Charité-Chefvirologe Christan Drosten hat vor einer verheerenden Corona-Welle nach dem Sommer gewarnt und fordert die sofortige Aufstockung der Intensivbetten.
"Im Herbst wird es kritisch, das ist klar. Dann wird es in den Kommunen zahllose unerkannte Fälle geben, weil die Gefahr im Sommer aus dem Blick gerät", sagte der Direktor der Charité-Virologie der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).
Die Ansteckungsgefahr steige dramatisch. "Ich erwarte dann eine schlagartige Zunahme der Corona-Fälle mit schlimmen Folgen und vielen Toten." "Wir müssen jetzt mit Hochdruck mehr Kapazitäten an Intensivbetten schaffen, sonst wird es zu schwierigen Entscheidungen kommen", verlangte Drosten.
Zwar gebe es in Deutschland 28.000 Intensivbetten, erklärte Drosten weiter. Diese seien aber zu über 80 Prozent belegt und könnten nicht in ausreichender Zahl frei gemacht werden. "Wen wollen wir dann retten, einen schwer kranken 80-Jährigen oder einen 35-Jährigen mit einer rasenden Viruspneumonie, der binnen Stunden sterben würde und bei künstlicher Beatmung binnen vier Tagen über den Berg wäre?", fragte Drosten.
"Vieles spricht dafür, dass es solche Fälle geben wird, in denen auch in Hubschrauberreichweite kein Gerät bereit wäre", erklärte der Experte und betonte: "Das ist kein Alarmismus, der mir manchmal vorgeworfen wird. Das sind keine Horrorszenarien, sondern wird Realität werden, wenn es zu einer schnellen Ausbreitung kommt."
Mit Blick auf Aussagen, Deutschland sei bestens ausgerüstet, sagte der Charité-Virologe: "Es ist nicht mehr angebracht, die Lage zu verharmlosen. Wir stehen vor einer bislang nicht gekannten Bedrohungslage und können nicht absehen, was das bedeutet. Wir haben jetzt noch etwas Zeit für Planungen und Investitionen, die wir nicht vertrödeln dürfen. Wir müssen verdammt aufpassen."
Kassenarztchef Andreas Gassen sagte hingegen der NOZ: "Es gibt weltweit keine 28.000 schwer kranken und beatmungspflichtigen Corona-Patienten! Daher sollte auch mit Blick auf den Herbst niemand verrückt gemacht werden."
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ergänzte: "Es wäre medizinisch blanker Unfug, sich für jede theoretische Eventualität maximal zu wappnen. Sollen es 40.000 Beatmungsbetten sein oder 50.000? Dafür haben wir nicht das Personal. Und dafür haben wir nicht das Geld. Und wir brauchen es auch nicht." Er rate dazu, "einen kühlen Kopf zu bewahren", sagte Gassen.
Es gelte, aus der Corona-Epidemie Lehren zu ziehen, und das heiße: "Wir müssen die Informationsflüsse und die Kommunikation optimieren und etwa bei Schutzausrüstungen für medizinisches Personal Vorräte anlegen. Da sitzen wir dran. Und darum kriegen wir das hin."
Klaus F. Rabe, Vorstandsmitglied und Expräsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), sieht hingegen wie Drosten Handlungsbedarf. "Wir sollten uns auf den Herbst vorbereiten und alle Prozesse auf den Prüfstand stellen. Für einen größeren Ausbruch sind wir nicht gut vorbereitet, sonst dürften die noch relativ geringen Zahlen nicht zu solchen Problemen führen", sagte der Lungenarzt der NOZ.
Aus Sicht des DGP-Vorstandes muss das Coronavirus "ein Schuss vor den Bug" sein. "Unser Gesundheitssystem ist extrem auf Kante genäht. Maximale Effizienz und Vollbelegung werden zur Voraussetzung des Überlebens für Krankenhäuser. Es gibt keine Puffer mehr, von der personellen Besetzung bis zu Lieferketten, was jetzt schon zu Engpässen führt", sagte er.
Die Perspektive, dass plötzlich sehr viele Patienten zur gleichen Zeit behandelt werden müssten, erfülle ihn "mit Sorge", sagt Rabe. "Schon jetzt knatscht es rechts und links."
Foto: Charité, über dts Nachrichtenagentur