Ex-Bundesbankpräsident Schlesinger fordert Begrenzung der hohen Target-Salden. Kritik an der Kommunikation der Bundesbank. Ökonomen warnen vor „systemischen Risiken“.
Der ehemalige Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger hat eine Begrenzung der hohen Target2-Salden innerhalb des Euro-Systems gefordert. Zusätzlich oder alternativ sollte ein Strafzins eingeführt werden. In einem Beitrag für den ifo Schnelldienst (Nr. 16, 2011) über die europäische Zahlungsbilanzkrise warnt Schlesinger davor, dass „für Länder mit hohen Zahlungsbilanzdefiziten der Zwang zum Abbau des Ungleichgewichts insoweit entfällt, als die Finanzierung des Defizits automatisch über das Target2-System ermöglicht wird.“ Die Begrenzung oder ein Strafzins sei allerdings erst möglich „nach Abklingen der gegenwärtigen Turbulenzen“.
Schlesinger kritisiert auch die beschwichtigenden Ausführungen der Deutschen Bundesbank zu den Target-Salden. Diese seien keineswegs nur „ein statistischer Posten“, wie ihn die Bundesbank beschrieben habe, sondern der „wichtigste Posten in der Bundesbankbilanz“ und „ein wichtiger Teil des Auslandsvermögens der Bundesrepublik“, schreibt Schlesinger. In der Bilanz der Bundesbank, die sich Ende Juni 2011auf 632 Mrd. Euro belief, entfielen allein 349 Mrd. Euro auf Nettoforderungen aus Target 2. Über das Target-System wickeln die Notenbanken Zahlungen innerhalb des europäischen Währungsraumes ab. Die Target-Konten waren bis zur Finanzkrise ausgeglichen, wurden dann aber von einigen Ländern als eine Art billiger Überziehungskredit im Umfang von mehr als 300 Milliarden Euro genutzt.
Auch der ehemalige sächsische Ministerpräsident und Finanzminister Georg Milbradt warnt vor den Folgen der hohen deutschen Target-Forderungen: Als potentielles Überschuss- und Gläubigerland in einer Währungsunion könne es Deutschland „nicht zulassen, dass weiter eine derartig billige und automatische Möglichkeit zur Finanzierung von Zahlungsbilanzdefiziten zu seinen Lasten besteht“. Sonst dürften sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte perpetuieren und der Zerfall der Währungsunion programmiert sein, schreibt Milbradt.
Auf wissenschaftlicher Seite kritisieren u.a. ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, Prof. Peter Bernholz (Universität Basel), Charles B. Blankart (Humboldt-Universität zu Berlin und Universität Luzern) die hohen Target-Salden. Manfred Neumann (Universität Bonn) weist auf die hohen Risiken durch die Target-Position hin. In Griechenland seien die Relationen bereits aus den Fugen geraten: Die Refinanzierung des griechischen Bankensystems beträgt inzwischen das Vierfache der Geldbasis in Griechenland. So entstünden „durch den ungehemmten Zugang zu Notenbankkredit systemische Risiken, und zwar nicht nur für regionale Bankensysteme, sondern für die gesamte Eurozone.“ Zu den systemischen Risiken gehöre auch, dass die Geldpolitik der EZB in das Schlepptau der Banken gerate und der Notenbankzins niedriger gehalten werde als angemessen. „Die Zentralbanken des Eurosystems, aber auch die Bankaufsichtsbehörden dürfen diese Risiken nicht länger ignorieren“, schreibt Neumann: „Es ist an der Zeit, dass sie sich mit der Frage auseinander setzen, wie künftig verhindert werden kann, dass Banken den Notenbankkredit exzessiv nutzen.“
Dagegen verteidigen Ulrich Bindseil und Philippine Cour-Thiman, Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank, zusammen mit Philipp König, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin, die veränderten Target2-Positionen. Sie seien „lediglich ein Ausdruck der Segmentierung der europäischen Finanzmärkte entlang der Grenzen der von Staatsschuldenkrisen betroffenen Länder“, schreiben die Autoren. Die T2-Ungleichgewichte seien „kein eigenständiges Risiko, neben den zur Aufrechterhaltung des Transmissionskanals und der Finanzstabilität notwendigerweise eingegangenen Risiken“.