Wie rasch sich die Einschätzungen der Analysten doch ändern. Noch im Dezember hatte es geheißen, an den Aktienmärkten seien die Auswirkungen der Krise und der Rezession im Grunde schon weitestgehend verarbeitet. Vor allem sei im Bankensektor im Rahmen der mittlerweile schon seit mehr als einem Jahr andauernden Krise das Schlimmste schon vorüber.
Dasselbe gelte für den Aktienmarkt: Nach dem Annus Horribilis 2008 sei zwar denkbar, dass die Dividendentitel im ersten Halbjahr 2009 noch etwas weiter nachgeben, was aber als Übertreibung anzusehen sei. Der sich für 2010 abzeichnende konjunkturelle Aufschwung werde dann in der zweiten Jahreshälfte für bessere Stimmung bei den Anlegern sorgen.
Wie es scheint, haben sich diese optimistischen, meist von Sell-Side-Analysten vorgetragenen Perspektiven durch die jüngsten Ereignisse erledigt: Die Deutsche Bank erlitt einen Verlust von fast 5 Mrd. Euro im Quartal, bei der Citigroup sind es mehr als 8 Mrd. Dollar. Der einstige 800-Pfund-Gorilla des amerikanischen Finanzsektors wird darüber hinaus in zwei Teile zerlegt, was als Eingeständnis des Scheiterns der Konzernführung aufgefasst werden darf. Die vor der Übernahme durch die Bank of America stehende Merrill Lynch kommt auf ein horrendes Minus von mehr als 15Mrd. Dollar, und die Bank of America selbst steuert weitere 2Mrd. Dollar bei. Die britische Großbank HSBC braucht womöglich bis zu 20 Mrd. Dollar an frischem Kapital. Und in Irland muss die drittgrößte Bank komplett verstaatlicht werden.
Wenig Gutes verheißen auch die Konjunkturdaten, was derzeit am klarsten an den japanischen Zahlen abzulesen ist. Um nicht weniger als 17% sackte die dort stark exportorientierte Industrieproduktion im November in sich zusammen. Nicht nur die Absatzmärkte USA und Europa sind schwach, auch das übrige Asien scheint inzwischen von der ausufernden Krise voll getroffen zu sein. In den USA rutscht der private Häusermarkt immer weiter ab. Und die Internationale Energieagentur IEA sagt voraus, dass der weltweite Ölverbrauch 2009 im zweiten Jahr in Folge zurückgehen wird. Zuletzt hatte es ein solches Ereignis vor 26 Jahren gegeben.
Auch in Deutschland sieht es nicht besser aus. Für das vierte Quartal des vergangenen Jahres sagen die Ökonomen von Unicredit ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts gegenüber Vorquartal um annualisiert rund 6% voraus.
Auch wenn es die deutschen Anleger am Freitag noch vorgezogen haben, die sich weiter verdüsternden Aussichten zu ignorieren: Es sieht danach aus, dass es an den Aktienmärkten weiter abwärts gehen wird. Dazu trägt vor allem bei, dass die Quartalssaison in den USA wie auch in Europa noch zahlreiche unangenehme Überraschungen mit sich bringen dürfte. Die Analystenschätzungen der Unternehmensgewinne sind jedenfalls noch deutlich zu hoch. In der Folge ist damit zu rechnen, dass der deutsche Leitindex ausgehend von seiner derzeitigen Position bei 4366 Punkten in nächster Zeit eher die Marke von 4000 als diejenige von 5000 ins Visier nehmen wird. Der deutsche Leitindex dürfte also die Tiefs des vergangenen Jahres antesten. Die Anleger wiegen sich bislang noch in trügerischer Sicherheit, wie am Tagesgewinn des Dax vom Freitag abzulesen ist. Aller Voraussicht nach wird es für sie ein böses Erwachen geben.
Gestützt wird dieses Negativszenario auch durch die Charttechnik. Wie die Analysten von HSBC Trinkaus anmerken, ist der Abschluss einer großen Bodenbildung bei 5050 Punkten fehlgeschlagen. Damit habe der Dax weiteres Porzellan zerschlagen. Die diversen Tiefpunkte des vierten Quartals 2008 bei rund 4300 Zählern bildeten die letzte Bastion auf dem Weg zu den Niedrigständen von 2008 bei rund 4000 Punkten.
Als anfällig erscheint auch der amerikanische Aktienmarkt. Der Dow Jones hat zuletzt die Marke von 8000 Punkten kurzzeitig angetestet, sich im weiteren Tagesverlauf und im frühen Handel aber zeitweise wieder über 8300 Punkte gerettet. Marktbeobachter halten es für wahrscheinlich, dass auch hier die Tiefstände des vergangenen Jahres bei 7500 Punkten angetestet werden.
Börsen-Zeitung