Die EZB bereitet sich offensichtlich nichtnur intern darauf vor, das geldpolitische Ruder an einem gewissen Punktwieder herumzuwerfen, sondern hat bereits begonnen, die Märkte daraufeinzustimmen.
Die EZB hat heute ihren wichtigsten Leitzins erwartungsgemäß von 1,25%auf 1,0% gesenkt und zusätzlich flankierende Maßnahmen beschlossen, umdie Effektivität ihrer expansiven Geldpolitik zu unterstützen. Wirfinden es allerdings etwas verwunderlich, dass sie den Einsatz dieserInstrumente hinauszögert.
Dies könnte unseres Erachtens bedeuten, dassdie EZB vor allem auf die Wirkungen des Ankündigungseffektes dieserMaßnahmen setzt, sich aber die Option offen lässt, die Instrumente jenach der weiteren Entwicklung der Finanzmärkte und der Konjunkturletztlich nur sehr dosiert oder aber auch gar nicht einzusetzen.Insofern spielt die EZB auf Zeit.
Erwartete Absenkung des Refisatzes
Die Europäische Zentralbank hat heute den Hauptrefinanzierungssatzerwartungsgemäß um 25 Basispunkte auf 1% reduziert. IhrenEinlagezinssatz beließ sie bei 0,25%. Zugleich reduzierte sie denSpitzenrefinanzierungssatz um 50 Basispunkte auf 1,75%.
Damit verengtesie die Differenz zwischen diesen beiden ´Leitplanken` von 200 auf 150Basispunkte. Diese Entscheidung basiert auf den Vorbehalten desEZB-Rates gegen eine Nullzinspolitik, die bei einer weiteren Absenkungdes Einlagesatzes zumindest in Ansätzen realisiert worden wäre.
Leitzinsperspektiven
Hinsichtlich der weiteren Perspektiven für die Zinspolitik erklärteEZB-Präsident Trichet in der begleitenden Pressekonferenz, dass derEZB-Rat mit der heutigen Zinssenkung keinesfalls beschlossen habe, dassder Leitzins damit bereits sein tiefstes Niveau erreicht habe.
Allerdings sei dies auch wiederum nicht als Hinweis auf weitereZinssenkungen zu verstehen. Die EZB hält sich damit die Tür für weitereSenkungen offen. Allerdings gehen wir nicht davon aus, dass sie dennoch bestehenden kleinen Spielraum auch nutzen wird, zumal dieAnzeichen auf eine konjunkturelle Stabilisierung in den letzten Wochen- bei aller Vorsicht - doch immer konkreter geworden sind. Wir rechnendeshalb und bei vorläufig nicht vorhandenem Inflationsdruck weiterhindamit, dass die EZB den Refisatz bis weit ins Jahr 2010 bei 1% belassenwird.
Flankierende Maßnahmen
Wie auf der letzten Sitzung angekündigt, hat die EZB heute auchzusätzliche Maßnahmen beschlossen, mit der sie ihre expansiveGeldpolitik unterstützen will. Wie von uns erwartet, erweitert sie dasLaufzeitenspektrum ihrer Refinanzierungsgeschäfte.
Erstmals wird sieden Banken am 23. Juni einen Tender mit einer Laufzeit von 12 Monatenanbieten. Dieses Geschäft wird zum Hauptrefinanzierungssatz. nachheutigem Stand also zu einem Zinssatz von 1%, abgewickelt. Für dienachfolgenden längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte behält sie sichvor, den Zuteilungssatz über dem Refisatz anzusiedeln.
Dies soll vonder jeweils aktuellen Lage abhängig gemacht werden. Mit dieser Regelunghält sich die EZB die Option offen, die langfristigen Tender über dieGestaltung der Konditionen unattraktiv zu machen bzw. eine erstevorsichtige Straffung der Geldpolitik über steigende Zuteilungssätzefür die Langfristtender einzuleiten, ohne gleich den Refisatz anhebenzu müssen.
Überdies hat der EZB-Rat grundsätzlich beschlossen, gedeckteSchuldverschreibungen anzukaufen, die in Euro denominiert sind und dieim Euroraum begeben wurden. Trichet hat hierzu ein Volumen von 60 Mrd.€ avisiert, womit der Umfang im Vergleich zu dem Ankaufprogrammen z.B.der US-Notenbank eher klein dimensioniert ist. Zudem wird die EZB erstauf ihrer Pressekonferenz im Juni Details des Programms bekannt geben.
Ankündigung ja - Umsetzung später
Das heute beschlossene Maßnahmenpaket der EZB zeugt unseres Erachtensvon einer gewissen Halbherzigkeit. Die EZB scheint einerseits großenWert darauf zu legen, davon zu überzeugen, alles für eineStabilisierung der Finanzmärkte und der Konjunktur zu unternehmen.
Gleichzeitig zögert sie jedoch, bereits beschlossene Maßnahmen oder imPrinzip bereits beschlossene Maßnahmen zeitnah umzusetzen. Dies könntedarauf hindeuten, dass der EZB-Rat auf die positiven Effekte derAnkündigung der Maßnahmen setzt, aber nicht ganz davon überzeugt ist,dass diese Maßnahmen letztendlich auch notwendig sind.
Auffallend istin diesem Zusammenhang auch, dass das Thema ´Exit-Strategie` immerhäufiger auftaucht und auch auf der heutigen Pressekonferenz eine nichtunwichtige Rolle spielte. Die EZB bereitet sich offensichtlich nichtnur intern darauf vor, das geldpolitische Ruder an einem gewissen Punktwieder herumzuwerfen, sondern hat bereits begonnen, die Märkte daraufeinzustimmen - was unserer Ansicht nach auch völlig richtig ist.
Fazit: EZB spielt auf Zeit
Angesichts der massiven Ausweitung der Zentralbankgeldmenge seit derLehman-Pleite im September 2008 und der immer klarer werdendenAnzeichen einer konjunkturellen Stabilisierung (oder sogar mehr!)könnte der Zeitpunkt, an dem die EZB beginnen muss, wieder Liquiditäteinzusammeln, nämlich früher kommen, als heute noch angenommen wird.
Und die Aufgabe, Liquidität einzusammeln, um die mittel- bislangfristige Inflationsrisiken zu begrenzen, ist umso schwerer, je mehrLiquidität zuvor in die Märkte gepumpt wurde. Insofern halten wir esfür möglich, dass die EZB bei ihren flankierenden Maßnahmen auf Zeitspielt - in der Hoffnung, sie letztlich nur sehr dosiert oder auch garnicht einsetzen zu müssen.