Dievergangenen vier Wochen haben im DAX, aber auch bei den amerikanischenIndizes, jeweils Verluste von über 4 % gebracht. Der DAX liegtdamit über 20 % unter seinem letzten Zwischenhoch von AnfangFebruar.
Minus 20 % im DAX und keinen juckt's
Die Stimmungder Anleger dagegen scheint relativ unberührt. IrgendwelchePanikreaktionen sind nicht zu erkennen. Der Sentimentindex sentix gibtnach den neuesten Umfragedaten vom Wochenende nur wenig nach. Jetztstellen wir uns nur einmal vor, die Einschaltquoten von DSDS oder dieSympathiewerte der Kanzlerin würden in einem so kurzen Zeitraumderart einbrechen. Den Aufschrei der Verantwortlichen in diesenFällen glaubt man fast körperlich zu spüren...
Die Analystenbelassen es bei Einzelerklärungen: neuer Liquiditätsbedarfhier, Konzeptionslosigkeit da, schwacher Arbeitsmarkt dort. Und werdennicht müde auf die sich vermeintlich aufhellenden Konjunkturdatenhinzuweisen, die weiterhin erstaunlich gute Stimmung der Konsumentenund Konjunkturpakete in China.
China rettet nicht die Welt!
Ach ja, daschinesische Konjunkturpaket. Die Meldung vom letzten Mittwoch überdie erwartete Verdopplung des chinesischen Konjunkturpaketes war inmehrfacher Hinsicht suspekt. Die eine, weniger offensichtliche,dafür aber umso gravierende hatte ich am Freitag den Lesern derStockstreet Investment Strategie erläutert. Dabei geht es um dieVerfügbarkeit oder Beweglichkeit derartiger Mittel in einerVolkswirtschaft.
Die andere,offensichtliche wird jährlich in den einschlägigenstatistischen Jahrbüchern veröffentlicht. Es ist dieWirtschaftsleistung pro Einwohner. In dieser Liste rangiert China– trotz allem bisher Erreichten – zwischen Swasiland undJordanien, also weltweit an 144. Stelle von 237 Staaten (Quelle: UNO,Stand 2007). Das zeigt zwar das eindrucksvolle Potenzial des Landes,aber eben auch die aktuell noch wirksamen Grenzen...
Aber es gehthier nicht um Häme (schließlich bin ich auch erst amDonnerstag drauf gekommen), sondern um die etwas erschreckendeMarktreaktion. Dass nämlich der Markt diesem Gerücht amMittwoch so eindeutig gefolgt ist und dann am Donnerstag so massiv aufdie „Ente“ reagierte, lässt zwei möglicheSchlussfolgerungen zu.
Warum ist der Markt so schwach?
ERSTENS kanndas bedeuten, dass momentan nur „Anfänger“ im Marktsind, die durch alle möglichen Nachrichten hin und her getriebenwerden können. Das ist aber aufgrund der Umsätze und andererDaten wenig wahrscheinlich.
ZWEITENS kanndas der Ausdruck einer Art Hilflosigkeit oder Verzweiflung des Marktessein. Dass sich die Anleger also inzwischen wirklich an jeden„Strohhalm“ klammern, der an den Börsen herumgereichtwird.
Soungewöhnlich Letzteres wäre, es würde zu der eingangserwähnten schwachen Performance seit Februar passen. Bleibt aberimmer noch die Diskrepanz zwischen der Kursentwicklung und denKonjunkturdaten.
Wenn Markt und Daten nicht zusammenpassen
Und hiermüssen wir nun ganz, ganz vorsichtig werden. Denn diese sooffensichtliche Nichtübereinstimmung von Markt undWirtschaftsdaten ist ein Alarmsignal allererster Güte! Dies istder Grund warum so wenige Ökonomen gute Börsianer sind: Siesehen die Fundamentaldaten, die scheinbar falsche Reaktion derMärkte und setzen dann darauf, dass sich dieses„Schere“ wieder schließt. Das tut sie zwar, aber ebenmeist viel zu spät. Dann sind die Ökonomen an der Börseschon lange pleite (siehe LTCM 1998).
Denn dieMärkte haben die Tendenz, solche einmal eingeschlagenen Trends– auch wenn sie „falsch“ sind – unglaublichlange durchzuhalten und dabei extreme Übertreibungen zu erreichen.Die Finanzkrise ist das beste Beispiel dafür: In meinem Archivhabe ich kritische Artikel zu den nun „toxisch“ genanntenKreditderivaten aus ganz normalen Wirtschaftszeitungen (also fürjeden ohne Probleme zugänglich), die bis ins Jahr 2004zurückreichen. Auch zur Übertreibung am Immobilienmarkt gabes bereits 2005/06 ausführliche Berichte.
Und aktuellgibt es ganz offensichtlich eine vergleichbare Situation – nurdass es diesmal abwärts geht. Wir brauchen also jetzt nichtdarüber streiten, ob der Markt, die Ökonomen oder dieKonjunkturdaten unrecht haben. Wir müssen aus dieser beobachtetenDiskrepanz einfach Konsequenzen ziehen.
Überlebenswichtig: Konsequent in neuer Situation
Bis MitteFebruar war eine optimistische Haltung noch angebracht (siehe Chart).Damals hatten wir noch die Chance auf ein höheres Tief im S&P500 und weiter steigende Kurse (grüne Ellipse). Auch ich hattedamals diese Parallele gezogen. Inzwischen hat sich jedoch dieSituation geändert (nach einer kritischen Phase – blau– ist der Bruch des letzten Tiefs eindeutig bearish). In derbereits erwähnten neuesten Ausgabe unserer Stockstreet InvestmentStrategie haben wir daraus sofort die Konsequenzen gezogen und unsereTaktik angepasst.
Quelle: MarketMaker
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Problemchen, Systemsturz oder was?
Vielleichtsollten wir uns aber doch noch einmal Gedanken über die Natur deraktuellen Krise machen. Die Bandbreite der Möglichkeiten ist jagroß. Das reicht von Weltuntergangsszenarien bis zu sehrmoderaten Tönen. Wir brauchen ja nicht gleich so weit zu gehen wieletztens ein Kollege. Der bemerkte bei einer entsprechenden Diskussiongenervt: „Stell‘ dir vor es ist Krise und keiner gehthin...“
Ein„Problemchen“ ist die Krise sicher nicht, eher schon eineausgewachsene Rezession. Aber vielleicht haben die Analysten ja Rechtund es geht zum Jahresende wieder aufwärts. Nur: Warum sollen diegleichen Analysten, die diese Krise nicht haben kommen sehen, besserdarin sein, deren Ende zu prognostizieren?
Also doch die„Systemfrage“ stellen? Den Untergang unseres Wirtschafts-und Finanzsystems an die Wand malen? Zugegeben, bei manch einer Meldungund diversen Zahlen beschleicht eine schon ein mulmiges Gefühl,was passiert, wenn das nicht aufgehalten werden kann. Aber selbstBankenzusammenbrüche en masse gab es schon in der jüngstenGeschichte. Und trotzdem lebt dieses System noch...
Globaler Paradigmenwechsel
Abervielleicht erleben wir in den nächsten Jahren wenigstens einenspürbaren Umbruch, einen Paradigmenwechsel sozusagen? Sounwahrscheinlich ist das nicht. Die Rufe nach mehr Regulierung fürBanken, Managergehälter usw. werden schließlich immervernehmlicher. Es scheint Konsens, dass etwas „geregelt“,etwas getan werden muss.
Das wird derBürger auch so sehen, wenn vielleicht auch aus einer anderePerspektive. Schließlich harren etliche globaler Probleme nochimmer auf ihre Lösung. Politiker verweisen in diesem Zusammenhanggern auf den vermeintlichen Erfolg der G20-Runde auf dem Finanzgipfelim November 2008. Doch die damals demonstrierte Einigkeit war reinnotgedrungen.
Länderwie China, Indien, Brasilien und Russland, aber auch viele andereSchwellen- und Entwicklungsländer fordern mehr Mitspracherechte ininternationalen Gremien. Die westlichen Staaten lehnen das inzwischennicht mehr grundsätzlich ab – wenn im Gegenzug von den„Neuen“ Verantwortung mitgetragen und die Globalisierungmitgestaltet wird. Die ihrerseits zieren sich an dieser Stelle noch.
Historische Parallelen
Aber immerhinbewegt sich was. Solche Prozesse dauern eben. Das zeigen auch diehistorischen Parallelen: Als Folge des New Yorker Banken- undVersicherungskrachs 1907 wurde erst 1913 in den USA die Federal ReserveBank als Aufsichtsbehörde gegründet. Nach demBörsencrash 1929 und der anschließenden Depression kam es amEnde des Zweiten Weltkrieges 1944 zur Schaffung des internationalenWährungssystems von Bretton Woods. Damals wurden die Weltbank undder Internationale Währungsfonds gegründet. Dieses Systembrach in der Krise Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre zusammen.Dafür etablierten sich ein „System“ aus freien (dieWährungen der Industrieländer) und quasi-fixierterWechselkurse (v.a. der asiatischen Währungen an den US-Dollar)– auch genannt Bretton Woods II) sowie ab 1975 die informellenStaatenbündnisse G6, G7, G8. Und jetzt eben G20.
Sie sehen, esgibt gar keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Keime sindgelegt, sie werden in den nächsten Jahren aufgehen. Dieerwähnten G-Bündnisse hatten aus verschiedenen Gründendie Finanzwelt etwas aus den Augen verloren. Vermutlich können wirerwarten, dass dies nun wieder anders wird. Vielleicht kommt bald einechtes Bretton Woods III.
Klar ist dabeiauch: Je tiefer die Krise wird, desto eher erhöht sich der Druckauf die Regierenden – gerade auch „von unten“. ImMoment gefallen sich die Politiker noch in der Würdigung ihrerselbst initiierten Konjunkturprogramme, von denen sie hoffen, dass sieden großen Befreiungsschlag darstellen.
So viel Geld – und reicht doch nicht
Auch hierzeigen wieder einfachste Rechnungen, dass selbst diese scheinbar sogigantischen Summen den inzwischen eingetretenen weltweitenNachfrageausfall nicht im Mindesten ersetzen können (und nein,auch ein doppelt so großes chinesisches Konjunkturpakethätte daran nichts geändert!).
Vielleicht istes ja genau das, was den Markt so deprimiert: die notgedrungenunzulänglichen Maßnahmen der Regierungen zurWiederankurbelung der Konjunktur, die fehlende Flankierung derselben imglobalen Kontext und die immer noch fehlende Wirksamkeit derLiquiditätsspritzen der Zentralbanken, die eine längereNachfrageschwäche immer wahrscheinlicher machen.
Insofern sinddie vermeintlich optimistischen Frühindikatoren vielleicht nur einZeichen, dass die Wirtschaft einen Boden gefunden hat. Ein Niveau, aufdem sie nun doch länger verharrt, als uns lieb ist. Und da hat derMarkt sich eben entschieden, Trübsal zu blasen. Warten wir einfachab, wie lange er das durchhält.