Dass der Dax kurzfristig die Marke von 4000 Punkten durchbricht, zeichnet sich klar ab. Interessanter ist die Frage, ob er auch noch unter 3000 Punkte rutscht.
Ab Mitte Oktober bricht für die Analysten stets eine arbeitsreiche und schwierige Zeit an. Es gilt, die Marktprognosen für das kommende Jahr zu erstellen und sie dem eigenen Vorstand, den Kunden und dann auch der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Diesmal sollte es den Experten besonders schwer fallen, die Entwicklung der Märkte vorauszusagen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise wütet rund um den Globus. Die Aktienkurse sinken so rasch, dass die Marktbeobachter kaum noch mit der Anpassung ihrer Kursziele hinterherkommen. Und so manchen Analysten mag auch ein schlechtes Gewissen plagen, schließlich lagen die meisten Banken vor einem Jahr mit ihren Vorhersagen für 2008 meilenweit daneben.
Gemäß einer Ende vergangenen Jahres bei 25 Häusern durchgeführten Umfrage der Börsen-Zeitung müsste der Dax Ende Dezember, also in knapp sechs Wochen, bei 8132 Punkten stehen. In der Realität sieht die Lage etwas anders aus, der deutsche Leitindex hält sich nur mit größter Mühe oberhalb von 4000 Punkten.
Trotz der enormen Unwägbarkeiten zeichnet sich bei vielen Analysten ein gemeinsames Thema ab, wenn sie die Fragen der bangenden Anleger und Kunden sowie der skeptischen Journalisten beantworten: Ja, es ist nicht auszuschließen, dass die Krise noch schlimmer wird.
Aber nein, den Aktienmärkten droht daraus kein oder kaum neues Ungemach, weil im Grunde alles längst in den Märkten eingepreist ist. Dies scheint sich freilich an den Börsen noch nicht so recht herumgesprochen zu haben: In der gerade beendeten Handelswoche krachte der Dax um mehr als 12% herunter, der US-Benchmark-Index S&P500 sogar um fast 14%.
Für den Optimismus der Analysten gibt es plausible Gründe. Keine Rolle dürfte dabei spielen, dass - wie böswillige Zeitgenossen gelegentlich kolportieren-von den Vorstandsetagen ein gewisser Druck auf die Analysten hinsichtlich des Tenors ihrer Prognosen ausgeht. Stattdessen darf man annehmen, dass die Analysten bereits in festlicher Weihnachtsstimmung sind, die einfach keinen Raum für allzu schlechte Nachrichten lässt.
Sucht man nach den Ursachen für die anhaltenden Kursverluste, so fallen gleich mehrere Faktoren ins Gewicht. So gibt es nach wie vor Hiobsbotschaften aus dem Bankensektor. Damit hat die Hoffnung, dass die Verluste verarbeitet sind und nun allmählich Ruhe einkehrt, getrogen. Inzwischen zeichnet sich ab, dass mehr oder weniger die gesamte Aktivseite der Bankbilanzen von der Krise erfasst ist. Es geraten offensichtlich immer neue Assetklassen, in denen Banken engagiert sind, in Schwierigkeiten: Hinsichtlich der Gefahren aufgrund von faulen Kreditkartenforderungen hat die Bank of America jüngst gewarnt. Zudem soll es bei gewerblichen US-Immobilien erste Schieflagen geben.
Rapide verschlechtert haben sich auch die konjunkturellen Aussichten, was die Konsens-Gewinnschätzungen der Analysten für die Unternehmen im S&P500 und auch im Dax immer noch nicht hinreichend widerspiegeln. So wird für das kommende Jahr gemäß der Konsensschätzung ein Anstieg der Gewinne im S&P500 von 14% erwartet - angesichts der schwersten Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist dies unrealistisch. Dass der Markt darauf sensibel reagiert, ist kaum verwunderlich.
Hinzu kommen weitere Faktoren wie der anhaltende Abverkauf der Hedgefonds. Auch hier ist es unrealistisch, von einem baldigen Ende auszugehen. Gemäß den Schätzungen von Branchenkennern dürften die Assets under Management von Hedgefonds im ersten Quartal um 600 Mrd. Dollar schrumpfen. Gegenüber den 100 Mrd. Dollar im Oktober dürfte sich das Tempo des Niedergangs der Hedgefondsbranche also eher noch beschleunigen - mit entsprechenden Folgen für die Märkte.
Dass der Dax kurzfristig die Marke von 4000 Punkten durchbricht, zeichnet sich klar ab. Interessanter ist die Frage, ob er auch noch unter 3000 Punkte rutscht. Da das Ausmaß der Krise und der Rezession kaum vernünftig auszuloten ist, werden sich die Anleger bis weit ins nächste Jahr hinein mit Käufen zurückhalten. (Börsen-Zeitung)