Russische Spione sparten in Deutschland ein Vermögen von 700.000 Euro an. Zuletzt zahlte der russische Auslandsgeheimdienst SWR dem Mann 4300 Euro und seiner Frau 4000 Euro im Monat. Das geht aus der 137 Seiten starken, teilweise "VS-Vertraulich" und "Geheim" eingestuften Anklageschrift der Bundesanwaltschaft hervor. - Ex-Guillaume-Anwalt verteidigt russischen Agenten. - Bundesregierung wollte russischen Spione austauschen. Aktion scheiterte an der russischen Seite.
Die beiden russischen Top-Agenten mit den Aliasnamen Andreas und Heidrun Anschlag haben während ihrer fast 25-jährigen geheimdienstlichen Tätigkeit in Deutschland ein Vermögen von rund 700.000 Euro angespart. Zuletzt zahlte der russische Auslandsgeheimdienst SWR dem Mann 4300 Euro und seiner Frau 4000 Euro im Monat. Das geht aus der 137 Seiten starken, teilweise "VS-Vertraulich" und "Geheim" eingestuften Anklageschrift der Bundesanwaltschaft hervor, die der "Welt am Sonntag" exklusiv und fast vollständig vorliegt.
Laut Anklageschrift, die von Generalbundesanwalt Harald Range persönlich gezeichnet wurde, haben die deutschen Sicherheitsbehörden lediglich Bargeld in Höhe von 34.000 Euro sowie 33.000 Schweizer Franken sicherstellen konnten. Der größte Teil des Geldes soll in Russland angelegt sein. Weil das Vermögen größtenteils mit rechtswidriger Agententätigkeit erworben worden sein soll, fordert der deutsche Staat von dem Agentenpärchen eine halbe Millionen Euro. Die Behörden ordneten den sogenannten Verfall des Wertersatzes in dieser Höhe an.
Die beiden Beschuldigten werden sich voraussichtlich ab Januar 2013 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit verantworten müssen. Für Generalbundesanwalt Range liegt ein besonders schwerer Fall vor. Das Strafmaß sieht für dieses Delikt eine Höchststrafe von bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug vor. Die mutmaßliche Täter sind im Oktober 2011 in Marburg und Balingen festgenommen worden und sitzen seitdem ununterbrochen und isoliert von einander in zwei hessischen Justizvollzugsanstalten.
Bei der Aufklärung dieses Falles ist das Bundeskriminalamt laut Anklageschrift auf umfassendes System privater Haushaltsaufzeichnungen gestoßen. Nach Darstellung der "Welt am Sonntag" waren Andreas und Heidrun Anschlag eifrige Sparer. Sie verglichen sich mit Eichhörnchen, die für den Winter vorsorgen. In einer "Eichbank" und in einer "Eichhörnchen-Haushaltskasse" führten sie akribisch Buch über Einnahmen und Ausgaben. Legten sie Geld zurück, kommentierten sie das mit Bemerkungen wie "Eichhörnchen waren sehr tüchtig!" Manchmal hieß es selbstkritisch: "Eichhörnchen haben zu viel gekauft!" Nach außen führten die Agenten, die schon vor der Wiedervereinigung über Lateinamerika und Österreich nach Deutschland geschleust worden waren, ein typisch deutsches Familienleben.
Bundesregierung wollte russischen Spione austauschen – Aktion scheiterte an der russischen Seite
Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Bundesregierung versucht, zwei russischen Agenten auszutauschen. Im Gegenzug sollten zwei Spione russischer Nationalität freikommen, die in Russland im Gefängnis sitzen und für ein mit Deutschland befreundeten Nachrichtendienst tätig waren. Die Aktion ist jedoch im September dieses Jahres gescheitert. Das berichtet die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf hochrangige Quellen aus Regierungskreisen.
In den Austauschplan waren auf deutscher Seite das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium einbezogen. Koordiniert wurde die Aktion im Bundeskanzleramt, das Anfang März 2012 den russischen Botschafter in Berlin kontaktierte. In die streng geheimen Verhandlungen waren höchstwahrscheinlich sowohl Wladimir Putin als auch Angela Merkel eingeweiht, heißt es in dem Bericht. style="text-align: justify;"> Die beiden Agenten, die Berlin freilassen wollte, lebten unter den Aliasnamen Andreas und Heidrun Anschlag, geborene Freud, mit österreichischen Pässen in Deutschland. Nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden hatte noch der KGB die beiden noch vor der Wiedervereinigung in die Bundesrepublik geschleust. Sie wurden im Oktober 2011 in Marburg und Balingen festgenommen und sitzen seitdem in zwei hessischen Justizvollzugsanstalten in Weiterstadt und in Frankfurt am Main in Untersuchungshaft.
Während der Verhandlungen über einen Agentenaustausch soll Generalbundesanwalt Harald Range laut Informationen der "Welt am Sonntag" signalisiert haben, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn es zum Austausch kommt. Das ist nach Paragraph 153d der Strafprozessordnung statthaft, wenn "überwiegende öffentliche Interessen" einem Prozess entgegenstehen. Ranges Behörde sagte dazu, der Generalbundesanwalt habe Fragen, die in den „Kompetenzbereich der Bundesregierung“ fallen würden, „weder zu kommentieren noch darüber Auskünfte zu erteilen“.
Die „Welt am Sonntag“ erstmals im Juni von den Verhandlungen erfahren, die danach jedoch bald ins Stocken gerieten, weil das Interesse von russischer Seite zum jetzigen Zeitpunkt offenbar gering war. Zuletzt stellte Berlin den Russen, die konsularischen Zugang zu den Häftlingen erhalten hatten, laut Bericht ein Ultimatum. Nach Anklageerhebung könne erst wieder nach dem Urteil über einen möglichen Austausch gesprochen werden. Als die Bundesanwaltschaft dann am 14. September Anklage erhob, war der Agententausch gescheitert. "Die Russen haben sich keinen Millimeter bewegt", sagte ein Beteiligter der "Welt am Sonntag".
Deutsche Sicherheitskreise vermuten, dass Moskau an einem Gerichtsverfahren gelegen ist. Der Fall wird voraussichtlich ab Januar vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt. Während eines Prozesses müssen alle Fakten auf den Tisch. Der Auslandsgeheimdienst SWR kann dann bequem erfahren, welche Informationen die deutschen Sicherheitsbehörden über sein mutmaßliches Agentenpärchen zusammengetragen haben und welche ihnen bis heute verborgen geblieben sind. Für künftige Agenteneinsätze sind solche Erkenntnisse wertvoll, heißt es in dem Bericht.
Der gravierendste Vorwurf gegen die beiden Agenten: Sie sollen einem niederländischen Diplomaten 72 200 Euro für Beschaffung mehrerer Hundert geheimer EU- und NATO-Dokumente bezahlt haben. Die Berichte befassen sich laut "Welt am Sonntag" unter anderem mit der Raketenabwehr der NATO, militärischen Kommandostrukturen des Verteidigungsbündnisses sowie der EU-Polizeimission EULEX im Kosovo. Das Material deponierte das Agentenpaar in Toten Briefkästen, Erdlöcher an alleinstehenden Bäumen, Holzkreuzen oder markanten Steinen. Entschlüsselten Funksprüche lässt sich entnehmen, dass sie Mitarbeiter der russischen Vertretungen in Deutschland zur raschen Leerung der Toten Briefkästen drängten, schreibt die Zeitung.
Ex-Guillaume-Anwalt verteidigt russischen Agenten
Der ehemalige Verteidiger des Kanzlerspions Günter Guillaume hat ein neues Mandat: Rechtsanwalt Horst-Dieter Pötschke aus München vertritt im spektakulärsten Spionagefall seit dem Ende des Krieges einen russischen Agenten. Dem Abteilungsleiter des Moskauer Auslandsgeheimdienstes SWR und seiner Ehefrau werden von der Bundesanwaltschaft geheimdienstliche Agententätigkeit vorgeworfen. Das Paar, dass noch vor der Wiedervereinigung nach Deutschland geschleust worden war, muss sich demnächst vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Pötschke sagte der "Welt am Sonntag", sein Mandant sei kein gewöhnlicher Krimineller: "Er musste nicht nur fast 25 Jahren in einem fremden Land leben. Er hat auch unter falschem Namen geheiratet und unter falschem Namen ein Kind bekommen. Das ist furchtbar."
In den 70er- und 80er-Jahren hatte Pötschke zahlreiche Ost-Agenten von KGB und Stasi verteidigt. Neben Guillaume war Manfred Rotsch darunter. Er spionierte 30 Jahre für die Sowjetunion und gilt als dienstältester KGB-Agent in Westdeutschland. Pötschke sagte der "Welt am Sonntag", Agenten würden ihre Straftaten aus einer "idealistischen Grundeinstellung" heraus begehen. "Geheimdienstler sind vielleicht nicht die besseren Menschen, aber besondere."
Das nun vor Gericht stehende Agentenpaar, das in Deutschland mit österreichischen Pässen lebte, soll im Auftrag des SWR Hunderte geheime Nato- und EU-Dokumente aus den Niederlanden beschafft und nach Moskau übermittelt haben. Außerdem soll der Ehemann hochkarätige Persönlichkeiten aus Politik und Militär, darunter einen ehemaligen Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), ihrer Moskauer Zentrale als Kandidaten für eine Anwerbung empfohlen haben. Trotzdem sieht der 73-Jährige Pötschke im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft keine Anhaltspunkte für einen besonders schweren Fall von Spionage. Er erwartet, dass Verfahren vor dem OLG Stuttgart im Januar eröffnet wird. Im Fall der Verurteilung drohen den Eheleuten bis zu 10 Jahren Haft.
Pötschke sagte der "Welt am Sonntag", er sei durch "eine glückliche Fügung" an das Mandat herangekommen. Ob der SWR dabei eine Rolle gespielt habe, wollte er nicht beantworten. Ebenso wenig die Frage, ob er den Fall mit der russischen Botschaft beraten habe. Sein Mandant werde wohl im Verfahren schweigen, kündigte Pötschke laut dem Bericht an.