Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Deutschland zur Reform seiner Finanzaufsicht aufgefordert. „Egal, wer die Aufsicht in Deutschland durchführt, BaFin oder die nationale Notenbank, der Gesetzgeber muss die verantwortliche Institution dazu zwingen, diese Informationen an Bundesbank – sofern sie diese nicht schon hat – und die EZB weiterzugeben“, sagte Lorenzo Bini Smaghi, Mitglied im EZB-Direktorium, im Interview der Börsen-Zeitung.
Nach Auffassung Bini Smaghis zeigt die derzeitige Krise, dass die Zentralbanken „die relevanten Informationen aus den Banken zeitnah“ brauchten. „Die Bankenaufsicht muss die Verpflichtung haben, diese Informationen unmittelbar an die Notenbank weiterzugeben, und nicht erst in der letzten Minute“, betonte der Italiener.
In Deutschland, wo sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Bundesbank die Finanzaufsicht teilen, ist die BaFin laut Bini Smaghi vor dieser Informationspflicht geschützt. „Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen die Aufsicht Information wegen Vertraulichkeitsklauseln für sich behalten kann“, kritisierte er. „Dieser Status muss geändert werden.“
Eine institutionelle Zentralisierung der Aufsicht auf europäischer Ebene sei allerdings nicht zwingend erforderlich. Diese sei nicht nötig, wenn die Informationen rechtzeitig verfügbar sind und Krisenvorbeugungsmaßnahmen vollständig koordiniert würden. „Wenn das über engere Zusammenarbeit erzielt werden kann, muss man nicht weiter gehen. Aber in der Tat besteht das Risiko, dass Kooperation nicht ausreicht“, so Bini Smaghi.
Mit Blick auf die Banken- und Finanzkrise griff der EZB-Direktor institutionelle Spekulanten scharf an. „Denn genau das durchleben wir gerade: Einen offenen Angriff von großen Spekulanten auf das europäische Bankensystem“, sagte er. Entscheidend sei, dass jede Regierung „in dem Heimatland einer Bank entschlossen gegen Attacken auf Kreditinstitute vorgeht“. Die Prioritäten seien klar: „Wir müssen Bankenpleiten in Europa verhindern, denn es würde einen Dominoeffekt auf andere Banken und am Ende auf das ganze Finanzsystem auslösen.“ Er plädierte dafür, „ausreichend Geld zu Verfügung zu stellen, um diejenigen zu bekämpfen, die auf den Ausfall von Banken wetten.“
Skeptisch äußerte sich Bini Smaghi mit Blick auf die Wirtschaft der Eurozone. Gefragt, ob der im September nach unten revidierte Wachstumsausblick der EZB-Volkswirte nicht noch zu optimistisch gewesen sei, erwiderte er: „Es ist doch offensichtlich, dass die Entwicklungen im September den Ausblick eingetrübt haben. Manche Gefahren für das Wachstum, die wir im August nannten, sind eingetreten.“
Am Donnerstag der abgelaufenen Woche hatte die EZB den Leitzins zwar unverändert bei 4,25% belassen. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hatte aber deutlich signalisiert, dass die Notenbank zeitnah die erste Zinssenkung seit fünf Jahren erwäge. Der EZB-Rat habe bei seiner Sitzung die Finanzmarktkrise und die potenziellen Auswirkungen auf das Wachstum intensiv diskutiert, hatte Trichet betont. Im Rat sei sowohl die Option unveränderter Leitzinsen als auch einer Leitzinssenkung diskutiert wurden. Noch im Juli hatte die EZB den Schlüsselzins für den Euroraum um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25% angehoben.
Zur Wahrscheinlichkeit einer baldigen Zinssenkung hielt sich Bini-Smaghi indes bedeckt. „Wir werden die Situation auf Grundlage des wirtschaftlichen Umfeldes zur angemessenen Zeit beurteilen sowie im Einklang mit unserem Hauptziel, der Gewährleistung von Preisstabilität, entscheiden“, sagte er. Vor allem die Lohnforderungen der Gewerkschaften bereiteten ihm dabei Sorgen. „Wenn die Gewerkschaften ihre derzeitigen Forderungen durchsetzen oder auch nur die Hälfte davon, wird der Abschwung in der Eurozone schmerzhafter und unnötig verlängert“, sagte er.