Eine Analyse des europäischen Think-Tanks LEAP/E2020
2009wird das Jahr sein, in dem sich das internationale System, das aus denhistorischen Konstellationen und Ereignissen von 1945, 1971 und 1989hervorgegangen ist, neu zu ordnen beginnen wird.
Man sollte sich alsodarauf einstellen, dass es zu massiven Verwerfungen und Veränderungenkommen wird; 2008 war insoweit nur ein Probelauf. Die Fragen, derenBeantwortung wir hier unternehmen, stellen uns weltweit unsere Leserund eine wachsende Zahl an Journalisten. Wir hoffen, dieFragen-Antworten–Form macht diesen Teil des GEAB besondersleserfreundlich.
1. Ist diese Krise anders als die bisherigen Krisen des Kapitalismus?
LEAP/E2020: Schon von Februar 2006 an, als wir in der zweiten Ausgabedes GEAB den Begriff der “weltweiten umfassenden Krise” prägten, um fürunsere Prognosen einen griffigen Begriff zu finden, definierten wirdiese Krise als einen vollständigen Zusammenbruch der wirtschaftlichenund finanziellen “Weltordnung” der letzten Jahrzehnte (im wesentlichenseit Ende des 2. Weltkriegs).
Denn seit 1945 und noch einmal verstärktseit 1989 waren die USA der tragende Pfeiler dieses Systems, seinemilitärische und finanzielle Supermacht. Diese zentrale Stellung derUSA wurde von den NATO-Staaten (insbs. Großbritannien) und Japan u.a.flankiert.
Dies ist die “Weltordnung”, deren Untergang in derumfassenden weltweiten Krise wir voraussagten; sie wird Schritt fürSchritt von einer neuen Weltordnung ersetzt werden, die von neuenPfeilern getragen wird und die neue Wege gehen und neue Instrumente desglobalen Managements erfinden muss.
Die Dollar-Mauer fälltDie Krise und der Untergang des bestehenden Systems bedeutet, dass die internationale Finanzspyramide, deren Spitze die Wall-Street und die zweite Ebene die Londoner City bildeten, zusammen stürzt.
Die Krise und der Untergang desbestehenden Systems bedeutet unter anderem (wie wir seit 2006vorhergesagt haben), dass die internationale Finanzspyramide, derenSpitze die Wall-Street und die zweite Ebene die Londoner City bildeten,zusammen stürzt. Im Finanzbereich haben wir dafür den Ausdruck desFalls der Dollar-Mauer geprägt, um eine Parallele mit dem Fall derBerliner Mauer zu ziehen, der 1989 den Zusammenbruch des zweitenmaßgeblichen Pfeilers der Nachkriegsweltordnung, der Sowjetunion,beschleunigte.
Nach unserer Auffassung ist diese Krise nicht das Ende desKapitalismus oder sogar eine Krise des Kapitalismus. Vielmehr handeltes sich dabei um das Ende einer politischen Epoche, in der ein Land diealleinige weltweite Supermacht war; eine Epoche, die seit den siebzigerJahren und Bretton Woods II durch wachsende Fehlentwicklungen undExzessen im Finanz- und Geldpolitikbereich gekennzeichnet war.
Atlas ist nun erschöpft und die Welt, die er trug, fällt auseinander.
DieUrsache dafür lag in der Unfähigkeit der USA, ihre Funktion alstragender Pfeiler der Welt-Ordnung zu erfüllen. Atlas ist nun erschöpftund die Welt, die er trug, fällt auseinander. Die umfassende Natur der Krise liegt darin, dass sie nichteinzelne Elemente, sondern das gesamte Fundamente der globalenfinanziellen, geldpolitischen, wirtschaftlichen und politischen Ordnungwegspült.
Die Krise konnte sich zu diesem Ausmaß entwickeln, weillangfristig wirksame Probleme nicht rechtzeitig bekämpft wurden (wiewir oben ausgeführt haben). Und deshalb werden weder kurzfristigeLösungen oder bisher bewährte Gegenmittel in höherer Dosis den Ablaufder Krise beeinflussen können.
Ein Trend ist jedoch bereits heute sehr deutlich in derAufprallphase der Krise zu erkennen: Die Austarierung zwischenöffentlichen und privaten Interessen hat sich dauerhaft in Richtung aufdas asiatische oder auch europäische Vorbild verschoben. Der Staat undöffentliche Stellen werden wieder eine größere Bedeutung nicht nur beiRegulierung sondern auch im Dienstleistungsbereich einnehmen.
Das Mantra der westlichen oder im Westen ausgebildeten Eliten während der letzten zwanzig Jahre hat seine hypnotisierende Kraft verloren.
Privatisierung von öffentlichen Diensten, privates Management vonGemeinwohlangelegenheiten oder öffentlichen Leistungen sind nunmehr alsnicht tragfähige Denkmuster so diskreditiert wie die Sozialisierung vonProduktionsmittel nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Das Mantra derwestlichen oder im Westen ausgebildeten Eliten während der letztenzwanzig Jahre hat seine hypnotisierende Kraft verloren. 2008 zeigte dieersten Ansätze dieses Trends. 2009 wird das Jahr sein, in dem dieHerolde des Neo-Liberalismus ihren Einfluss vollständig einbüßenwerden.
Entwicklung der US-Geldmenge und US-Krisenzeiten (1910 – 2008) -Quelle: Federal Reserve Bank of Saint Louis / Mish’s Global EconomicAnalysis
2. Ist diese Krise anders als die Weltwirtschaftskrise 1929?
2007 gaben wir der in den USA einsetzenden Krise den Namen “Very Great Depression US”
2007 gaben wir der in den USA einsetzenden Krise den Namen“Very Great Depression US”, um damit auszudrücken, dass diese Kriseüberwiegend eine Krise der USA und ihrer Supermachtstellung in der Weltist. In der Wahl des Wortes “Depression” statt “Rezession” wollten wirunsere Auffassung unterstreichen, dass es sich hierbei nicht nur umeine finanzielle und wirtschaftliche Krise, sondern auch um einesoziale und politische handeln werde.
Es gibt mindestens drei große Unterschiede:
- - Die Welt von heute ist weit mehr ineinander verflochten als dies 1930 der Fall war; deshalb ist diese Krise wirklich die erste “weltweite Krise”. Die Krise von 1930 war überwiegend eine Krise in den USA und Europa.
- - Unsere Gesellschaften bauen heute weit mehr als vor 80 Jahren auf der Finanzindustrie auf. Kredit, und insbs. Verbraucherkredite, waren der Treibstoff des Wirtschaftswachstums der letzten Jahrzehnte. Also wird auch die Kreditkernschmelze unsere Gesellschaft härter treffen als dies noch in den dreißiger Jahren der Fall war.
- - Die USA, die heute das Epizentrum der Krise sind, waren am Ausgang der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine aufsteigende Macht; heute ist ihre Macht Vergangenheit. Die Auswirkungen der Krise werden die Tendenz zum Zerfall noch verstärken, während sie damals noch durch den Aufwärtstrend abgefedert wurden.
- Seit nunmehr drei Jahren hat LEAP/E2020 immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Krise schwerwiegender und andauernder sein wird als die Weltwirtschaftskrise 1929. Dies gilt natürlich insbs. für ihr Epizentrum USA, aber auch für Länder, die wirtschaftlich und politisch stark mit den USA vernetzt sind. Der aktuelle Zusammenbruch der britischen Wirtschaft und Finanzindustrie, den man mit dem Absturz des britischen Pfunds belegen kann, ist eine perfekter Beweis für diese These.
3. Ist die Krise in Europa und Asien so schwerwiegend wie in den USA?
Europäische Staaten außerhalb der Eurozone werden mehr in Mitleidenschaft gezogen werden als Länder der Eurozone.
Europäische Staaten außerhalb der Eurozone werden mehr inMitleidenschaft gezogen werden als Länder der Eurozone, wir wir bereitsin vorhergehenden GEAB ausgeführt haben. Und einige von ihnen, diestärkere wirtschaftliche und politische Bindungen zu den USA aufweisen,wie z.B. Großbritannien, aber auch, im Finanzsektor, die Schweiz,werden zumindest so stark gebeutelt werden wie die USA , wenn nichtsogar mehr.
Hingegen wird es in den USA zu einer lang anhaltenden Depression kommen.
Um es mit einfachen Worten zu beschreiben: Innerhalb derEurozone gehen wir davon aus, dass es im Großen und Ganzen nicht zueinem dauerhaften Abbau von Produktionskapazitäten kommen wird, dassdas Platzen der Immobilienblase nicht die selben verheerenden Folgenzeitigen wird, dass nicht einige der größten Banken Pleite gehenwerden, dass nicht immer zahlreicher große Industrien undWirtschaftszweige mit Staatsgeldern gerettet werden müssen, dass nichtauf allen wirtschaftlichen Ebenen, ob Städte und Gemeinden, Regionen,Staaten, Privathaushalte, Außendhandels – und Leistungsbilanz, dieDefizite explodieren werden...
Vorhersage für Ausgabeumfang von Staatsanleihen in der Eurozone 2009 –Quelle: Financial Times / Barclays Capital / Thomson Reuters / Dealogic– 28/10/2008
4. Sind die aktuellen Maßnahmen der Regierungen zur Bekämpfung der Krise ausreichend?
Der Aufkauf von schlechten Forderungen verlagert lediglich die Verluste der Banken auf den Staat und damit letztendlich auf den Steuerzahler, ohne dass es damit zu einer Wirtschaftsankurbelung käme.
Ein Verzicht auf Einfluss im Aufsichtsrat und damit aufdie Geschäftspolitik der Banken bedeutet lediglich, dass damit in einpaar Monaten, wenn die Banken weiterhin nicht, obwohl versprochen, denKredithahn für die Wirtschaft aufdrehen, diese Banken verstaatlichtwerden müssen.
In Europa wird der Löwenanteil der neuen Anleihen, wie ander unten stehenden Übersicht erkenntlich, von Regierungen ausgegeben.Ab einem gewissen Punkt werden die Regierungen noch einen Schrittweiter gehen und die Banken, wenn sie nicht endlich reagieren,ersetzen.
Aber insgesamt bestehen für LEAP/E2020 für eine effizienteBekämpfung der Folgen der Krise und ihrer Dauer drei Prioritäten dernächsten zwei bis drei Monate, und zwar in genau dieser Reihenfolge:
- - Vorbereitung der Sozialversicherungssysteme auf eine Welle von neuen Arbeitslosen in den Jahren 2009/2010, und auf längere Arbeitslosenzeiten; dafür müssen die Systeme finanziell ausgestattet sein;
- - Staatsintervention zu Gunsten von konkursgefährdeten Städten und Gemeinden, um eine massive Reduzierung ihrer Leistungen, Investitionen und Mitarbeiterzahl zu vermeiden;
- - Auflegung von Infrastrukturinvestitionsprogrammen, mit denen in Jahresfrist viele neue Stellen geschaffen werden könnten und unsere Infrastrukturen auf den Stand der Welt von Morgen gebracht werden könnten.
Entwicklung der relativen Ausgabetätigkeit in Europa (in Euros) –Sept.2008 (links) gegenüber dem Durchschnitt Sept. 2007 bis Aug. 2008(rechts) - Quelle: Europäische Zentralbank