Der krachend gescheiterte „Klima“-Volksentscheid von Berlin hat im linken Lager zu einem mittleren Beben geführt und Gewissheiten erschüttert. Aber auch bei manchen dazu geführt, dass sie ihr wahres Gesicht zeigen.
von Vera Lengsfel
Exemplarisch dafür ist der Kommentar von taz-Redakteur Gareth Joswig. Zur Erinnerung, die taz aus der linksten Hochburg der Republik, Berlin-Kreuzberg, war mal vor Jahrzehnten als alternatives Projekt gestartet und war die journalistische Schule für sehr viele Medienmacher, insbesondere derer, die das Vierteljahrhundert Schröder-Merkel-Republik bei Spiegel und Co. dominiert haben. Heutzutage scheint die taz vor allem eine Art linkes Neues Deutschland zu sein.
In der Jetztzeit steht das Framing – früher Spin genannt – über allem. Deshalb muss die Botschaft immer gleich in die Überschrift. Für Gareth Joswigs Kommentar: „Signal aus Spandauer Vorgärten“.
Das ist schon die erste Propagandalüge: Der Volksentscheid ist bezüglich Quorum berlinweit gescheitert. Einzige Ausnahme: Friedrichshain-Kreuzberg. Dort überschritten die „ja“-Stimmen das 25% Quorum mit 31%. Wirklich deutlich wird die Abneigung der Berlinerinnen und Berliner aber vor allem in den Plattenbaugebieten im Osten, insbesondere in Marzahn-Hellersdorf mit der deutlichsten Ablehnung. Für Nicht-Berliner: Spandauer Vorgärten sind der westliche Außenbereich – Marzahn-Hellersdorf das östliche Pendant.
Nach der Propagandaüberschrift steigt Gareth Joswig zunächst sachlich ein:
„Die Wahlbeteiligung ist niedrig, die Außenbezirke haben zu großen Anteilen überwiegend mit „Nein“ gestimmt: Der Volksentscheid von Klimaneustart Berlin verfehlt sein Ziel.“
Alles richtig. Doch wenige Sätze später kommt die eigentliche Hauptbotschaft des Kommentars:
„Das ist durchaus ein Tiefschlag für die Klimabewegung der Stadt. Das Signal, das um die Welt gehen sollte, wurde in den Spandauer und Reinickendörfer Vorgärten zwischen Swimmingpool und SUV erfolgreich abgewürgt.“
Lassen wir mal die Hybris von den deutschen Signalen, die aus Berlin „in die Welt gehen sollten“ weg. Die Schuldzuweisung ist klar: Spandauer und Reinickendorfer Vorgärten, zwischen Swimmingpool und SUV.
Hier zeigt der taz-Journalist seine ganze Verachtung für die Lebensweise seiner Mitbürger. Was ist nur aus der sprichwörtlichen Toleranz Preußens geworden? Die Pflege und Unterhaltung eines Vorgartens, solche gibt es tatsächlich gerade in Reinickendorf und Teilen von Spandau auch in einfacheren Wohnanlagen, als Feindbild? Man kann es kaum glauben…
Aber was ist mit Swimmingpools? Der Kreuzberger an sich assoziiert damit wahrscheinlich Kalifornischen start-up-Reichtum.
Doch was ist die Realität? Es gibt tatsächlich immer mal wieder kleine Swimmingpools in den Gärten von Einfamilienhäusern in ganz Berlin – in der Regel die Erfüllung des Eigenheimtraums hart arbeitender Mittelstadtfamilien.
Aber Joswig setzt ja noch den SUV drauf! Haben wir da endlich die Bösewichte?
Jetzt bin ich persönlich auch nicht der größte Fan von PS-starken Offroadern in Innenstädten, aber das Bedürfnis von Größe und Sicherheit, oft sind SUVs auch bei einem bestimmten Typ erfolgreicher Mütter beliebt, als reinen konservativen Außenringlebensstil zu brandmarken, ist natürlich ein Witz.
Und eine weitere taz-Lüge – jeder, der sich ein wenig in Kreuzberg auskennt, weiß, dass auch dort auffällig viele SUVs rumkurven. Und die gehören garantiert nicht Pendlern aus Spandau oder Reinickendorf.
Im nächsten Joswig-Abschnitt geht es dann wieder sachlich zu.
„Der Entscheid hat damit den Trend der Berliner Wiederholungswahl, aus der die CDU als klarer Sieger hervorging, bestätigt: Das Ergebnis ist erneut ein Dämpfer für progressive Politik. Trotz einer großen und überall in der Stadt sichtbaren Kampagne für ein „Ja“ sind nicht genug Menschen an die Urnen gegangen. Und obwohl es keine Gegenkampagne gab, haben deutlich mehr Menschen mit „Nein“ gestimmt als erwartet.“
Und auch den folgenden Abschnitt zeichnet eine gewisse Nachdenklichkeit aus:
„Die Klimabewegung sollte analysieren, warum es nicht gereicht hat und welchen strategischen Anteil man daran haben könnte. Denn der größere Rahmen ist natürlich die sich zuspitzende Klimakrise: ein alarmierender IPCC-Bericht in der Vorwoche, unzählige Wissenschaftler*innen, die das Volksbegehren unterstützt haben, drohende Kipppunkte und nicht abreißende Hitzerekorde und Starkwetterereignisse weltweit.“
Der aus Bremen nach Berlin zugereiste Absolvent der Soziologie und Geschichte (Schwerpunkt Rechtsextremismus) Joswig übersieht aber natürlich eines: Vielleicht haben die Berlinerinnen und Berliner einfach schon weitergedacht? Und haben ihre eigenen Schlussfolgerungen aus den immer schriller werdenden Warnungen der immer kleiner werdenden Zahl echter aktiver Wissenschaftler, genannt „die Wissenschaft“ gezogen?
Wobei erste Ansätze auch bei Joswig zu ahnen sind:
„Hinzu kommt aber vermutlich auch eine gewisse Krisenmüdigkeit nach Pandemie, Krieg und eine von hohen Energiepreisen angeheizte Inflation. Vielleicht sollten daher soziale Antworten auf die Klimakrise beim nächsten Anlauf der Klimabewegung eine größere Rolle spielen als apodiktische Zielsetzungen und Fokussierung auf ein Datum. Aber wie immer gilt: Hinterher ist man immer schlauer.“
Nach der nächsten Denunziations-Zwischenüberschrift („Klein-Berlin ist zurück“) kommt es noch mal ganz dick
„Klein-Berlin ist zurück, das am Grill über „Klima-Kleber“ meckert und aus den heckenbeschatteten Vorgärten und Carports die Politik bestimmt, während die Innenstadt weiter schwitzen muss.“
Man fragt sich fast ein wenig besorgt, ob die Innenstadterhitzung hier schon aufs Gemüt geschlagen hat?
Sind die Kreuzberger taz-Journalisten wirklich der Meinung, das Mikroklima in der Rudi-Dutschke-Straße oder im Wrangelkiez wird über das globale CO2 gesteuert?
Ging es in dem Volksentscheid nicht nur um mehr Bürokratie-Karrieren und um irre Subventionen für Balkon-Solarpanele, sondern um real mehr Bäume rund um das Kottbusser Tor? War das die Joswigsche Hoffnung?
Stadtgrün ist nun wirklich eine vor allem kommunale Aufgabe, oft betrieben von den Leuten, die Joswig als Vorgarten-Städtler denunziert.
Wer trägt denn die Verantwortung in den verbliebenen taz-Hochburgen? Ist Friedrichshain-Kreuzberg etwa in der Hand irgendwelcher finsteren Fossil-Grill-Mächte? Nein, Grüne und Linkspartei haben auch nach der Wiederholungswahl in Berlin in Friedrichshain-Kreuzberg eine absolute Mehrheit. Dies sollte der in diesem Bezirk angesiedelten taz eigentlich bewusst sein.
Tja, das ewige Nebelkerzenwerfen kann einen schon mal verwirren, Gareth Joswig.
Die Berlinerinnen und Berliner haben es vorgemacht: Wer die Kreuzberger Republik verhindern will (und eigentlich kann es hier außerhalb von Kreuzberg keine zwei Meinungen geben), der darf keine Stimme an Grüne oder Linke oder an von denen befeuerte Initiativen wie den gescheiterten Klimavolksentscheid geben. Niemals.