Auch wenn das ausgeuferte und verkommene Finanzsystem weltweit die monetären Grundlagen der Wirtschaft und damit auch die Realwirtschaft schädigt, sodass beide vor dem Kollaps stehen, gibt es keinen gedanklichen Rückgriff mehr auf die umfassenden Theorien von Marx und Engels und ihrer Apologeten.
von Rolf Ehlers
Der Kommunismus ist kein Thema mehr.
Die vielen Jahrzehnte des angeblich historischen Materialismus Marxscher Prägung, der uns weis machen wollte, die objektiven Gesetze des wirtschaftlichen Handelns, und damit auch die wahre Natur des Menschen, erkannt zu haben, haben angesichts seiner eklatanten Erfolglosigkeit in der „freien Welt“ das Interesse an einer Auseinandersetzung mit den geistigen Grundlagen dieser Lehre weitestgehend verdrängt. Als Gorbatschow mit der Sowjetunion die Zweiteilung der Welt beendete, nahm das die öffentliche Meinung im Westen zum Anlass, an den endgültigen Sieg des Kapitalismus zu glauben.
Merkels Doppelwende
Was Frau Merkel vor der Wende über Kommunismus und Kapitalismus dachte, ist belegt. Sie arbeitete damals im Institut auf einem Flur mit einem Sohn des Dissidenten Robert Havemann, dessen Hausarrest sie zusammen mit den ihr als Kaderfrau untergebenen einfachen Blauhemden in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) auf staatliche Anweisung hin überwachte. Als der Sohn Havemanns sinnierte, dass es doch einen Mittelweg zwischen Kommunismus und Kapitalismus geben müsste, gab sie sauer zur Antwort, dass man vom Kapitalismus rein gar nichts übernehmen könne. Schließlich hatte der von ihr heiß verehrte Vater, der Hamburger Pastor Kasner, sich mit seiner Familie in den Osten abgesetzt, um an führender Stelle am Aufbau des Sozialismus mitzuwirken.
Aber Merkel kratzte nach dem Scheitern der DDR mit Hilfe alter DDR-Getreuer die Kurve und stieg als Kohls Mädchen zur kapitalistischen Frontfrau auf, die bei jeder Gelegenheit betonte: „Die Wirtschaft muss frei sein!“ Ob das Meinung oder Kalkül war, weiß natürlich niemand. Jedenfalls war das nach ihrem Geschmack, als der systematischen Abbau der Arbeitnehmerrechte und der hemmungslosen Begünstigung der Großkonzerne, die wie vom feinen Grafen Lambsdorff vorgedacht, nach dem Ende der Kohl-Ära mit Rot-Grün erst richtig los ging. Da fiel die Vermögenssteuer, was Merkel dem unvermögenden Publikum damit schmackhaft machte, dass dann die Unternehmen in Deutschland blieben, was für alle gut sei.
Lafontaine und Schröder regelten, dass internationale Konzerne ihre Verluste im Ausland gegen Gewinne in Deutschland aufrechnen durften. Damit lebten sie durchweg steuerfrei, weil die ausländischen Bilanzen kaum kontrollierbar waren. In der großen Koalition drehte sie dann mit der SPD an der Steuerschraube, entlastete Großverdiener und erhöhte für die die Mehrwertsteuer, die Großverdiener kalt ließ und nur die sozial Schwachen traf.
Die Folge ist ein fast 20 Jahre anhaltender Einkommensrückgang bei der Masse und ein sagenhafter Aufstieg der Wirtschaft – jedenfalls der Großkonzerne. Wie jetzt auf dem CDU-Parteitag in Erfurt schreibt Merkel sich zu, dass es Deutschland gut ginge. Selbst auf dem Arbeitsmarkt ginge es voran, weil angeblich nur noch weniger als 3 Millionen Menschen ohne Arbeit seien. Jeder weiß, dass diese vom Staatsfernsehen und der gleichgeschalteten Presse bis hin zur grünen Taz täglich wiederholte Lüge verschweigt, dass viele Millionen einfach statistisch herausdividiert wurden. Wer sich beispielsweise nicht mehr beim Arbeitsamt meldet, weil man dort sowieso nichts zu vermitteln hat, gilt nicht als arbeitslos. Das Konzept stammt von Frau Thatcher, die einführte, dass jemand nicht arbeitslos ist, wenn er regelmäßig auch nur 1 Stunde in der Woche arbeitet! Dazu kommen bei uns jetzt mehr als 7 Millionen Geringverdienende, die sich und ihre Familie mit ihren erbärmlichen Einkünften nicht ernähren können und daher auf „Transferleistungen“ des Staates, also auf die Wohlfahrt, angewiesen sind.
Jetzt urplötzlich will Merkel aber „auf die veränderten Umstände eingehen“ und bringt auf dem Parteitag in Leipzig ein Konzept durch, das auf den von ihr immer für schädlich gehaltenen staatlichen Mindestlohn herausläuft. Es soll also einen verordneten Mindestlohn dort geben, wo die Tarifparteien nicht selbst einen gefunden haben. Es ist dasselbe Muster wie beim „Ausstieg vom Ausstieg“ bei der Atomkraft. Als ob sich nach dem sowjetischen Tschernobyl und den vielen Pannen in den AKWs praktisch aller anderer Länder, die auf diese riskante Technologie gesetzt hatten, mit Fukushima sich wirklich etwas geändert hatte! Das Tabu von gestern ist das Dogma von heute. Dass Milliardenklagen anstehen, die die maroden Staatsfinanzen im eigentlich sicheren Erfolgsfall endgültig in den Keller reißen, rührt sie nicht. Waren diese Konsequenzen vielleicht gar mit den Stromkonzernen abgesprochen? Es wird doch wohl niemand glauben, dass Merkel wie das ganze Gros unserer Politiker zu solchen Winkelzügen nicht fähig wären!
Auf einmal denkt man in der CDU sogar über Bankenkontrolle nach, wo zuletzt die Regierungen von Bund und Ländern –auch die roten! – nichts Besseres wussten, als massiv auf die vergifteten Papiere der Investmentbanker zu setzen um auch mal Jahr für Jahr so satt an Wetten zu verdienen wie die Deutsche Bank. Jetzt soll nach Jahren der Untätigkeit in der Krise wohl doch eine Transaktionssteuer her. Jetzt auf einmal werden Leergeschäfte verboten, nachdem zuvor alle Landesbanken die Kommunen auf das Mitzocken auf den internationalen Märkten eingeschworen hatten – ohne Frage unter schlichter Veruntreuung ihnen anvertrauter öffentlicher Gelder. Und auf einmal denkt man in der CDU sogar darüber nach, ob ungehemmtes Wachstum und eine unkontrollierte Wirtschaft nicht vielleicht Fehler sind. Jetzt erkennen auch die Konservativen, dass die Machtkonzentration bei den globalen Konzernen gar nicht die Garantie für das Wohl der Völker in der Welt ist, für uns in Deutschland ohnehin nicht. Was nutzt es, wenn wir täglich hören müssen, dass es „Deutschland“ noch am besten ginge, weil die Industrie gute Absätze hätte. Was hat das Volk davon?
Kapitalismus in der Sinnkrise
Auch wenn das ausgeuferte und verkommene Finanzsystem weltweit die monetären Grundlagen der Wirtschaft und damit auch die Realwirtschaft schädigt, sodass beide vor dem Kollaps stehen, gibt es keinen gedanklichen Rückgriff mehr auf die umfassenden Theorien von Marx und Engels und ihrer Apologeten. Man erinnert sich gerade noch an die Konzentrationstheorie, die sich immer mehr bestätigt und an die von Marx behauptete fundamentale Unvereinbarkeit der Interessen des Kapitals und der Arbeitnehmer.
Die Unbekümmertheit, mit der Marx sich ein geschlossenes Bild angeblich ewiger Wahrheiten zusammenreimte, war aber schon zu seiner Zeit kaum zu verstehen, weil er jeden erkenntniskritischen Ansatz vermissen ließ. Wenn man einmal mit Kant und seinem großen Verehrer Schiller verstanden hat, dass wir nicht die verstandesmäßige Ausrüstung haben, die ewigen Wahrheiten der Welt zu erkennen, lohnt es nicht seine Hirnwindungen zu strapazieren um aus ihnen die Summe der Welträtsel herauszuquetschen. Das ist die Methode von Religionsstiftern – ohne dass damit gesagt sein soll, dass diese das Gute in die Welt gebracht hätten.
Hat man, wie heute von niemandem mehr bezweifelt, einmal das kapitalistische Grundgesetz als richtig erkannt, dass die Nutzung des Eigeninteresses der Menschen ein unverzichtbarer Hebel ist, um wirtschaftliche Leistung zu befördern, heißt das aber nicht, dass jeder Mensch ungehemmt seine egoistischen Ziele verfolgen können muss. Wenn jeder ohne Rücksicht auf die Sozialverträglichkeit seines Handelns wirtschaften darf, ist doch das Chaos bereits programmiert. Erklären lässt sich dies sehr gut durch die Philosophie des Habens, die bei denen, die extrem große Reichtümer aufhäufen, fast zwangsläufig auch zu einer Philosophie der Macht wird.
Philosophie des Habens
Die Suche nach dem tieferen Sinn des Habens braucht eigentlich keinen Aufhänger, um sich damit zu beschäftigen. Das Interesse daran, die Welt in jedem wichtigen Aspekt zu verstehen, empfinden die Menschen, die da keine Ruhe geben können, als einen naturgegebenen Antrieb. Die weitaus meisten Menschen scheinen aber die Beschäftigung mit der Lebensweisheit lieber zu vermeiden. Der Kampf um die Sicherung vordergründiger Ziele im Leben nimmt sie so gefangen, dass für die graue Theorie keine „Luft“ mehr ist.
Sieht man bei Google aber mal die Summe der Einträge zu philosophischen Themen, erlebt man jedoch eine positive Überraschung. Googeln Sie doch heute mal das Begriffspaar „Sein oder Haben“: es melden sich in 0,17 Sekunden sage und schreibe 533 Millionen Einträge, von denen nur die geringere Zahl sich mit der bekannten Problematik des richtigen grammatikalischen Einsatzes dieser Verben beschäftigt wie „bin ich da gesessen (süddt.)“ oder „ habe ich da gesessen“ (hochdt.). Vor zwei Jahren waren es nur halb so viele. Das Thema Sein und Haben, das ins Zentrum der Kapitalismusdebatte hineinreicht, ist durch die großen Krisen dieser Jahre brennend aktuell geworden.
Vor und nach Marx war das Haben kein Thema.
Jahrhundertelang hat man nicht viel über das Haben geschrieben. 1964 wies der strenggläubige Phänomenologe Hans Reiner (Grundlagen, Grundsätze und Einzelnormen des Naturrechts, Alber, Freiburg/München) auf diesen erstaunlichen Umstand hin. Er konnte bis dahin nur zwei kurze philosophische Betrachtungen finden (Günther Stern, Über das Haben, Sieben Kapitel zur Ontologie der Erkenntnis, Bonn, 1921 und Gabriel Marcel in: Ètre et avoir, Paris, 1935). Reimer versteigt sich in seiner kleinen Abhandlung zu angeblich objektiv einsichtigen Naturrechtssätzen über das Haben. Er behauptet eine vorgegebene Geltung des Rechts auf das Haben des eigenen Körpers und Geistes und auf das Haben des sächlichen Eigentums an allen Dingen, deren man habhaft werden kann.
Außer natürlich bei Marx habe ich einige kluge Worte über das Haben finden können in Schopenhauers “Parerga und Paralipomena” (Aphorismen zur Lebensweisheit), allerdings mehr im Sinne einer praktischen Psychologie wie sie auch im apokryphischen Buch Sirach der Bibel zu finden ist.
1976 endlich machte der Sozialpsychologe Erich Fromm mit Haben oder Sein, Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, München (dtv, 2004, 32. Aufl., 215 S.) das Haben in seinem behaupteten phänomenologischen Dualismus von Haben und Sein zum erstmals vielbeachteten Thema. Es folgte Gerhard Schulzes “Die beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert?” Hanser, München 2003. Während Fromm den Primat des Seins postuliert und die Anhänger des materiellen Habens geißelt, sieht Schulze in anthropologischer Sicht Haben und Sein als gleichberechtigt und komplementär, die sich indessen im historischen Kontext dann doch als ungleichgewichtig herausstellen.
Das Können im Sinne eines Erarbeitens von Handlungsmöglichkeiten unter der Regie eines sachbezogenen Denkens gewinnt nach Schulze in der Moderne die Oberhand über das Sein als subjektbezogener Perspektive, über das Auskosten eines gegebenen Handlungsspielraums. Er sieht die Vorstellung organisierter Möglichkeitserweiterung, gepaart mit dem Glauben an deren unendliche Fortsetzbarkeit als “Hintergrundtheorie unserer Kultur”, die “epochale Leitidee”, den “Kristallisationskern”, der einen permanenten Wandel ermöglicht und gleichzeitig für Ordnung und Orientierung in diesem Wandel sorgt. Der Kapitalismus ist nach seiner Vorstellung nur eine Variante dieses ewigen Spiels.
Fromm beurteilt alles Haben ohne seinen Bezug zum Allgemeinwohl als negativ. Er lobt allein den Geist des Seins. Dieser soll sich durch folgende Punkte auszeichnen:
1. die Produktion hat der Erfüllung der wahren Bedürfnisse des Menschen und nicht den Erfordernissen der Wirtschaft zu dienen
2. das Ausbeutungsverhältnis der Natur durch den Menschen wird durch ein Kooperationsverhältnis zwischen Mensch und Natur ersetzt
3. der wechselseitige Antagonismus zwischen den Menschen ist durch Solidarität ersetzt
4. oberste Ziele des gesellschaftlichen Arrangements sind das menschliche Wohlsein und die Verhinderung menschlichen Leids
5. maximaler Konsum ist durch einen vernünftigen Konsum (Konsum zum Wohle des Menschen) ersetzt
6. der einzelne Mensch wird zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben motiviert
Mein eigener Denkansatz
Auch nach Fromm und Schulze ist das Thema des Habens philosophisch, psychologisch und soziologisch in Wahrheit noch immer stiefmütterlich behandelt. Fromm versteigt sich in eine Ethik, in die er den ganzen Humanismus so hineinpackt, als sei sie mit Verstandesmitteln leicht abzuleiten Schulze dagegen verzichtet auf den mahnenden Zeigefinger. Er sieht die treibenden Kräfte in der auch von ihm als weniger wünschenswert empfundenen Verhaftung im Haben von Dingen. Im Ergebnis holen beide gar nicht anders als Thomas von Aquin (und Reiner) den Himmel auf die Erde. Denknotwendiges erkenntniskritisches Denken, wie es schon die Stoiker und nach ihnen insbesondere Kant kannten, bleibt unbeachtet.
Das Haben im vorliegenden Sinne hat nichts zu tun mit dem, was das Hilfsverb “haben” bietet. Ich habe Hunger, ich habe eine Meinung oder Trappatonis: ”Ich habe fertig” sind damit nicht gemeint. Es geht um die materielle Verfügung über Sachen. Und da meine ich indessen, dass keine Sache auch nur ein originäres Bedürfnis des Menschen befriedigt – mit Ausnahme nur für sich und seine Sippe eine gute Nahrungsquelle, auch die Möglichkeit einen überschaubaren Vorrat davon anzulegen, sich Kleidung zu beschaffen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Die menschliche Natur ist nicht von sich aus auf das Haben von Dingen aus. Das Haben als solches hat nur eine dienende Funktion. Wir sind allerdings enorm lernfähig und können uns leicht neue Wünsche einfallen lassen. Etwas um des Habens willen haben zu wollen, ist uns aber nicht eingeboren. So etwas ist eher das Zeichen einer mentalen Störung.
Wenn die Mittel, die Bedürfnisse befriedigen können, ohne Sinn und Verstand gehortet werden, ist auch das ein Zeichen einer psychischen Fehlfunktion. Je mehr das Habenwollen subjektiv zu einem eigenen Wert wird, desto mehr kommt auch eine Machtsucht auf, weil von vielen geschätzte Dinge – wie Kapital, Produktionsmittel, Rohstoffe, Wertgegenstände und Grundbesitz zu haben, Macht über andere verleiht.
Von Natur aus sind wir artgemäß soziale Wesen (zoon politikon), die mit einem sozialen Sinn ausgerüstet sind. Dass rücksichtsloses Habenwollen uns nicht eingeboren ist (”homo homini lupus est”), zeigt sehr deutlich der Vergleich mit unseren Vettern in der Natur den Affen, mit denen zusammen wir die Gruppe der Primaten bilden. Unsere Gefühlswelt hat sich in der Evolution bei den gemeinsamen Vorahnen aller Primaten gebildet, die sämtlich in organisierten Horden lebten. Das Ergebnis bestätigt sich durch gesicherte Erkenntnissen der Endokrinologie, der Hormonlehre, die im Schlüsselhormon Serotonin, das neben seinen vielen andern Aufgaben auch der Sozialhormon genannte Botenstoff ist, der uns quasi chemotaxisch zum Mitempfinden, zum Mitleiden mit anderen und zur Empathie führt und damit auch zur Achtung der Lebensinteressen unserer Mitmenschen.
In jüngerer Zeit haben sich allerdings die Bedingungen für ein soziales Leben in der Horde, der Sippe, der Großfamilie oder dem Clan stark verändert, weil all diese Gruppierungen immer schwächer geworden sind und nur gerade noch die Kleinfamilie übrig gelassen haben, wenn diese nicht schon in eine Patchwork-Familie übergegangen ist. Damit fehlt auch die Schutzfunktion der größeren Gruppe. Der Staat, der nach seiner Definition fast jede Zuständigkeit übernehmen kann, leistet diesen Dienst nur unvollkommen. Besonders, wenn der Staat wie es heute unübersehbar der Fall ist, nur noch die wenigen großen Vermögen schützt und fördert und die kleinen Habenichtse beutelt, wird er eher als Feind statt als sozialer Integrator verstanden. Und doch hat allein er die Macht, die Gier der Inhaber der größten Vermögen zu begrenzen. Genau diese sind es aber, denen der Löwenanteil aller Vermögenswerte der Welt gehört. Dass sie ihre Macht im Interesse der Allgemeinheit ausübten, glauben nur Naive und dumme oder gedungene Mitläufer. Ich vergesse nie die Sprüche, die mein verstorbener Onkel, ein Arbeitgeberpräsident, ständig im Munde führte: „Man muss erst Geld verdienen, um es verteilen zu können!“ – um dann natürlich alles mit Gewalt zusammen zu halten.
Korruption des Seins durch das Haben
Es gibt einen handfesten Grund, weshalb die Moral vom edlen Sein und der egoistischen Verhaftung durch den schnöden Mammon immer ein großes Menschheitsthema bleibt. Dies ist beileibe nicht die fehlende Überzeugung vom Primat des Seins. Die schöne Ethik Fromms zur Ergründung der Moral des Gut-Seins tritt fast überall offene Türen ein, leider aber nicht bei den wirtschaftlich Etablierten. Dies haben sich nämlich Sonderregeln einfallen lassen.
Wir wissen doch, warum lendenlahme alte Säcke sich nicht nur Viagra reinziehen, sondern vor allem ihr „Ambiente“ pflegen: Sportwagen oder SUV, deutsche Dogge, Designerklamotten, hochbeinige Lebensabschnittsgefährtin, Mitglied im Golf- und Yachtclub, eigenes Jagdrevier, Segel- oder Motorboot und Häuschen hier und Chalet da. Aus demselben Grunde brauchen Frauen mit dem Fallen der Takelage einfach immer mehr Modegedöns, schmuckvollen Behang, Aberdutzende paar Schuhe und Taschen, schmückende Pelze und möglichst den präsentablen Zahlmeister dazu, falls sie nicht alles allein bezahlen können. Sie wissen kaum noch, wer sie sind, zählen aber stündlich durch, was sie alles so haben. Das Haben hat ihnen jeden sozialen Sinn vernebelt und sogar den Einblick in das eigene Selbst! Wehe, wenn solche Leute mal auseinandergehen. Wer so dem Haben verhaftet ist, kämpft auch mit Klauen und Zähnen um jedes überflüssige Chippendale-Schränkchen.
Die Korruption des Seins durch das Haben geht so weit, dass „man“ unter solchen Leuten weiß, dass über Dinge nicht gesprochen wird, die den Sinn ihres hart erkämpften oder ererbten materiellen Status in Frage stellen könnten. Oder fangen Sie doch einmal im Golfclub ein Gespräch über die Höhe der Hartz-IV-Sätze an! Bei den Herrschaften gilt: Man ist, was man hat! Und über Geld spricht man nicht. Man zeigt es.
Kluge Menschen mit hohem materiellem Status kennen die innere Leere, die sie überfällt, wenn sie ihrem Leben nicht bewusst auch ideelle Inhalte geben. Darum denken arrivierte Unternehmer auch über die künstliche Anreicherung des Seelenlebens ihrer Kinder nach. Sie sollen nicht immer nur so behandelt werden als diejenigen, von denen man ja weiß, woher sie kommen. Darum sollen sie sich, z.B., im Unternehmen der Eltern hochdienen, möglichst anonym, und sollen sich auch um die Wohltätigkeit oder den Breitensport kümmern. Aber eine besondere Moral kriegen sie dann doch verpasst: wer dazu gehört, trägt eine besondere Verantwortung für den Erhalt des Vermögens und der Macht, die da auf einen Haufen zusammen gekommen ist, innerhalb dieses Interesses natürlich auch für den unbedingten Erhalt des Unternehmens. Am Ende haben sie noch Lippenbekenntnisse oder sogar Almosen übrig für den Hunger in der Welt, die Armut der Massen, den Erhalt von Arbeitsplätzen und das Wohl der ganzen Gesellschaft. Wenn man schon kein blaues Blut in den Adern hat, muss man sich eben selbst eine besondere Herkunft basteln. Hauptsache reich, das muss für die Elite der Habenden reichen!
Gustav Freytags „Soll und Haben“ und mehr noch Thomas Manns „Buddenbrooks“ zeigen sehr anschaulich die Mechanismen der Heraushebung aus der Masse der anderen, die ja hier und da recht plakativ ablaufen kann. Regelmäßig hat das von so viel Vermögen und Macht korrumpierte Selbst kaum eine Wahl, als sich ganz von den ihm eingeimpften Zielen voll vereinnahmen zu lassen. Die Sondermoral seiner Kreise verlangt die volle Duldung der besonderen Korruption durch das Materielle und den auf dieses bezogenen Stolz. In der Wahrung der Macht kennen die Habenden, die sonst alles für ihre Sippschaft tun um sich möglichst über ihren Tod hinaus zu verewigen, aber keine Verwandten mehr, wenn jemand aus ihren Kreisen nicht mehr richtig „spurt.“ Wie singt Sebastian Krumbiegel von den „Prinzen“ doch so schön: „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt!“
Wenn es um die schrecklichen Auswirkungen des ungezügelten Habens in unserer überliberalisierten Welt geht, muss man ganz besonders schauen auf die meist publikumsscheuen Inhaber der größten Reichtümer dieser Erde, den Rothschilds und Rockefellers, aber auch den noch verbliebenen steinreichen Monarchien in Europa und anderswo und den absolutistischen Herrschern im Orient. Sie haben die Methoden der Vermehrung ihrer Habe immer mehr vervollkommnet. Es ist durchaus anzunehmen, dass sie, die heute gewiss den Durchgriff haben auf die Regierungen fast aller Länder und die Medien, aus allen großen Wirtschaftskrisen immer wieder gestärkt hervorgehen. Selbst Kriege sind für sie kein Schrecken, sondern ein großartiger Motor für die Mehrung ihres Besitzes.
Allein den Rockefellers und Rothschilds gehören die entscheidenden Anteile an allen wichtigen Industrien der westlichen Welt, insbesondere natürlich der Ölindustrie, der Autoindustrie, der Nahrungsmittelindustrie, der Rüstungsindustrie und der Pharmaindustrie. Auf ihr Wort gehorchen die Banken und Ratingagenturen, sie drucken nach ihrem Belieben in ihrer Federal Reserve Bank in der Wall Street den US-Dollar. Es ist nachgerade drollig, wie jedes Jahr von Forbes die Reichsten der Welt aufgelistet werden, ohne dass die kaum mehr als ein Dutzend reichen Familien, die endlos viel mehr „haben“ als Gates, Buffet und alle anderen Genannten zusammen, überhaupt erwähnt werden.