In der aktuellen Zeit könnte kaum ein Thema wichtiger sein. Neben den Fragen zur Lösung der Krise wird aktuell nur sehr leise die Frage nach der Herkunft gestellt. Ohne darauf die Antwort zu kennen, kann die Wiederholung einer Krise jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Alleine der Blick über den Atlantik reicht nicht aus, um die Schuldigen auszumachen. Die Krise – jedenfalls für Deutschland und Europa ist nicht dadurch ausgelöst worden, dass amerikanische Banken geringwertige Immobilien mit überzogenen Werten beliehen haben. Sie ist für uns auch nicht dadurch ausgelöst worden, dass diese Hypotheken verbrieft worden sind. Ausgelöst wurde die Krise für Deutschland und Europa dadurch, dass deutsche und europäische Manager Risiken eingegangen sind, die sie nicht zu managen in der Lage waren. Ohne die Abnehmer in Deutschland und Europa wäre die aktuelle Krise keine, die ein Aufkommen an Steuermilliarden benötigt, um heimische Banken vor der Insolvenz zu bewahren. Stattdessen könnten diese Milliarden in die wirtschaftliche und soziale Zukunft investiert werden.
Nach einer Frage der Haftung sucht man – zumindest in Deutschland – nahezu vergeblich. Stattdessen werden Bankmanager nun zu Beratern zur Lösung der Krise herangezogen.
Professor Marcus Lutter, eine Koryphäe des deutschen Aktienrechts, hat in Heft 5/2009 der Zeitschrift für Wirtschaftsrecht unter dem Titel „Bankenkrise und Organhaftung“ klar herausgearbeitet, dass die Vorstände und Aufsichtsräte der Banken gesamtschuldnerisch und persönlich für den – zumindest in den Banken entstandenen – Schaden haften.
Wenn nach bereits geltender Rechtslage die Haftung bis in das Privatvermögen der Vorstände einer Aktiengesellschaft hinein gegeben ist, stellt sich die Frage, weshalb dennoch solch riskante Geschäfte getätigt wurden. Als Antwort können nur zwei Auszüge herhalten:
„Früher, zu Zeiten der Deutschland AG, wurden Aufsichtsratsmandate zur Absicherung gemeinsamer Interessen verteilt: So wurden Machtverhältnisse durch eine Über-Kreuz-Verflechtung der Konzerne wirkungsvoll abgesichert. Entsprechend war die Atmosphäre bei derartig zusammengesetzten Gremien von gegenseitiger Wertschätzung, aber kaum von kritischem Hinterfragen geprägt.“ (Middelhoff in Compliance-Magazin 05/2007: „Gute Governance: Deutschland braucht professionelle Aufsichtsräte“)
„In den Kontrollgremien und Beiräten großer deutscher Gesellschaften sitzen oft dieselben Männer. Ein kleiner Kreis von Multi-Aufsichtsräten hat über diese fest institutionalisierten Kanäle enormen Einfluss.“ (Hirn/Neukirchen in manager-magazin 10/2002: „Die 50 Mächtigsten 2002 - Wer die Deutschland AG steuert“)
Der Aufsichtsrat hat die alleinige Vertretungsbefugnis, Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand geltend zu machen. Lutter beschreibt in seinem Aufsatz „Bankenkrise und Organhaftung“ jedoch, dass den Aufsichtsräten der gleiche Sorgfaltspflichtverstoß anzulasten ist, sie also ebenso haftbar sind. Die Ansprüche gegen den Aufsichtsrat hingegen geltend zu machen, liegt in der alleinigen Vertretungsbefugnis des Vorstands. Im Ergebnis stellt man hier also eine Pattsituation fest. Das deutsche, dualistische System von Geschäftsleitung und Aufsicht in einer Aktiengesellschaft trägt an dieser Stelle einen Systemfehler in sich.
Der Fall Siemens zeigt, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen einen pflichtwidrig handelnden Vorstand gegeben ist. Die renommierte Anwaltskanzlei Hengeler Mueller hat im Auftrag der Siemens AG ein 53-seitiges Rechtsgutachten erstellt. Demzufolge bleibt dem Aufsichtsrat bei der bestehenden Rechtslage gar keine andere Möglichkeit, als die ehemaligen Vorstände auf Schadensersatz zu verklagen. (Leyendecker/Ott in Süddeutsche Zeitung vom 25.07.2008: „Was haften bleibt“)
An die Möglichkeit zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen von außen sind teilweise hohe Anforderungen gestellt. Zu nennen sind hier die Bestellung von Sonderprüfern auf Verlangen der Aktionäre und das Klagezulassungsverfahren.
Im Fall der Deutsche Industriebank AG (IKB) wird momentan durch den neuen Großaktionär, an den die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ihre IKB-Aktien verkauft hat, eine solche Sonderprüfung zu verhindern versucht. Man hätte sich von der Regierung gewünscht, einen geringen Teil an Stimmrechten zu behalten und die übrigen Aktionäre bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zu unterstützen, nachdem der Steuerzahler mit mehreren Milliarden Euro zur Rettung der IKB einspringen musste.
Weshalb der Staat solche Schadensersatzansprüche nicht bei den Banken prüft, bei denen er entsprechende Stimmrechte ausüben kann, ist umso weniger verständlich, als dass diverse Bankmanager als Regierungsberater eingesetzt werden, um die Krise zu überwinden.
Mein Diskussionsvorschlag lautet daher, das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz um weitere, verbindliche Richtlinien zu ergänzen:
- der Staat erhält bei jedem Unternehmen, welches Gelder aus dem Rettungsfonds in Anspruch nimmt, entsprechende Stimmrechte (Aktien)
- der Staat wird bei jedem Unternehmen, welches Gelder aus dem Rettungsfonds in Anspruch nimmt, mindestens einen Posten im Aufsichtsrat besetzen
- der Staat wird bei jedem Unternehmen, welches Gelder aus dem Rettungsfonds in Anspruch nimmt, seine Stimmrechte dergestalt ausüben, eine Sonderprüfung über mögliche Sorgfaltspflichtverstöße der Vorstände und Aufsichtsräte durch zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durchführen zu lassen; den Vorständen und Aufsichtsräten ist die umfangreiche Möglichkeit zur Darlegung ihrer Position einzuräumen, da sie die Beweislast für die pflichtgemäße Sorgfalt ihrer Handlungen tragen
- die Prüfungsberichte werden zur Einsicht für alle Bürger veröffentlicht; sollten Geschäftsgeheimnisse des jeweiligen Unternehmens aus den Prüfungsberichten erkennbar sein, werden diese Stellen unkenntlich gemacht
- es werden zwei Rechtsexperten, vorzugsweise emeritierte Rechtsprofessoren, mit der Erstellung von Gutachten bezüglich der gerichtlichen Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen beauftragt; auch diese Gutachten werden veröffentlicht und ggf. darin vorhandene Geschäftsgeheimnisse unkenntlich gemacht
- der Staat wird durch das von ihm entsendete Aufsichtsratsmitglied die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach den Erkenntnissen der Rechtsgutachten veranlassen
Im Ergebnis würden Gelder aus Schadensersatzansprüchen in die angeschlagenen Banken zurückfließen können. Dieses Geld müsste nicht mehr aus Steuergeldern zur Rettung der Banken aufgebracht werden und stünde dem Haushalt wieder zur Verfügung. Darüber hinaus würde diese Sanktion präventiven Charakter entfalten, damit Bankvorstände nach Überwindung der Krise nicht erneut Risiken eingehen, die oberhalb durchschnittlich zu erzielender Renditen liegen und nicht sorgfaltsgemäß zu managen sind.
Die Wiederholung einer solchen Krise würde die Frage nach einer wirtschaftlichen und sozialen Zukunft Europas vermutlich obsolet werden lassen. [Marc Münch]
Zum Thema: