Ist der revolutionäre Quantencomputer ein Hoffnungsträger oder eine Fehlgeburt? Noch steckt er in den Kinderschuhen der Quantenphysik, aber schon in Bälde könnte er sich zum künftigen Problemlöser unserer strauchelnden Hightech-Gesellschaft entwickeln.
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Der Quantencomputer wächst sich inzwischen auch zu einem Politikum aus. Schon jetzt haben die Geheimdienste (Stichwort Kyptographie, Geheimschrift) lange Zähne nach diesem spukhaften Rechen-Monster. Ja, er könnte sogar Hacker-Angriffe im weltweiten Netz für immer vereiteln. Dabei ist allgemein auffällig, dass mit fortschreitender, ausgeklügelter Technik sich immer neue belastende Probleme einstellen, sogar zwangsläufig.
Immer aufs Neue verblüfft uns die Hightech-Industrie mit unausgegorenen Zukunftsideen aus dem Heiligen Gral der Quantenphysik. Dazu gehören die Kernfusion, die Supraleitfähigkeit und der ominöse Quantencomputer. Kann das zu früh begackerte, unausgebrütete Rechenmonster die schnellsten herkömmlichen Digitalrechner in den Schatten stellen? Wie anders funktioniert der Quantencomputer zum Digitalcomputer? Versuchen wir, einen erklärenden Pfad durch den dichten Quanten-Dschungel zu schlagen, aber ohne uns im Unterholz der „verrückten“ Quanten-Physik zu verstricken.
Hacker-Angriffe wären aussichtslos
Es scheint, dass die Quantentechnologie der Königsweg dafür ist, um das Internet und die Kommunikation im Internet endlich sicher zu machen. Quantencomputer wären kommunikationssicher, sie „teleportieren“ Informationen. Dahinter steckt das für uns unbegreifliche Phänomen der „Teilchen-Verschränkung“, denn zwei sogenannte Qubits sind so miteinander gleichzeitig verbunden, dass eine Veränderung an dem einen, die gleiche Veränderung an seinem Partner-Qubit bewirkt. Dies geschieht zeitgleich über beliebige Distanz hinweg, und zwar ohne physische Verbindung durch Kabel oder Funkwellen. In der Praxis heißt das auch: Bei jedem unerlaubten Hacker-Eingriff ändert sich der Quantenzustand der Qubits. Die Kommunikationspartner würden dies wie eine Alarmglocke in ihrer Kommunikation wahrnehmen, wären gewarnt und könnten einen anderen Code-Schlüssel verwenden. Jetzt aber zu den wichtigsten Elementen des Quantencomputers.
Vorab in Kürze: Spezifische Probleme des Quantencomputers
Einen Quantencomputer komplett zu verstehen, wäre müßig. Seine innersten Prozesse laufen auf Teilchen-Ebene ab. Seine ausgeführten Berechnungen beruhen darauf, dass z.B. Mikrowellen auf sogenannten Qubits (Quantenbits) einwirken, um ihren Zustand zu ändern. Eben diese Mikrowellen im Verein mit den Qubits zeigen erst bei Tieftemperatur ihre Wirkung, und sie müssen zudem gegen Störeinflüsse abgeschirmt sein. Die Prozesse sind extrem sensibel für äußere Einflüsse, da sie sonst die Qubits beeinflussen. Zudem ist es sehr aufwendig, Qubits im Zustand der sogenannten Superposition (davon weiter unten mehr) zu halten. Mit jedem neuen Qubit wächst zwar die Rechenleistung, aber damit auch die Fehlerrate: Der Zustand der sogenannten Superposition wird dann immer fehlerhafter. Das ist eines der Probleme, womit man z.Zt. in der technischen Umsetzung zu kämpfen hat.
Der Unterschied zwischen einem Digital-Bit und einem Qubit
Ein digitaler herkömmlicher Computer arbeitet mit Bits und führt Berechnungen eben mit diesen Bits durch. Ein Bit ist also die kleinste Informationseinheit in der digitalen Datenübertragung. Es kann nur zwei Informationszustände abbilden: 1 oder 0. Da Computer nur zwei Zustände kennen und in Binärcode kommunizieren, ist das Bit die kleinste Unterscheidung, die ein Computer adressieren oder lesen kann.
Ein Quantencomputer dagegen nutzt Quantenbits als kleinste Recheneinheit, kurz die Qubits; sie basieren auf den Prinzipien der Quantenmechanik. Qubits können in einem Superpositionszustand existieren; das bedeutet, dass sie gleichzeitig den Wert 0 und 1 haben können. Erst bei der Messung legt es sich für einen konkreten Zustand fest. Die Rechenleistung eines Quantencomputers steigt theoretisch exponentiell mit der Anzahl der Qubits. Quantencomputer erzielen schon mit wenigen Qubits große Rechenleistungen. Dies ermöglicht es ihnen, bestimmte Berechnungen schneller durchzuführen als herkömmliche, digitale Rechner.
Stellen Sie sich dazu als Bild eine Kugel vor, an deren Nordpol der Zustand Eins und am Südpol der Wert Null für das Digital-Bit existiert. Dagegen könnte sich ein Qubit in seinem Superpositionszustand auf jedem beliebigen Punkt der Kugeloberfläche aufhalten. Man kann heute Quantenbits z.B. realisieren durch einen in der Nähe des absoluten Nullpunkts gekühlten metallischen Leiter: Er wird dadurch supraleitend und ist in der Lage, Strom ohne Widerstand gleichzeitig in zwei Richtungen zu leiten. So erreicht der Leiter den Zustand der Superposition. Programmieren lassen sich diese Qubits durch Mikrowellen-Impulse. Es gibt aber auch andere komplexe Verfahren, um Qubits zu realisieren.
Das körperlose Quantengatter
Neben der „Verschränkung“ spielt bei Quantencomputern das Mitwirken von Quantengatter eine Rolle. Klassische Computer haben Logik-Gatter, die physikalisch durch diskrete Bauelemente wie Transistoren realisiert sind. Diese Gatter führen elementare Bit-Operationen durch. Sind mehrere Gatter-Bausteine zu einem Schaltnetz verbunden, können sie komplexe Operationen wie das Addieren zweier Binärzahlen durchführen. Beim Quantencomputer gibt es dazu keine konkreten „Bausteine“. Das liegt daran, dass „Berechnungen“ auf einem Quantencomputer grundsätzlich anders funktionieren. Sie beruhen auf den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitstheorie.
Im Quantencomputer existiert, wie in einem klassischen Rechner, eine Art Gatter-Architektur: die Quanten-Gatter. Sie dienen dazu, die Basiseinheiten der Quantenrechnerei, die Qubits, gezielt in den jeweils gewünschten Zustand zu versetzen, machen sie also rechenfähig. Das sind aber keine konkreten Bausteine, sondern eine Art „physikalischer Einflussnahme“ auf eines oder mehreren Qubits. So ließe sich beispielsweise der „Anregungszustand“ eines Atoms durch Laserpulse manipulieren oder der Spin eines Elektrons durch Magnetfelder. Ein Quantengatter ist also eine im zeitlichen Verlauf auf ein Quanten-Register angewendete „Aktion“, der Quanten-Algorithmus.
Der Wettkampf um den leistungsstärksten Quantencomputer
Es erinnert an das einstige Wettrennen um die erste Mondlandung. Längst ist das Wettrennen um den ersten „ausgereiften“ Quantencomputer eröffnet. Zahlreiche Unternehmen verbünden sich mit verschiedenen Forschungsinstituten, um der Konkurrenz schneller davon zu ziehen. Vor allem große Tech-Giganten sind aktiv, wie Google, NASA und eine Non-Profit-Organisation. Gemeinsam wollen sie neue Vorhersagemodelle im Bereich Künstliche Intelligenz entwickeln. Utopisch anmutend: Das von Google entwickelte System Sycamore mit 53 Qubit soll eine Aufgabe in rund 200 Sekunden gelöst haben, für die einer der leistungsstärksten aktuellen Supercomputer 10.000 Jahre bräuchte.
Auch IBM legt sich mächtig in die Riemen: Mit dem Netzwerk IBM Q möchte das Unternehmen universelle Quantencomputer für Wirtschaft und Wissenschaft bauen. Im IBM Q kooperiert IBM mit vielen angesehenen Universitäten und Konzernen, z.B. mit der Fraunhofer Gesellschaft. Microsoft versteht sich ebenfalls als Wegbereiter auf dem Gebiet der Quantencomputer und unterhält zahlreiche QC-Teams rund um den Globus.
Der größte Geheimdienst der USA, die NSA, forscht schon seit einiger Zeit intensiv an Quantencomputern. Ihr Ziel ist es, als erster Nachrichtendienst gängige Verschlüsselungsmethoden zu knacken.
Weltweites Buhlen um den leistungsfähigsten Quantencomputer
Der chinesische Quantencomputer Jiuzhang soll angeblich zehn Milliarden Mal so schnell sein wie der von Google vorgestellte Quantencomputer, der angeblich erstmals die sogenannte Quantenüberlegenheit erreichte. In Wirklichkeit geht es aber hier nur um eine spezifische Berechnung: um das „Gaußsche Boson-Sampling“. Für andere Methoden lässt sich dieser chinesische Quantencomputer derzeit nicht nutzen, ist also nicht universell einsetzbar.
(Gönnen Sie mir hier den folgenden Einschub. Kopfschmerzen auslösend wäre es, das oben genannte „Gaußsche Boson-Sampling“ verstehen zu wollen. Dazu die Leseprobe zur kryptisch anmutenden, fachsprachlichen Erklärung: „Das Verfahren bietet einen hocheffizienten Ansatz, um gedrückte Zustände aus der parametrischen Abwärtskonvertierung zu nutzen. Es verbessert nicht nur die Wahrscheinlichkeit der Photonen-Erzeugung im Vergleich zur Standard-Boson-Probenahme mit Einzelphoton-Fock-Zuständen signifikant, sondern…usw.“)
„Hier stock ich schon, wer hilft mir weiter fort“
Das würde selbst Dr. Faust resignierend sagen. Doch sehen Sie nur, mit welchen Problemen sich heutzutage die Menschen belasten. Es wirkt fast grotesk, wie sie versuchen, ihre selbst gemachten Schwierigkeiten durch das Mitwirken der kleinsten Grundbausteine des Universums zu lösen. Dabei genügt es oft, einfach natürlich zu leben — doch das scheint unserer verqueren Gesellschaft nicht zu genügen. So torkelt man von einem Problem zum nächsten, schafft sich aufs Neue weitere Herausforderungen. Aber das schlimmste aller Proble auf diesem Planeten ist der Mensch selbst — er ist es, der sich zuletzt abschafft.
Quo vadis Quantencomputer?
Erst wenn es bestimmte mathematische Methoden ermöglichen, Fehler in der Architektur der Quantencomputer zu erkennen und zu korrigieren, können diese robust werden gegenüber Temperaturschwankungen. Auch eine alternative Qubit-Technologie, die bei höheren Temperaturen stabil ist, könnten zu weniger anspruchsvollen Kühlungsanforderungen führen.
Doch zunächst zur Gegenwart. Durch die Superposition können Qubits parallele Rechenoperationen ausführen. Das vermag der beste Digitalcomputer nicht. Es gelingt also, Berechnungen schneller durchzuführen und große Datenmengen rascher zu durchsuchen. Künstliche Intelligenzen, die riesige Datenmengen auswerten sollen, würden ebenfalls davon profitieren.
Noch ist ein Quantencomputer mit all seinem Beiwerk zu „korpulent“, um als PC auf Ihrem Schreibtisch zu landen. Ähnlich wie bei den ersten Digital-Rechnern, würde man dafür einen ganzen Saal benötigen. Im übrigen haben Quantencomputer andere, spezifische Rechenleistungen. Und sind in der Lage, komplexe Probleme wie das Zerlegen großer Zahlen oder die Optimierung komplexer Systeme zu lösen. Sie gelten als die Hoffnungsträger der Industrie und Forschung. Für Quantencomputer bieten sich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten – etwa in Logistik und Verkehr, Energiewirtschaft, Chemie, Bionik, aber auch in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Epidemiologie, Medizin und Pharmazie oder Kybernetik.
Im Bereich der Künstlichen Intelligenz können Quantencomputer neue Meilensteine setzen. Man behauptet sogar, dass sie sich in einigen Jahren zur Modellierung neuer Moleküle, beispielsweise in der Arzneimittel-Entwicklung, einsetzen lassen. So gesehen, birgt die Quantentechnologie ein enormes Potenzial, das vermutlich eine neue industrielle Revolution maßgebend mitbestimmt. Zum Schluss für uns noch ein „Quäntchen“ Hoffnung. Man höre und staune: Das sonst so abgewrackte Deutschland spielt in punkto Forschung zu Quantentechnologie eine bedeutende Rolle, es zählt sogar zur Weltspitze.