Wenige Tage bevor die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins auf das niedrigste Niveau in der gut zehnjährigen Geschichte der Gemeinschaftswährung senken wird, verdichten sich die Anzeichen, dass die Währungshüter den Kauf von Wertpapieren erwägen, um so die Geldmenge auszuweiten. Zwar kann es durchaus sein, dass angesichts der Weltwirtschaftskrise auch die EZB zu unorthodoxen Mitteln der Geldpolitik greifen wird - wie es in den USA und Japan bereits gängige Praxis ist. Aber sie sollte dabei nichtden zweiten Schritt vor dem ersten tun.
Dass die EZB morgen den Leitzins für den Euroraum um weitere 50 Basispunkte auf dann 1,5% senken wird, gilt als ausgemacht. Der Ausblick auf Inflation und Wachstum ist inzwischen so dramatisch schlecht, dass es ein Gebot stabilitätsorientierter Geldpolitik ist, gegenzusteuern. Wie dies zu geschehen hat, darüber gibt es im geldpolitischen Entscheidungsgremium der EZB aber offenbar unterschiedliche Meinungen. Den einen kann es nicht schnell genug gehen mit den Zinssenkungen in Richtung Nullzins, um danach "quantitative Lockerung" zu betreiben. Die anderen haben Angst, dass allzu niedrige Zinsen oder gar ein Zins von null den Ruf der EZB gefährden und bereits die nächste Finanzmarktblase aufblähen.
Nicht auszuschließen, dass sich der 22-köpfige EZB-Rat daher auf einen politischen Kompromiss einigt: die Zinsen nicht unter 1% zu senken, aber dann bereits quantitative Lockerung zu betreiben. Das wäre allerdings ein Fehler. Denn effektiv gibt es kaum einen Unterschied zwischen orthodoxer Zinspolitik und der quantitativer Lockerung. Im einen Fall wird der Zins festgelegt, und die Geldmenge passt sich an, im anderen Fall nimmt die Notenbank direkten Einfluss auf die angebotene Menge - und der Zins passt sich an.
Beim Nullzinsniveau kauft die Notenbank Anleihen und betreibt direkte Staatsfinanzierung (Staatsanleihen) oder direkte Subventionierung bestimmter Unternehmen (Corporate Bonds, Commercial Papers). Von beidem sollte eine Notenbank wenn möglich die Finger lassen. Wenn die Währungshüter zu dem Schluss kommen, dass sie die Wirtschaft stärker stützen müssen, sollten sie das Zinspotenzial vollständig ausnutzen, bevor sie sich als zentraler Wirtschaftspolitiker des gemeinsamen Währungsraums aufspielen.
Börsen-Zeitung