen Maßnahmen.
DasDramatische dagegen ist, dass die Zinssenkungen am Kern des Problemsder derzeitigen Finanzkrise vorbeigehen. Diese ist von einer anderenQualität und birgt ein vielfach größeres Bedrohungspotenzial für dieWirtschaft als das Platzen der Aktienblase im Jahr 2000 in Verbindungmit den Terroranschlägen im Folgejahr. Derzeit tobt eine globaleFinanzkrise, die sich zusammensetzt aus einer Immobilienkrise in denUSA sowie Teilen Europas, einer Kreditkrise und einer Bankenkrise. Jedeeinzelne davon besitzt das Potenzial, eine Rezession auszulösen.Kombiniert können sie die Weltwirtschaft in den Abgrund reißen.
Amschwersten wiegt, dass das gesamte westliche Bankensystem inzwischen amBoden liegt. Die Kreditinstitute trauen sich nicht mehr über den Weg,leihen sich unter einander kein Geld mehr aus. Viele unter ihnen habenSolvenzprobleme, verkürzen die Bilanzen, meiden das Risiko derKreditvergabe und gieren nach Kapitalspritzen. Eine Zinssenkung ist indem derzeitigen Umfeld ein stumpfes Schwert. Wenn die Banken keinenoder kaum Kredit vergeben, weil sie die eigenen Bilanzen aufräumen odersogar komplett unter gehen, werden die niedrigen Zinsen nicht an denUnternehmens- und Haushaltssektor weitergereicht. Die ökonomischeLogik, dass Investitionen sowie der Konsum stimuliert werden, bleibtdann ein frommer Wunsch. Neben der umfangreichen anekdotischen Evidenzaus dem Alltag der Unternehmen deuten auch die Daten aus denKreditumfragen der Notenbanken darauf hin, dass wir diesseits (bislangmit Ausnahme Deutschlands) wie jenseits des Atlantiks unweigerlich aufeine Kreditklemme zusteuern.
ZurEhrenrettung der Notenbanken sei aber gesagt, dass das Lockern derZinsschraube auch keinen Schaden anrichten wird. Zum einen ist dieKreditvergabe ja noch nicht völlig zum Erliegen gekommen. Zum anderenwerden sich die Inflationssorgen, die vor allem die EZB bislang vonZinssenkungen abgehalten und im Sommer sogar noch zu einer Erhöhungverleitet haben, sehr bald in Luft auflösen. Der bevorstehendewirtschaftliche Abschwung hat das Zeug, von der zweiten Hälfte deskommenden Jahres an die Gefahr einer Deflation auf die geld- undwirtschaftspolitische Tagesordnung zu setzen. Die Parallelen zurverlorenen Dekade der Japaner sind offensichtlich. Was droht, ist eindramatischer Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sowohl inden USA als auch in Europa. Weitere Zinssenkungen sind dannunvermeidbar. Aber sie werden aus besagten Gründen nicht reichen.
Wasist zu tun? Wichtig ist, dass zunächst der Bankensektor wieder zumLeben erweckt wird. Ohne ein funktionsfähiges Finanzsystem kollabiertdie Wirtschaft. Konkret gilt es am Kapital der Kreditinstituteanzusetzen. Die faulen Kredite aufzukaufen, wie es der Paulson-Plan fürdie USA vorsieht, ist der falsche Weg: Zum einen weiß niemand, wieviele der verseuchten Wertpapiere im Umlauf sind, zum zweiten gibt eskeinen Marktpreis dafür. Nicht von ungefähr haben die Finanzmärkte denGlauben an die Wirkung des 700-Mrd.-Dollar-Pakets bereits verloren,bevor überhaupt ein Cent geflossen war. Gezielte Kapitalhilfen privateroder staatlicher Geldgeber sind stattdessen ebenso erforderlich wieAusfallgarantien des Souveräns - in den USA, aber auch in Europa. Dieskann bis zur Verstaatlichung einzelner Institute führen. NeueBankenpleiten müssen ebenso verhindert werden wie öffentliche Panik,die zum Ansturm der Kleinanleger auf die Banken führen könnte. Nur wennder Kreditsektor gesundet, können Zinssenkungen der Notenbanken greifen.
Dassdas teuer wird, auch und vor allem für den Steuerzahler, ist sooffenkundig wie unvermeidlich. Aber diese ordnungspolitischen Bedenkenmüssen fallen angesichts der Alternative einer schwerenwirtschaftlichen Depression.