Die Natur bietet Bor nicht rein elementar. Die weltweit größten Boratminen mit über 70% der Weltproduktion liegen in der Türkei. Abgebaut werden die Mineralien Borax, Kernit und Colemanit. Andere Borquellen sind die boraxhaltigen Solen des Searles See in Kalifornien. Freie Borsäure findet sich in den rauchenden Fumarolen der Toskana. Aus diesen Wasserdampfquellen gewinnt man die Säure durch Eindampfen in Form glänzender Plättchen; außerdem kristallisiert das borsäurehaltige Mineral Sassolin. Als wichtigste Borminerale sind die Salze der Borsäure bekannt wie Ulexit oder Borax.
Das phänomenale Bor-Mineral Ulexit zeigt wegen seiner fasrigen Struktur einen Katzenaugeneffekt auf gewölbt geschliffener Oberfläche. Dieser Stein ist als TV-Stein bekannt: unterlegt man ein Ulexit-Prisma mit einem Text, erscheint durch die Faserstruktur das Schriftbild wie von Geisterhand angehoben auf der tranparenten Steinoberfläche. Auch der Edelstein Turmalin, der in großer Farbenvielfalt vorkommt, ist ebenfalls ein Bormineral.
Bor wäre nicht der verkannte Genius unter den Elementen, wenn es nicht bereits vor Jahrmilliarden als höchstseltener Gast im Kristallgefüge von Diamanten seine Herberge gefunden hätte; hier besiedelten Bor-Atome vereinzelt die Plätze im Kristallgitter der Kohlenstoffatome. Nein, das ist keine schlimme Kristallverunreinigung im ppm-Bereich, sondern eher eine Bereicherung: Ein von der Natur Bor-dotierter Diamant erscheint uns nicht mehr farblos, sondern wundersam blau. Dieses Farbphänomen wirkt sich vor allem pekuniär aus, denn man zahlt für blaue Diamantenwunder astronomische Summen.
Da wir schon einmal beim Diamanten, dem härtesten Naturprodukt sind, widmen wir uns dem härtesten Kunstprodukt überhaupt: dem kristallisierten Rheniumdiborid. Die erfolgreiche Synthese gelang erst in den letzten Jahren, und zwar ohne die extreme Aufwendung vom 50.000fachen des Atmosphärendrucks, wie es sonst üblich ist: Es genügt, Rhenium und Borpulver im Vakuum fünf Tage auf 1000°C zu erhitzen. In der Zeitschrift Science berichteten amerikanische Wissenschaftler von Kratzspuren, die sie mit Rheniumdiborid ReB2 auf einer Diamantoberfläche erzeugt hätten. Eine Härte größer 10?
Die wässrige Lösung Borwasser dient als mildes Desinfizierungsmittel und ist auch als Konservierungsmittel E 284 bekannt. Borsäure kommt auch in Flammschutzmitteln und Beizen vor. Die Weltjahresproduktion von Borsäure beträgt über 200 Tausend Tonnen. Faserförmige Haarkristalle von kristallinem Bor eignen sich zur Faserverstärkung von Kunststoffen und Leichtmetallen im Flugzeugbau und in der Raumfahrt. Amorphes Bor dient als Zusatz in Feuerwerksgemischen oder in festen Raketentreibstoffen. Legierung mit Eisen, so genanntes Ferrobor ergeben Stähle mit großer Härte.
Lassen wir noch einige Anwendungen mit Bor vorbei defilieren: etwa Borax zur Herstellung von Isolier- und Bleichstoffen. Gemische aus Bornitrat als Zünder für Airbags, Borverbindungen aus Neodyn und Eisen für starke Magneten; sie werden genutzt in Kernspintomographen für Mikromotoren und auf Festplatten, aber auch als Linearmotoren für Positionierachsen, hochwertige Lautsprecher und Mikrofone. Borwasser eignet sich als Kühlschmierstoff in der Zerpanung, Borverbindungen zur Desoxidation von Kupfer, Bor-Silikat-Fasern zur thermischen Isolierung, Materialien aus Bor für kugelsichere Westen, Keramikglasuren, Lichtwellenleiter, Pflanzenschutzmittel, Brems- und Kupplungsbeläge, Flussmittel zum Löten (Borsäure), Holzschutzmittel und Flammschutzmittel für Platinen. Eine dreiprozentige Lösung von Borwasser setzt man erfolgreich und sehr billig bei Augenentzündungen ein. Geschwüre behandelt man gelegentlich mit Bor-Salben. Borgaben in der Nasenschleimhaut verhindern, dass sich Pilz- und Bakterien bilden.
Bor ist bei Pflanzen unerläßlich. Das Element stabilisiert die Zellverbände, hält das Kalium-Calcium-Gleichgewicht in den Zellen aufrecht, hilft mit die Vitamine und Flavonoiden zu bilden, dient dem Schutz aller Wachstumsstellen der Pflanze und hat Anteil am Wasserhaushalt der Pflanze. Das Spurenelement ist für die Enzymaktivität verantwortlich. Bor-arme Böden führen bei höheren Pflanzen zu Mangelerscheinungen; sie bewirken Trocken- oder Wurzelfäule. Der Teamkollege Aluminium ist dagegen der „Antagonist“ des Elements Bor, es blockiert den Energiefluß der Pflanze. Durch hohe Aluminium-Gehalte in den Böden verwurzeln Pflanzen nicht mehr in die Tiefe. Waldsterben ist u.a. im wesentlichen auf einen Bor-Mangel in den Böden zurückzuführen. Aluminium reagiert ausgesprochen sauer, wenn es mit Wasser zusammen kommt: bei Regen versauern die Böden zusätzlich.
Und wie wirkt Bor im menschlichen Organismus? Darüber weiß man sehr wenig. Es scheint aber, dass Bor als Spurenelement eine ganz neue Qualität gewinnt. Möglich, dass Spuren von Bor Einfluss auf den Knochenstoffwechsel und die Gehirnfunktion haben. Der Baustein Bor hemmt die Teilungsrate von Zellen ohne Differenzierung, z.B. Krebszellen und absorbiert radioaktive Strahlung. Bor scheint auch bedeutend zu sein für den Aufbau von Eiweißen in Lebewesen.
Erstaunlich, im Gehirn ist Bor mit einem Anteil von 200 bis 500 Mikrogramm das meist vorhandene Spurenelement. Dieser Tatsache mißt man bisher keine Bedeutung bei. Auch zur Prävention der Alzheimer-Krankheit könnte Bor eine wichtige Rolle spielen. Die Autopsie von Gehirnen verstorbener Alzheimer-Partienten zeigten höhere Konzentrationen an Aluminium als gewöhnlich. Warum spielt da Aluminium eine Rolle? Dazu muß man wissen, dass im biochemischen Wettstreit mit Bor ein Aluminium-Molekül drei Bor-Moleküle verdrängt. Unbewußt führen wir unserem Körper Fremdstoffe zu: mit der Nahrung, dem Trinkwasser und mit dem Einatmen. Das von uns stündlich eingeatmete Luftplankton enthält neben 10 000 unterschiedlichen Bakterien und 100.000 Viren auch Aluminiumpartikel. Statt des Tagesbedarf von 10 Mikrogramm, sind das bis zu 5 Milligramm. Diese 500-fache Menge sollte uns nachdenklich machen. Aluminium kann nämlich die Nervenzellen beeinträchtigen, die Nieren schädigen, das Immunsystem schwächen und Allergien fördern.
In jüngster Zeit zeigten Forschungen, dass Gaben von drei Milligramm Bor pro Tag den Calciumverlust um 40% innerhalb von einer Woche ausgleicht. Das ist eine wichtige Erkenntnis für Menschen, die an Osteoporose leiden. Im allgemeinen versorgen uns die Lebensmittel mit genügend Bor. Das Lebensmittel mit dem höchsten Borgehalt ist Honig mit bis zu 25 mg auf 100g. Auch die Quitte mit bis 16 und der Löwenzahn mit 8 mg/100g sind reich an Bor. Der höchste natürliche Borgehalt wurde in maritimen Organismen mit bis zu 120 ppm (1 ppm = 10 hoch minus 6 = Teile pro Million = 0,0001%) gemessen. Im menschlichen Körper haust Bor, der verkannte Schutzgeist der Elemente, in wesentlich bescheidener Dosis, nämlich mit 0,2 ppm.
Erlebtes Universum Tatsachen, Phänomene und Mysterien - Edelsteine und Zukunftsmetalle von Hans-Jörg Müllenmeister