Von Karl Grobe
Mehr als hundert Tote in Bombay nach einem terroristischen Angriff,Europäer und Nordamerikaner darunter und sehr viele Inder: Der Terror,der Nachtmahr der globalisierten Welt, hat wieder zugeschlagen. Wer istdas, der Terror? Kein mythisches Ungeheuer ist es, sondern dieVerfahrensweise von Gewalttätern, denen das eigene Leben und das deranderen weniger gilt als die Tat, die Untat.
Dies war eine koordinierte, geplante Aktion. Kein Anschlag eineseinzelnen oder einiger weniger Gewalttäter auf ein zufällig schutzlosdastehendes Ziel, auch kein terroristischer Schlag gegen einzelndefinierbare Ziele, die Weltmacht symbolisieren. In der Terrornacht vonBombay griffen die Täter an: den nach dem Gott Shivaji genanntenHauptbahnhof, der früher den Namen der britischen Königin und indischenKaiserin Victoria trug; Hotels und Restaurants, in denen sie danngezielt nach Briten und Amerikanern suchten; das Viertel, in dem dasfinanzielle Herz Indiens schlägt und seine Hochkultur ihr glücklichesLeben führt.
Der Angriff hat das Selbstbewusstsein des Staates und seiner Trägerins Mark getroffen, nur eine Woche nach der hoch symbolischenPlatzierung einer Staatsflagge auf dem Mond. Er hat Indienauf äußerst gewalttätige Weise auf seine Realität verwiesen. In Bombay,der 15-Millionen-Metropole exzessiven Reichtums und erschütternderArmut, der Weltoffenheit und des von Rassisten geschürten stadtinternenlatenten Bürgerkriegs, der Kino-Illusionen und der Kinderprostitution,ballt sich diese Realität in ihren Widersprüchen zusammen.
Bombay ist gesellschaftliches Dynamit. Bombay ist - wie mancheandere Metropole nicht nur der Dritten Welt - das Substrat, auf demGewalt wächst und wuchert. Doch Bombay ist nicht Ursache und EinwohnerBombays sind nicht die verantwortlichen Täter. Bombay war eingeeignetes Ziel in einem asymmetrischen Krieg, dessen eine SeiteStaaten sind und dessen andere Seite nicht staatlich organisiert ist.Staaten sind verwundbar; Terroristen tauchen ab. Das verweist jedochnicht zwingend auf eine terroristische Zentrale. Selbst dann nicht,wenn man glaubt, die "Handschrift" von El Kaida wiedererkennen zukönnen.
Die Täter haben sich ihrer Rezepte bedient. Es dürfte aber sichersein, dass sie aus dem Untergrund und auf dem Hintergrund der indischenGesellschaft rekrutiert worden sind. Der kommunale Konflikt zwischenHinduisten und Islamisten, der schon zur gewaltsamen Zwillingsgeburtvon Indien und Pakistan geführt hat, ist in den vergangenen Jahrzehntenschärfer und erbitterter geworden. Die Vertreter beider Staaten suchenzur Zeit eher das Gespräch als den Zwist; doch in beiden Staaten sindgewisse Radikale damit gar nicht einverstanden. So mag es sein, dassextremistische Abtrünnige aus dem pakistanischen Geheimdienstgemeinsame Sache mit Terror-Planern wie denen von Bombay gemacht haben;jeder Geheimdienst, der sich einmal im Auftrag des jeweiligen Staatesterroristischer Methoden bedient hat, kennt Ehemalige, die von diesennicht lassen wollen, gerade weil der auftraggebende Staat ihnenabschwört.
Das ist ein offenes Geheimnis: Staaten setzen zuweilenterroristische Mittel ein, abgesehen von der strukturellen Gewalt, alsderen Opfer sich viele der Ausgeschlossenen verstehen. Unter den Opfernlassen sich Täter rekrutieren; zumal unter denen, die sich als von denUSA geknechtet fühlen, wie einst unter den Opfern sowjetischerAggression zum Beispiel in Afghanistan oder in Tschetschenien. Es gibtmehr Beispiele.
Es kann kein Zufall sein, dass in Bombay gezielt nach US-Bürgerngesucht wird; und kein Zufall, dass dieser Terrorangriff just in dieZeit des Washingtoner Interregnums zwischen zwei sehr unterschiedlichenPräsidenten fällt. Die USA waren sehr wohl auch gemeint. Es kommt nunsehr darauf an, ob sie in der gegenwärtigen Übergangszeit wieder aufdas Bush-Mittel "Krieg gegen Terror" zurückgreifen.
Es wäre absurd; Krieg gegen wen denn? Kampf gegen Terrorismuserfordert anderes: Nicht nur Polizeigewalt, auch internationale, gegenTäter und Hintermänner; vielmehr Politik, Veränderung der Welt, so dassdas Substrat verdorrt, auf dem Terroristengruppen gedeihen. DasStichwort heißt: Gerechtigkeit. Der Weg ist steil und steinig;schwierig in Zeiten der Krise. Und das Ziel ist: Zusammenarbeit derKulturen und Religionen. Andernfalls gewinnen die GewaltideologenZulauf, immer wieder.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 27.11.2008.