Lieber Investor,
folgt man der Interpretation der meisten Mainstream-Medien, so hat Premier Mark Rutte vor einem Monat die Parlamentswahl in den Niederlanden gewonnen. Er hat zwar selbst ein Viertel seiner Stimmen und Sitze eingebüßt und der Koalitionspartner ist ihm auch über Bord gegangen. Aber es hätte alles noch viel schlimmer kommen können.
Weil es hätte schlimmer kommen können und es in der Zeit zwischen der Wahl Donald Trumps in den USA und dem Urnengang der Niederländer in den Umfragen auch nach einer noch größeren Katastrophe aussah, haben sich Europas Politiker und Medien dazu entschieden, einen klaren Verlierer der Wahl zu ihrem Gewinner zu küren und den Stimmenzuwachs der Oppositionsparteien zu einer Niederlage umzudeuten.
Gewonnen hat Mark Rutte nur deshalb, weil er sich in den Tagen vor der Abstimmung einen heftigen Schlagabtausch mit den Türken geliefert hat. Er konnte sich so als auf die Belange der Niederlande konzentrierter starker Politiker präsentieren. Da Recep Erdogan ebenfalls im Wahlkampfmodus war und auf alles, was Premier Rutte sagte oder tat, ebenso scharf antwortet, ging die Rechnung auf.
Insgesamt sind durch diese Wahlkampfstrategie nicht nur die liberalen Niederlande ein gutes Stück weit nach rechts gerückt. Ganz Europa dürfte ihnen früher oder später folgen, denn auch in den anderen europäischen Hauptstädten wird man sehr genau verfolgt haben, wie sehr Premier Rutte für seine harte Linie gegenüber dem neuen türkischen Sultan vom Wähler Anerkennung erfuhr, während sein Koalitionspartner, Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, für seine Rettungspolitik Prügel bezog.
Dijsselbloem ist in diesen Tagen wichtiger als Wilders
Die Medien konzentrierten ihr Augenmerk in den Tagen nach der Wahl besonders auf Geert Wilders. Jeroen Dijsselbloem wurde nur selten zum Thema. Im Zusammenhang mit seiner Person interessierte nur die Frage, ob er Eurogruppenchef bleiben solle. Zwar ist Geert Wilders der mit Sicherheit stärker polarisierende Politiker. Viel wichtiger und bedeutsamer ist jedoch in diesen Tagen die Frage, was mit Jeroen Dijsselbloem geschieht.
Verschwindet er in der politischen Versenkung, dann ist das nicht nur für ihn selbst und seine politische Partei von Bedeutung. Für die Finanzmärkte wird diese Frage auf Dauer ebenfalls eine große Bedeutung haben, auch wenn sie derzeit von vielen nicht gesehen und von den Medien nicht thematisiert wird.
Politiker streben nach der Macht. So offen spricht man das zwar nur selten aus, aber wiedergewählt werden wollen sie alle, egal, in welchem Land und egal, welcher Partei sie angehören. Niemand möchte einen zweiten Jeroen Dijsselbloem abgegeben und die politischen Prügel dafür beziehen, dass man Länder wie Griechenland im Euro hält und sie mit neuen Krediten, die man besser als Transferleistungen bezeichnen sollte, künstlich über Wasser hält.
Da schon lieber kräftig auf die Türken einschlagen und sich mit ihnen das eine oder andere Scharmützel liefern. Denn wer in Zukunft Wahlen gewinnen will, der muss es so wie Mark Rutte machen: Verstärkt rechts blinken, immer wieder dorthin abbiegen und stramm die nationalistische Karte spielen. Nicht nur gegenüber den Türken, aber auch ihnen gegenüber, wenn sich das wieder einmal anbieten sollte.