Der Vorschlag von Grünen-Chef Robert Habeck, Jugendliche bei der nächsten Bundestagswahl schon ab 16 Jahren wählen zu lassen, stößt auf breite Zustimmung im Bundestag.
Die jüngere Altersgruppe bei der Wahl zu stärken, sei eine "Frage der Gerechtigkeit", sagte Sönke Rix, familienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der "Welt" (Dienstagsausgabe). "Weil es in Deutschland wegen der Bevölkerungsentwicklung zunehmend mehr ältere Menschen geben wird, brauchen wir als Gegengewicht mehr junge Wählerinnen und Wähler", so der SPD-Politiker weiter.
Aktuell zeichneten sich bereits "umfangreiche Verteilungskämpfe" ab: "Stärken wir die Konjunktur mit Autokaufprämien oder lieber mit Investitionen in Bildung?", so Rix. Auch die FDP zeigte sich aufgeschlossen: "Junge Menschen engagieren sich so aktiv wie lange nicht mehr und wollen ihre eigene Zukunft gestalten", sagte Matthias Seestern-Pauly, kinder- und jugendpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Es sei deshalb folgerichtig, ihre Mitbestimmung zu stärken. "Die Absenkung des Wahlalters gehört für mich persönlich dazu", so der FDP-Politiker weiter. Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, Norbert Müller, will ebenfalls das Wahlrecht ab 16 Jahren: "In Brandenburg haben wir damit auf Landesebene gute Erfahrungen gemacht", sagte Müller der "Welt".
Die Befürchtung, dass Jugendliche leichter zu manipulieren seien, habe sich nicht bestätigt. Für ihn klinge Habecks Ansatz, die "politische Reife" der Jugendlichen zu honorieren, allerdings "ein bisschen paternalistisch", so der Linken-Politiker weiter. "Wählen ist ein gutes Recht, kein Belohnungsinstrument. Wir geben 16- und 17-Jährigen so viel Verantwortung in die Hände, dann sollten wir sie auch beteiligen", sagte Müller.
Für eine Wahlrechtsänderung auf Bundesebene bedürfte es allerdings einer Grundgesetzänderung. "Dazu müsste auch die Union mit im Boot sein, die sich bisher gesträubt hat", so der Linken-Politiker. Der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Marcus Weinberg (CDU), erteilte dem Ansinnen hingegen eine Abfuhr: "So sehr ich die stärkere und frühere Beteiligung und die politische Bildung von Jugendlichen unterstütze: Von einer Absenkung des Wahlalters auf 16 halte ich nichts", sagte Weinberg.
Mit 18 Jahren sei man geschäftsfähig und könne für ein politisches Mandat kandidieren. "Es macht keinen Sinn, das Wahlalter davon zu trennen. Hier braucht es eine klare Linie", so der CDU-Politiker weiter. Aus der Wissenschaft kommt Zustimmung für Habecks Vorstoß: Eine Absenkung des Wahlalters erhöhe die Chancen für mehr Weitblick in der Politik, eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der jungen Generation und einen gerechten Ausgleich zwischen den Generationen, sagte Jörg Maywald, Professor für Kinderrechte und Kinderschutz an der Fachhochschule Potsdam.
"Kinder und Jugendliche sind von den langfristigen Auswirkungen politischer Entscheidungen am meisten betroffen, haben aber bei Wahlen keine Stimme", so der Wissenschaftler weiter. Die Zeit sei reif, das Wahlalter auch für Bundestagswahlen schrittweise abzusenken, zunächst auf 16 Jahre. "Viele junge Menschen wollen und können sich an politischen Entscheidungen beteiligen", so Maywald.
Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht für die zunehmende Politisierung der Jugend auch empirische Evidenz, vor allem aus der "Fridays-for-Future"-Bewegung: "Wir haben hier erlebt, dass sich sogar schon Grundschüler politisch artikulieren können. Die Jugendlichen haben sich auf geradezu vorbildliche Weise für ihre Überzeugungen und das Gemeinwohl eingesetzt", sagte Hurrelmann der "Welt".
Heute seien 45 Prozent der Jugendlichen stark oder sehr stark politisch interessiert. Aus Studien sei bekannt, dass das politische Interesse und die Bereitschaft, sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen, bereits nach dem zwölften Lebensjahr stark anstiegen, so der Jugendforscher weiter. Bei einer Wahl gehe es meist weniger um fachpolitische Themen, sondern mehr um eine Richtungsentscheidung, die Jugendliche gut treffen könnten.
Dadurch ließen sich auch die hohen Zustimmungswerte von Jungwählern für die Grünen auf der einen und die AfD auf der anderen Seite erklären: "Beide Parteien profitieren davon, dass sie ziemlich scharf profilierte Parteien mit einem klar erkennbaren Thema sind. Das kommt bei jungen Leuten gut an, weil sie besser einzuschätzen sind – während die Volksparteien in der Regierung eher als undifferenzierte Gemischtwarenläden rüberkommen", sagte Hurrelmann der "Welt".
Die Jugendlichen seien aber keineswegs festgelegt: "Wer glaubt, vom heutigen Stimmungsbild ausgehend von einer Senkung des Wahlalters profitieren zu können, kann sich gewaltig irren", so der Jugendforscher weiter. Ohnehin dürfe man eine so ernste und grundsätzliche Frage wie eine Wahlrechtsreform nicht an aktuellen Umfragewerten festmachen.
Foto: Wahllokal, über dts Nachrichtenagentur