Kassenarztchef Andreas Gassen übt scharfe Kritik an wiederholten Rufen nach "Corona-Schulferien".
"Bei wenigen Hundert Infizierten in Deutschland wären bundesweite Schulschließungen eine hysterische Überreaktion", sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). In Italien sei die Lage mit 3.000 Infizierten und 110 Toten eine ganz andere.
"Dort gab es die Notwendigkeit, zu reagieren. Ob es die richtige Entscheidung war, wird sich zeigen. Aber mit der Situation in Deutschland und in anderen europäischen Ländern ist das nicht vergleichbar."
Entschieden stellte sich der KBV-Chef auch gegen Forderungen nach einem Verbot von Großveranstaltungen. "Wir können doch nicht das öffentliche Leben stilllegen, und die Leute sitzen alle zu Hause und verfolgen vor dem Fernseher gebannt den Corona-Liveticker, obwohl es nur sehr wenige Menschen gibt, die sich mit einem relativ milden Virus angesteckt haben", sagte der Mediziner der NOZ.
"Auch in einem Fußballstadion ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Fan neben mir Corona hat, extrem gering. Gesetzliche Verbote für Großveranstaltungen halte ich nicht für zielführend." Er selbst sei vor einer Woche noch auf einem Rockkonzert gewesen. Extrem beunruhigt zeigte sich Gassen angesichts des Verhaltens der Bevölkerung.
"Die Bevölkerung ist wie in einer Corona-Schockstarre, die Leute machen Hamsterkäufe und laufen mit Schutzmasken durch die Gegend. Mit der Realität hat das nichts zu tun, aber es hindert Ärzte daran, sich um echte Patienten zu kümmern", beklagte der KBV-Chef.
"Was wir erleben, grenzt teils an Hysterie. In Berlin stehen hundert Leute in der Schlange, weil sie meinen, getestet werden zu müssen. Auf solche Massen kann keine Praxis eingestellt sein." Gleichwohl sei das Gesundheitssystem "extrem leistungsfähig und wird durch das Coronavirus nicht an seine Grenzen stoßen", betonte Gassen.
Foto: Abgeschlossenes Schultor, über dts Nachrichtenagentur