Lieber Investor,
Papier ist bekanntlich geduldig, das Internet aber um einiges „geduldiger“. Sie mögen sich jetzt vielleicht angesichts des ersten Satzes verwundert die Augen reiben, denn im hektischen Internetzeitalter scheinen die Menschen alles zu haben nur keine Geduld und im Netz können bereits drei Tage eine sehr lange Zeit sein, von zwei Wochen ganz zu schweigen.
Trotzdem ist das Internet an einer Stelle sehr geduldig. Die Tageszeitung von gestern landet spätestens im nächsten Monat auf dem Altpapier, doch Veröffentlichungen im Netz sind auch noch Jahre später dort zu finden. Das begünstigt insbesondere jene Autoren, die sich im Netz mit zweifelhaften Theorien und falschen Argumenten aus der Deckung wagen.
Falsche Ansätze und Theorien können sich dort als besonders hartnäckig erweisen. Und wir wissen: Eine falsche Aussage wird nicht dadurch wahr, dass man sie immer wieder wiederholt. Aber sie wird, obwohl unwahr, von den Menschen leichter geglaubt, wenn diese wieder und wieder auf diese Behauptung stoßen und sie unreflektiert konsumieren.
An dieser Stelle wird der Segen unserer modernen Kommunikationsmittel sehr leicht zu einem Fluch. Dieser Fluch weitet sich in unseren Tagen gerade aus, denn immer mehr Meinungsmacher erkennen die Chancen des Internets und sie zögern nicht, mit Fake-News und mit gekauften Kommentaren die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Verschweigen ist auch eine Form der Kommunikation
Wir werden uns in Zukunft mit diesem Problem leider immer öfter und intensiver herumärgern müssen. Es wird unser ständiger Wegbegleiter sein und wir werden mehr unserer wertvollen Lebenszeit dafür aufbringen müssen zu entscheiden, ob eine uns vorgetragene Aussage der Wahrheit entspricht oder nicht, denn anders als früher können wir nicht mehr davon ausgehen, dass unsere Gesprächspartner uns nach bestem Wissen und Gewissen nur das erzählen, was sie für die Wahrheit halten.
An dieser Stelle wird es nicht nur im Bereich des Politischen schwierig. In Fragen der Politik war es schon immer schwerer als anderswo sauber zu trennen, wo eine allgemeine Tatsache endet und wo eine rein persönliche Meinung beginnt. Wenn man dann auch noch bedenkt, dass Regierungen dazu tendieren, unangenehme Wahrheiten ihren Bürgern so lange wie möglich zu verheimlichen, wird es besonders schwer, denn wir müssen als Konsequenz dieser leidvollen Erfahrung uns selbst dazu erziehen, das Offensichtliche zu sehen, lange bevor die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft bereit sind, es uns gegenüber zuzugeben.
Die Schlacht um Stalingrad, die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und das Drama um einen möglichen Bruch des Orovill-Staudamms in Kalifornien diese drei Beispiele stehen exemplarisch für die Desinformationspolitik von Regierungen und die Gefahren, die für uns Bürger aus ihr erwachsen.
In Stalingrad war die 6. Armee, seit Ende November 1942 eingeschlossen. Der Versuch, den Kessel von außen aufzusprengen, scheiterte kurz vor Weihnachten. An Weihnachten selbst und in den Tagen danach spiegelte der Wehrmachtsbericht der Bevölkerung eine Normalität vor, die längst nicht mehr gegeben war. Erst wenige Tage vor dem Ende der Schlacht stellte die deutsche Propaganda schlagartig auf eine Schwarzmalerei um.