Der Bundesverband der deutschen Hausärzte hat die Bundesregierung scharf für die Verzögerungen im deutschen Impfprogramm kritisiert und zudem die Aufhebung der Corona-Auflagen für Geimpfte gefordert.
"Sehr viele Menschen wollen sich aktuell erfreulicherweise impfen lassen, und wir Hausärztinnen und Hausärzte bestärken sie darin, indem wir sie beraten und ihnen verlässliche Informationen rund um die Impfung zur Verfügung stellen", sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Sonntagausgaben). "Aber selbst das größte ärztliche Engagement kann nur dann den erhofften Erfolg zeitigen, wenn genügend Impfstoff vorhanden ist", sagte er.
Es sei nicht die Schuld der Bürger, dass die Regierung "viel zu spät und dann auch noch viel zu wenig Impfstoff bestellt hat, der nun nicht für alle reichen kann", so Weigeldt.
Viele Kollegen sowie ihre Mitarbeitenden seien derzeit freiwillig in den Impfzentren und in den mobilen Teams tätig - zusätzlich zu ihrer Arbeit in den Praxen. Damit das Programm jedoch erfolgreich sein könne, müsse die Bundesregierung die Lücke schnell ausgleichen, forderte er.
Der Hausärzteverband dringt zudem darauf, die Corona-bedingten Einschränkungen für alle Geimpften fallen zu lassen, sofern man nach der Immunisierung nicht mehr ansteckend ist. "Die Menschen wollen zu Recht jedenfalls dann von den Vorteilen des Impfens profitieren dürfen, wenn diese Impfungen tatsächlich nicht nur vor Erkrankung schützen, sondern auch die Übertragung des Virus verhindern", sagte Weigeldt dem RND.
Es gebe viele Klagen über die zahlreichen Einschränkungen, die wegen der Pandemie seit rund einem Jahr bestünden. "Dann kann man sich andererseits nicht darüber beschweren, dass Menschen, die geimpft sind und deshalb für ihre Mitbürger keine Gefahr mehr darstellen, diese Einschränkungen nicht länger hinnehmen wollen", argumentierte er.
Man könne beispielsweise einer 85-Jährigen, die seit Monaten ihr Pflegeheim weder verlassen, noch dort Besuch empfangen durfte, kaum erklären, dass sie trotz der endlich erfolgten Impfung weiterhin das Heim nicht verlassen oder ihre Familie sehen darf, sagte der Verbandsvorsitzende: "Wollen wir dieser Frau ernsthaft zumuten, dass sie sich aus Rücksicht auf die Ungeimpften weiterhin selbst einsperrt", fragte Weigeldt.
"In diesem Zusammenhang von einer Spaltung der Gesellschaft oder einer Privilegierung der Geimpften zu sprechen, ist nicht angemessen." Schließlich stelle die Impfung lediglich die normalen Lebensmöglichkeiten wieder her, so der Mediziner. "Die Politik muss den Geimpften zubilligen, diese Möglichkeiten auch wieder wahrzunehmen. Nur so lässt sich die Akzeptanz der Maßnahmen sicherstellen."
Derzeit gibt es zwischen der Bundesregierung und einzelnen Bundesländern Uneinigkeit darüber, ob Geimpften die obligatorische Quarantäne- und Testpflicht nach einer Auslandsreise erlassen werden soll.
Zuvor hatten sich unter anderem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (beide CDU) gegen eine Ungleichbehandlung nach Immunisierungsstatus ausgesprochen.
"Eine Vorzugsbehandlung für Geimpfte birgt die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft", hatte zuletzt auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) gesagt. Der Deutsche Hausärzteverband hat nach eigenen Angaben mehr als 30.000 Mitglieder und ist damit der größte Berufsverband niedergelassener Ärzte in Deutschland.
Foto: Alte Frau an Impfzentrum, über dts Nachrichtenagentur