Wenn sich die "Bild-Zeitung" auf ihrer ersten Seite zu einem so abstrakten Thema wie die Konjunktur einlässt, wie dies am Freitag der Fall war, dann muss auf diesem Gebiet schon etwas Gravierendes vorgefallen sein. In der Tat: Es droht, wie uns das Blatt wissen lässt, die "Brutal-Rezession". Norbert Walther, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, warnt per Interview des Boulevardblatts mit großer Breitenwirkung, es drohe die Gefahr, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2009 um bis zu 4% schrumpft. Das wäre dann, so "Bild", die größte Krise seit Bestehen der Bundesrepublik.
Will man herausfinden, wie es um die Konjunktur 2009 wirklich bestellt ist, muss man von der zur Schau gestellten Dramatik sicherlich einiges abziehen. Der Auftritt Walthers ist in Zusammenhang mit anderen Äußerungen von Politikern und Volkswirten zu sehen, mit denen die sich sträubende Bundesregierung zu einem umfangreichen Konjunkturpaket-am besten nach französischem Vorbild in zweistelliger Milliardenhöhe - gedrängt werden soll. Und wie Walther selbst betont, ist das von ihm beschriebene Horrorszenario auch nicht das Allerwahrscheinlichste.
Gleichwohl wird deutlich, dass sich die allgemeine Stimmung geändert hat. Die Rezession wird allmählich auch von breiten Schichten der Bevölkerung ernst genommen. Und die Makrodaten sahen zuletzt immer schlechter aus, mit einbrechenden Auftragseingängen und kollabierenden Geschäftsklimaindizes. Dies alles könnte Rückwirkungen auf den Konsum - insbesondere das für den Einzelhandel äußerst wichtige Weihnachtsgeschäft - haben.
Auch die Anleger sind wieder deutlich besorgter, wie an den niedrigen Kursen abzulesen ist. Denn wie die Analysten der WestLB zu recht anmerken: Ein großer Teil der unvermeidlichen dämpfenden Auswirkungen auf Investition, Konsum, Gewinne und Arbeitsmärkte ist noch unterwegs-selbst wenn die Finanzkrise ihren Höhepunkt überschritten haben sollte. Und dass die Analysten von Merrill Lynch nun für 2009 einen Rückgang des Ölpreises bis unter 25 Dollar je Barrel voraussagen, ist auch ein Hinweis darauf, wie stark die Rezession auszufallen droht. Zur Erinnerung: Noch im Juli mussten für das Fass US-Leichtöl in der Spitze mehr als 140 Dollar bezahlt werden. Am Freitag kamen dann noch desaströse Zahlen vom US-Arbeitsmarkt herein: Im November gingen netto mehr als eine halbe Million Jobs verloren. So schlimm war die Arbeitsmarktlage in den USA seit 40 Jahren nicht mehr.
Der Dax hat dementsprechend in der gerade zu Ende gegangenen Börsenwoche 6,2% eingebüßt, der Stoxx50 ist unter 2000 Punkte gerutscht. Bezeichnend ist, dass diese Verluste in einem Umfeld stattgefunden haben, das durch die umfangreichste Zinssenkung in der (zugegebenermaßen noch nicht sehr langen) Geschichte der Europäischen Zentralbank gekennzeichnet ist. Damit ist die Erholung an den Aktienmärkten wohl schon wieder vorbei, die Rallys haben sich als Strohfeuer erwiesen.
Auch für die neue Börsenwoche ist zu erwarten, dass sich die Anleger mit Aktienkäufen stark zurückhalten werden. Wie es die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg ausdrücken: Die anhaltende Risikoaversion verhindert eine nachhaltige Erholung. Ferner dürften sich die zur Veröffentlichung anstehenden Makrodaten aus Europa und den USA als Belastung für die Aktienmärkte erweisen.
So werden wohl am Dienstag die ZEW-Konjunkturerwartungen, die bereits im November sehr schlecht ausgefallen sind, weiter abrutschen. Am Freitag dürften dann die Zahlen zu den amerikanischen Einzelhandelsumsätzen im November von einem weiteren empfindlichen Rückgang künden.
Zudem schwebt über der Wall Street - und in der Folge auch über den europäischen Märkten - ein Damoklesschwert: Es ist noch nicht absehbar, ob der amerikanische Kongress oder die US-Regierung den drei Autoherstellern General Motors (GM), Ford und Chrysler in ausreichendem Umfang unter die Arme greifen wird, sodass Anträge auf Gläubigerschutz nach Chapter 11 der US-Konkursordnung vermieden werden können. Akut gefährdet ist GM - ein Bankrott des Giganten würde Schockwellen auf den Aktienmärkten auslösen.
Börsen-Zeitung