WIRECARD: Die KPMG-Sonderprüfung ist abgeschlossen - was folgt daraus für die frühere Jahresabschluss-Prüfungstätigkeit von Ernst & Young?
Investorenvertreter erheben schwere Vorwürfe und bereiten Klage vor
Am 28.04.2020 hat WIRECARD den 74-seitigen Sonderprüfungsbericht von KPMG vorgelegt. Während WIRECARD sich durch den Bericht von allen Vorwürfen entlastet sieht, urteilen die Märkte anders: Die Aktie ist seit der Veröffentlichung erheblich gefallen.
Investorenvertreter rund um die Rechtsanwälte Dr. Marc Liebscher und Dr. Wolfgang Schirp (beide Berlin) gehen der Frage nach, was aus dem Sonderprüfungsbericht für die Tätigkeit der langjährigen Abschlussprüfer von WIRECARD folgt, nämlich der Prüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY).
Immerhin hat EY die Jahresabschlüsse von WIRECARD bis hin zum Jahresabschluss 2018 testiert und keine Beanstandungen erhoben - weder als Einschränkung noch als Ergänzung. Dr. Liebscher und Dr. Schirp haben die Frage nicht nur selbst untersucht, sondern sich dazu auch mit namhaften Wirtschaftsprüfern austauschen, die auf die internationalen Rechnungslegungsvorschriften IFRS spezialisiert sind. Die Ergebnisse sind verheerend. Ein paar Urteile zu ausgewählten Passagen des KPMG-Berichtes anbei:
- KPMG: "Hinsichtlich der Höhe und Existenz der Umsatzerlöse aus den TPA-Geschäftsbeziehungen zwischen der Cardsystems Middle East, der Wirecard UK & Ireland sowie der Wirecard Technologies und den jeweils relevanten TPA-Partnern kann KPMG als Ergebnis der durchgeführten forensisch geprägten Untersuchungshandlungen in Bezug auf den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 weder eine Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse existieren und der Höhe nach korrekt sind noch die Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse nicht existent und in der Höhe nicht korrekt sind. Insoweit liegt ein Untersuchungshemmnis vor."
Bewertung Dr. Wolfgang Schirp, Berlin: "EY hätte im Konzernabschluss das Testat einschränken oder erweitern müssen. Zwar war der konkrete Betrag der Falschbilanzierung nicht bekannt, da dieser innerhalb einer Spannbreite liegt. Aber dann hätte der Höchstbetrag genannt werden müssen, um den die Umsatzerlöse zu hoch ausgewiesen waren.
Wenn Umsatzerlöse nicht nachgewiesen werden können, dann kann dieses Manko durch den Ausweis von solchen Umsatzerlösen nicht beseitigt werden. Wenn EY das Testat in diesem Punkte nicht einschränken wollte, dann wäre als Mindestlösung eine Ergänzung/Erweiterung im Testat möglich gewesen, die auf den Sachverhalt hinweist, ohne ausdrücklich zu besagen, dass der Jahresabschluss/Konzernabschluss fehlerhaft ist. Aber das völlige Schweigen des Testates in diesem Punkte ist mit ordnungsgemäßer Prüfungsarbeit nicht zu vereinbaren."
- KPMG: "Zusammenfassend kommt KPMG auf der Basis der KPMG zur Verfügung gestellten Dokumente und der KPMG erteilten ergänzenden Auskünfte zu dem Ergebnis, dass Argumente gegen die von Wirecard vorgenommene Bilanzierung der Escrow Accounts als Zahlungsmittel bzw. Zahlungsmitteläquivalente im Untersuchungszeitraum 2016-2018 sprechen. (.) Nach unserer Einschätzung sprechen Argumente gegen die Einhaltung der Voraussetzungen zur Klassifizierung der Gelder auf den Escrow Accounts als Zahlungsmittel, da Zweifel bestehen, ob die in den IFRS verankerten Voraussetzungen einer "jederzeitigen Verfügbarkeit ohne Strafe" erfüllt waren."
Bewertung Dr. Marc Liebscher, Berlin: "EY hätte auch in diesem Punkte das Testat einschränken müssen. Zumindest hätte dieser Aspekt ausdrücklich im Testat genannt und zum Gegenstand einer Erweiterung des Testats gemacht werden müssen. Richtigerweise hätten die Escrow Accounts als "sonstige Vermögensgegenstände" ausgewiesen werden müssen.
Zwar würde ein solcher Ausweis in den Aktiva die Bilanz nicht ändern, d.h. das Ergebnis bliebe unter dem Strich unverändert. Aber die Escrow Accounts wären eben keine "Zahlungsmittel" mehr, also kein Cash. Und gerade die Kennzahl "Zahlungsmittel", also Cash, ist für Investoren ein wichtiges Kriterium bei der Anlageentscheidung. Das Versäumnis von EY hat also dazu geführt, dass eine für den Kapitalmarkt wichtige Kennzahl falsch dargestellt worden ist. WIRECARD konnte so ungehindert seine Cash-Kennzahl aufblähen."
- KPMG: "Bankbestätigungen und Kontoauszüge der die Treuhandkonten führenden Bank wurden uns nicht übermittelt, da der Treuhänder 1 auskunftsgemäß das Vertragsverhältnis mit den Wirecard-Gesellschaften beendet hat und auf Anfragen seitens Wirecard nicht mehr reagiert.
Daher konnten die auskunftsgemäß erfolgten einzelnen Einzahlungen der TPA-Partner auf die Treuhandkonten durch KPMG nicht anhand von Kontoauszügen nachvollzogen werden. Insoweit konnte auch nicht hinreichend belegt werden, dass die Einzahlungen im Untersuchungszeitraum tatsächlich durch die TPA-Partner erfolgt sind. Neben diesen nicht hinreichend nachgewiesenen Einzahlungen auf Treuhandkonten im Umfang von rund EUR einer Mrd. sind (.)
Im Verlauf der Untersuchung haben wir Kontoauszüge bzw. Bankbestätigungen der Bank 1 in Bezug auf die Escrow Accounts angefordert, die wir für die Untersuchung der Zahlungsflüsse und als Nachweis für die Existenz der Gelder und damit der Umsatzerlöse im Untersuchungszeitraum als zwingend notwendig erachten.
Kontoauszüge und Bankbestätigungen für den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 wurden uns jedoch nicht vorgelegt. Auskunftsgemäß reagierte der Treuhänder 1 nicht mehr auf entsprechende Anfragen. Es war daher auch nicht möglich, die Salden der Escrow Accounts zu den auskunftsgemäß dahinter liegenden Kontoauszügen der Konten der Bank 1 abzustimmen."
Bewertung Dr. Liebscher: "Die Escrow Guthaben sind in den Jahresabschlüssen nicht nur unzureichend bzw. falsch ausgewiesen. Schlimmer noch: Es fehlt sogar der Nachweis, ob diese Guthaben überhaupt existieren und bei wem sie liegen. Und man muss davon ausgehen, dass dieses Nachweisdefizit auch schon im Zeitpunkt der Abschlussprüfung durch EY bestand. Dies aber hätte zu einer Einschränkung der EY-Testate führen müssen. Allermindestens hätten EY die Zweifel hinsichtlich der Existenz der Escrow Accounts ansprechen und unbedingt zum Gegenstand einer Testatserweiterung machen müssen."
Dr. Liebscher (Berlin) "Natürlich muss man unterscheiden, zwischen einer forensischen Sonderprüfung, wie der von KPMG und einer normalen Jahresabschlussprüfung, wie der von EY - insbesondere hinsichtlich der Prüfungstiefe. Die im KPMG-Bericht offenbar gewordenen Auffälligkeiten im Sinne von nicht nachgewiesenen Umsätzen und Falschbilanzierung hätten aber im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfungsablaufes einer Jahresabschlussprüfung von EY festgestellt werden müssen.
Dies gilt vor allem im Hinblick auf die materielle Höhe der auffälligen Posten. Diese Posten sind wirtschaftlich viel zu relevant, als dass ein Abschlussprüfer dies ohne tiefere Prüfung hätte akzeptieren dürfen. Deswegen macht die Frage nach forensischer oder nicht forensischer Prüfung keinen Unterschied. "
Dr. Wolfgang Schirp: "Wir und die mit uns kooperierenden Wirtschaftsprüfer können natürlich ohne Detailkenntnisse keine Ferndiagnose stellen. Aber aufgrund der Aussagen im KPMG-Bericht und der bisherigen Presseberichterstattung hierzu - und vor allem ohne inhaltliche Widerlegung durch WIRECARD - ist es die einheitliche Expertenmeinung, dass EY mindestens in den genannten drei Punkten Testate erstellt hat, die den rechtlichen Anforderungen nicht entsprechen. Wir gehen davon aus, dass sich hieraus Haftungsansprüche der Investoren ableiten lassen, die im Vertrauen auf die Testate in die Aktie investiert haben."
Dr. Liebscher, Berlin: "Erstaunt sind wir auch über die niedrigen Prüfungshonorare, die EY für die Prüfung und Testierung der Jahresabschlüsse vereinnahmt hat. Nach den Angaben im Rückstellungsspiegel des veröffentlichten Konzernabschlusses 2018 wurden für das Prüfungshonorar zum 31.12.2017 noch € 1,0 Mio. und zum 31.12.2018 noch € 2,2 Mio. zurückgestellt.
Wenn diese Zahlen zutreffend sind, dann erscheint das Honorar im Hinblick auf die Komplexität des Geschäftes/der Transaktionen und für eine DAX-Gesellschaft sehr niedrig. Dies rechtfertigt natürlich keinen niedrigen Standard der Prüftätigkeit, und es rechtfertigt schon gar nicht Irreführungen des Kapitalmarktes."
Quelle: DGAP-News: SCHIRP & PARTNER Rechtsanwälte mbB