Der kanadische Investmentmanager Marshall Auerback, der jahrelang in Asien gearbeitet hat und Fellow des „Japan Policy Research Institute“ in Kalifornien ist, geht der schlechten Wirtschaftsleistung Japans auf den Grund und fragt, was das für den Rest der Welt verheißt. Ein besonderes Augenmerk wirft er hierbei auf das Kraft strotzende China und die USA, deren Politik der Quantitativen Lockerung ganz andere Gründe aufweist als die, die von der Federal Reserve offiziell vorgegeben werden. Insgesamt sieht Auerback Gefahren, die zu „echten Kriegen führen könnten, von Handelskriegen ganz zu schweigen.“
von Marshall Auerback , Übersetzung von Lars Schall
Etwas liegt im Argen mit Japan.
Die japanische Wirtschaft ist für eine ganze Weile schon sehr viel schwächer gewesen als jede andere große Volkswirtschaft: während der letzten Wirtschaftsexpansion, durch die Große Rezession hindurch, und auch in der Zeit der Erholung seit der Großen Rezession. Japans Konjunktur wurde seit weit über einem Jahrzehnt von seinen Exporten getragen. Es ist lange Zeit meine Vermutung gewesen, dass Überinvestitionen in industriellen Handelsgütern durch Japans asiatische Wettbewerber, insbesondere China, und die Stärke des Yen die japanische Wirtschaft seit geraumer Zeit ernsthaft untergraben haben. Die jüngst erreichten neuen Allzeit-Höchststände bei den chinesischen Überinvestitionen und die verrückte diesjährige Yen-Stärke dürften diesen Prozess nur beschleunigen und Vorbote für das sein, was die Zukunft für den Rest der Welt bereithält, insbesondere für die USA.
Während des letzten Monats waren alle Daten, die aus Japan kamen, durchweg schlecht. Diese Daten – speziell eine Prognose des japanischen Ministry of Economy, Trade and Industry (METI) für einen kommenden 3%-igen Rückgang der Industrieproduktion in den nächsten zwei Monaten – sind von besonders düsterer und alarmierender Natur, vor allem dann, wenn sie von einer Organisation wie METI kommen, die tendenziell zu optimistisch in ihren Prognosen gewesen ist. Die Daten besagen, dass Japan jetzt bereit in eine Rezession übergeht, und das trotz einer wachsenden Weltwirtschaft und einem boomenden benachbarten China. Es scheint derzeit, als ob die Märkte mit ihrem Yen-„Kaufangebot" in Bezug auf Japan ziemlich „plempern“ würden, so wie sie es im vergangenen Mai / Juni in Bezug auf Europa taten, als die EZB eine beginnende Währungs- und Zahlungsunfähigkeitskrise durch Betreuung der jeweiligen nationalen Bondmärkte eindämmte.
Was ist mit Japan zu tun? Sowohl der US-Notenbankchef Ben Bernanke als auch der Ökonom Paul Krugman empfahlen der japanischen Zentralbank, der Bank of Japan, vor über einem Jahrzehnt, dass sie ein signifikant positives Inflationsziel adoptieren und eine Geldpolitik mit diesem Ziel durchführen sollte. Bernanke schlug vor, dass die Bank of Japan dieses durch den Kauf von Devisen und einer Erhöhung der Notenbankgeldmenge tun solle, bis dieses Ziel erreicht sein würde. Im Laufe des jüngsten Wahlkampfes um die Führung der Demokratischen Partei Japans (DPJ), argumentierte der Herausforderer Ichiro Ozawa ebenfalls für ein solches Inflationsziel der Bank of Japan.
Obwohl Naoto Kan seine Führungsposition behielt (und damit der Premierminister des Landes bleibt), gibt es Anzeichen dafür, dass er damit begonnen hat, einen Großteil der Ozawa-Wahlplattform zu übernehmen. Vor etwa einer Woche ging die Kan-Regierung dazu über, erhebliche Mengen von Devisen durch die unsterilisierte Ausgabe von Yen zu kaufen, um so den Yen abzuwerten. Sie hat es aber nach einem vielversprechenden Beginn nicht zu Ende gebracht.
Sofern die Bank of Japan der Empfehlung von Ozawa nicht folgen wird und keine Devisenmarktinterventionen in einem Umfang durchführt, die die Deflation beendet und die Inflation wiedereinsetzt, wird sie wohl hinter den erforderlichen Maßnahmen zurückbleiben, um den Yen zu schwächen. Dies kann nicht durch eine Quantitative Lockerung (Quantative Easing, QE) per se getan werden. Ich habe bereits zuvor argumentiert, dass eine QE in Bezug auf Reserve-Guthaben unwirksam ist.
Die Grundlage für die Annahme, dass es anders sei, ist der Irrglaube, dass die Banken Reserven haben müssen, bevor sie etwas verleihen können, und dass eine Quantitative Lockerung diese Reserven bereitstellt. Das ist eine große Täuschung über die Art und Weise, wie das Bankensystem tatsächlich funktioniert. Die Mainstream-Position behauptet jedoch (zu Unrecht), dass die Banken nur dann verleihen, wenn sie zuvor Reserven haben. Die Illusion besteht darin, dass eine Bank eine Institution ist, die Einlagen annimmt, um Reserven zu bilden, und diese dann mit einer Marge weiter verleiht, um Geld zu verdienen. Diese Konzeption suggeriert: wenn sie nicht über ausreichende Reserven verfügt, so kann sie nichts verleihen. Die voraussetzende Annahme ist folglich, dass die Quantitative Lockerung durch die Zugabe von Bankreserven dabei hilft, die Verleihung von Geld anzuschieben. Richtig?
Falsch. Bankkredite sind nicht „Reserve eingeschränkt". Banken verleihen an jeden kreditwürdigen Kunden, den sie finden können, und sorgen sich anschließend um ihre Reserve-Positionen. Wenn sie wenig Reserven haben, dann beleihen sie sich untereinander auf dem Interbankenmarkt. Oder sie leihen sich ultimativ etwas von der Zentralbank durch das so genannte Diskontfenster. Sie sind zurückhaltend die letztere Einrichtung in Anspruch zu nehmen, weil es eine Strafe (höhere Zinskosten) mit sich bringt.
Der Punkt ist, dass der Aufbau von Bank-Reserven die Fähigkeit einer Bank nicht steigert, um Geld verleihen zu können. Kredite schaffen Einlagen, die wiederum die Reserven generieren. Während jedoch eine solche Politik, die auf die Reserven abzielt, nicht effektiv ist, gilt das keineswegs für das, was die Federal Reserve derzeit in den USA als Ziel verfolgt. In Wirklichkeit wirft sie Anleihen sowie Bargeld weg (und versucht durch das Versprechen zusätzlicher, noch nicht bekanntgegebener Maßnahmen die Anleihen-Renditen zu verringern). Damit will sie Investoren dazu anstiften, in Risikoanlagen hineinzugehen, namentlich Aktien, und das auf der Prämisse gründend, dass dies die Ausgaben erhöhen wird. In der Tat zielt die Fed auf die Aktienkurse als ein Mittel ab, um den Konsum abzustützen.
Wird es funktionieren? Mit privaten nicht-finanziellen Verbindlichkeiten im Verhältnis zum BIP, die immer noch bei 170% stehen und nur um zehn Prozentpunkte vom Höchststand gefallen sind, scheint es, dass mit dem Ansatz der Fed sehr hohes Risiko verbunden ist. Die Märkte könnten „Helikopter Bens" Bluff durchschauen, und wenn nicht einige positive wirtschaftliche Ergebnisse als Resultat der gänzlich unverhohlenen QE gesehen werden, dürfte das wahrscheinlich eine schwere Vertrauenskrise in die US-Märkte verursachen.
Aber nehmen wir uns wieder Japan vor. Hier haben wir es mit einer sehr unterschiedlichen Situation zu tun. Erstens könnte Japan ewig Devisen kaufen und Yen verkaufen, um den Wechselkurs nach unten zu drücken. Die BOJ hat so in der Vergangenheit gehandelt und diese Interventionen waren zum größten Teil erfolgreich gewesen. Der Wechselkurs ist für Japan weit wichtiger, dessen Anteile der Exporte am BIP und der Industrie am BIP deutlich höher als in den USA sind. Darüber hinaus könnte es, wenn Japan eine Umkehr der deflationären Erwartungen gelingt, zu einer echten finanziellen und realen Reaktion kommen. Japan hat die privaten nicht-finanziellen Verbindlichkeiten im Verhältnis zum BIP um FÜNFZIG Prozent reduziert, nicht zehn. Es gibt mehr Spielraum für die Nachfrage von Darlehen. Noch wichtiger ist, dass die liquiden Mittel, die vom privaten Sektor in Japan gehalten werden, einfach nur riesig sind. Das Verhältnis von M3 zum BIP hat sich in zwanzig Jahren von 105% auf 164% entwickelt. Die Öffentlichkeit hält große Mengen von Staatsanleihen, und wenn die japanische Öffentlichkeit denken sollte, sie könnte womöglich durch die Deflation keine reale Rendite mehr einnehmen, würde die BOJ in der Lage sein, die Öffentlichkeit in eine andere Kategorie von Risikoanlagen „hinein zu jagen“, wie zum Beispiel Aktien.
Japan erlebte seit zwanzig Jahren eine Post-Blasen-Anpassung. Der Anpassungsprozess in den USA dagegen ist gerade einmal zwei Jahre alt. Das macht schon einen Unterschied aus. Ein aggressives Eingreifen durch Forex-Käufe könnte für Japan wirklich funktionieren.
Und was aber ist die Alternative? Wir haben gerade erst einen Hinweis darauf erhalten: die größte Kundenkreditbank des Landes, Takefuji, hat neulich Insolvenz angemeldet. Deflationäre Tendenzen verstärken sich wieder. Es hat in der Regel eine hohe Korrelation zwischen Japans Verhältnis der Anlageinvestitionen zum BIP und dem Anteil der Exporte am BIP gegeben. Beide gingen in den 2000er Jahren bis ins Jahr 2008 hoch, als die Wirtschaft wieder zu wachsen begann. Doch ab 2008 verlangsamte sich das Exportwachstum. Der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Smithers schob es auf das Wirtschaftswachstum der japanischen Handelspartner, das er als verlangsamt erachtete.
Vielleicht ist das so, aber eine plausiblere These ist, dass zu dieser Zeit China begann, ernsthaft mit Japans Export-Maschine zu konkurrieren. Betrachten Sie das, was 2008 mit der japanischen Wirtschaft passierte: die Exporte fielen um fast vierzig Prozent und natürlich gingen die Anlageinvestitionen in der Folge ebenso nach unten. Noch auffälliger ist, dass sich Japans Exporte nach der Lehman induzierten Katastrophe weniger als jede andere große Volkswirtschaft erholt haben – gleiches gilt dementsprechend fürs BIP. Trotz eines weitgehend suboptimalen Wachstums in den letzten 20 Jahren (mit der bemerkenswerten Ausnahme von 2003-2007), hat sich die Widerstandsfähigkeit der japanischen Wirtschaft gegenüber fortdauernden externen wirtschaftlichen Schocks als recht dürftig erwiesen, insbesondere in Bezug auf seine asiatischen Wettbewerber, speziell China. Es scheint, dass eine Kombination des technologischen Fortschritts Chinas und seiner Überinvestitionen, zusammen mit einem überstarken Yen / Dollar-Wechselkurs, die Anfänge eines Aushöhlungseffekts in Japan geschaffen habe.
Weitere Wirtschaftsdaten, die im jüngsten Tankan-Bericht der japanischen Notenbank zu finden sind, bestätigen dieses abgründige Bild. Die Industrieproduktion fiel im August um 3%. Die allgemeine Meinung ging zuvor von einem Anstieg um 1,1% aus. Die industrielle Produktion ist nunmehr unter dem Niveau von Januar.
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