Einen derartigen Einbruch hat die Branche während ihres seit Jahren anhaltenden Booms lange nicht erlebt. Schuld ist die Politik mit ihren Enteignungsphantasien.
Deutsche Wohnen Aktie 1 Jahr
Börsen-Zeitung: "Immobilienaktien im Tief", Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
So etwas sind die Halter deutscher Wohnimmobilienaktien nicht gewohnt. Geschockt mussten sie in der abgelaufenen Woche verfolgen, wie die Werte des Sektors, seit Jahren die Highflyer des deutschen Aktienmarkts, gnadenlos gerupft wurden. Unter den größeren der Branche geriet vor allem die auf Berlin fokussierte Deutsche Wohnen unter die Räder. Der Titel büßte in nur zwei Tagen bis zu 15,8 Prozent ein und fiel mit 35,73 Euro auf den tiefsten Stand seit März 2018.
Einen derartigen Einbruch hat die Branche während ihres seit Jahren anhaltenden Booms lange nicht erlebt. Man muss schon bis in den Herbst 2016 zurückschauen, um etwas Vergleichbares zu finden. Seinerzeit drückten die restriktivere geldpolitische Linie der Fed und die potenziell zinstreibende wirtschaftspolitische Agenda von Donald Trump auf die Kurse. Deutsche Wohnen verloren bis zu 18 Prozent, aber nicht an zwei Tagen, sondern über einen Zeitraum von 13 Wochen.
Epizentrum des Branchenbebens ist Berlin. Ein Entwurf für ein Berliner Mietengesetz sieht vor, unter anderem die Mieten in der Stadt für fünf Jahre zu deckeln. Das ist ein schwerer Schlag gerade für die Aktien der stark in der Hauptstadt engagierten Wohnimmobilienunternehmen wie Deutsche Wohnen und Ado Properties. Denn damit drohen nun die von den Investoren und Analysten für die nächsten Jahre einkalkulierten Mieteinnahmen- und Immobilienwertsteigerungen zur Makulatur zu werden.
Die auf Berlin konzentrierten Wohnimmobilienaktien waren in der Vergangenheit von Analysten wegen der starken Marktentwicklung in der Hauptstadt zu Favoriten gekürt worden. Dabei war wohl das Gebot der Risikostreuung etwas zu kurz gekommen. Jedenfalls kehrt sich die Stimmung insbesondere für diese Titel nun um. So stufte Morgen Stanley Deutsche Wohnen am Freitag von "Overweight" auf "Equal-Weight" zurück und reduzierte das Kursziel von 50 auf 39 Euro. Das Institut senkte seine Schätzungen für den Substanzwert für die Jahre 2019 und 2020 um 10 Prozent bzw. 12 Prozent.
Die DZ Bank reduzierte ihren Fair Value für die weiter zum Halten empfohlene Aktie von 43,40 auf 36,20 Euro. Die rechtliche Verbindlichkeit einer Sonderregelung für Berlin sei grundsätzlich in Frage zu stellen und dürfte einen längeren Rechtsstreit nach sich ziehen, so die Bank. Nichtsdestotrotz entstehe hieraus ein großer Unsicherheitsfaktor für den Gesamtsektor, da sich die Frage stelle, ob die primär ausländischen Aktieninvestoren im deutschen Wohnimmobiliensegment hier weiterhin einen "sicheren Hafen" sähen.
Es ist jedoch aus mehreren Gründen unwahrscheinlich, dass die Branche nun gleich ins Bodenlose absacken wird. Zum einen ist das Ausmaß der Korrektur auch mit den kräftigen vorangegangenen Kurssteigerungen zu erklären, durch die etwa die Deutsche Wohnen gegen Ende März 2019 noch auf ein Rekordhoch von 44,83 Euro geklettert war. Auch scheinen sich Befürchtungen, dass das Berliner Beispiel Schule macht und auf andere Bundesländer übergreift, nicht zu bewahrheiten.
Am Freitag gaben mehrere Länder, darunter Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, zu verstehen, nicht an eine Mietendeckelung zu denken.
Zudem sind weitere fundamentale Faktoren, welche die Branche seit Jahren befeuern, intakt und dürften abfedernd wirken, wenn nicht gar die Grundlage für eine sich nun anbahnende Einstiegsgelegenheit darstellen.
Einer der Haupttreiber der Immobiliennachfrage und -wertsteigerungen der zurückliegenden Jahre, die extrem niedrigen Zinsen, bleibt aufgrund der im Euroraum länger geldpolitisch locker bleibenden EZB und der wieder auf einen Leitzinssenkungskurs zusteuernden Fed sowie der konjunkturellen Abschwächung intakt.
Die laufende Verzinsung der zehnjährigen Bundesanleihe ist am Freitag auf ein Rekordtief von -0,26 Prozent gefallen. Darüber hinaus ziehen die Bauaktivitäten zwar weiter an. Der Nachschub an neuen Wohnungen reicht aber bei weitem nicht aus, den steigenden Bedarf zu decken, der sich durch Migration und den Drang in die Städte ergibt.