Die geplanten EU-Regulierungen des Finanzsektors killen den Kapitalmarkt - davor warnt die Rating-Agentur Moody's. Brandbrief an die EU-Kommission: Wenn die Maßnahmen so in Kraft träten wie geplant, „werden sie den Zugang europäischer Länder und Unternehmen zum Kapitalmarkt zum Erliegen bringen“ und außerdem „die Volatilität auf den europäischen Kreditmärkten erhöhen“
Die Ratingagentur Moody’s wehrt sich nach Informationen der Tageszeitung „Die Welt“ (Montagausgabe) gegen die Zügel, die die Europäische Kommission ihr und der Branche anlegen will. In einem Brandbrief an den polnischen Finanzminister Jan Vincent-Rostowski, den amtierenden Vorsitzenden des Rats der europäischen Finanzminister, warnt Moody’s vor gravierenden Folgen der geplanten Regulierung.
Wenn die Maßnahmen so in Kraft träten wie geplant, „werden sie den Zugang europäischer Länder und Unternehmen zum Kapitalmarkt zum Erliegen bringen“ und außerdem „die Volatilität auf den europäischen Kreditmärkten erhöhen“, heißt es in dem Schreiben, das auf den 31. Oktober datiert ist. Das Schreiben liegt der „Welt“ vor. Vincent-Rostowskis Sprecherin bestätigte der Zeitung, der Minister habe den Brief am 2. November erhalten.
Dass das Schreiben an die polnische Ratspräsidentschaft geht, zeigt: Die Atmosphäre zwischen der Kommission und den Ratingagenturen ist empfindlich gestört. Unterzeichnet von Moody’s-Präsident Michel Madelain ist der Brief in Kopie adressiert an alle europäischen Finanzminister, an die zuständigen Mitglieder der EU-Kommission und den Ratspräsidenten Herman van Rompuy.
„Wir haben den Brief an den Rat der Finanzminister vor allem geschrieben, weil die Qualität des Dialogs mit der Kommission dürftig ist“, sagte Moody’s-Europachef Frederic Drevon der „Welt“. Gemeint ist der zuständige Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Sein Entwurf ist noch gar nicht offiziell veröffentlicht, hat die Branche in seiner Schärfe aber schon überrascht. „Manche der Maßnahmen würden den Ratingagenturen die Möglichkeit rauben, ihre eigene Meinung zu sagen“, sagte Drevon.
Moody’s kritisiert drei brisante Punkte. Zum einen will die Kommission der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA Kontrolle über die Methodologie der Ratings geben. Die Agenturen müssten der ESMA ihre Bewertungskriterien melden und auf Zustimmung hoffen. Barniers Ziel ist es, einen einheitlichen Kriterienkatalog für alle Agenturen zu schaffen. Moody’s kritisiert, wenn die ESMA die Ratingkriterien festlege, werde sie selbst zum Ratinganbieter: Die Berichte der Agenturen würden „als Ratings der ESMA wahrgenommen (und tatsächlich wären sie wohl welche)“, heißt es in dem Brief.
Zweitens kritisiert die Ratingagentur die Rotationspflicht, die Barnier einführen will. Sie könne „Interessenskonflikte signifikant mindern“, heißt es im Kommissionsentwurf: Nur noch drei Jahre hintereinander, in speziellen Fällen auch nur ein Jahr lang, sollen Staaten oder Unternehmen eine Agentur beauftragen dürfen. Damit nehme die EU den Investoren eines der wichtigsten Mittel: nämlich Ratings eines Anbieters über mehrere Jahre hin zu verfolgen und zu vergleichen, klagt Moody’s. „Diese Maßnahmen missverstehen die Art, wie Investoren Ratingagenturen nutzen“, sagte Drevon der „Welt“.
Ein dritter Punkt hatte nach Bekanntwerden erster Details des Kommissionsentwurfs für die größte Verwunderung gesorgt: Barnier will unter bestimmten Umständen, etwa wenn ein Land Finanzhilfe von der EU erhält, die Veröffentlichung von Länderratings aussetzen. „Die pure Ankündigung einer Aussetzung wird das Vertrauen reduzieren und Volatilität schaffen. Das ist eine kontraproduktive Maßnahme“, sagte Drevon.