Zu Beginn seiner Amtszeit im Herbst 1969 wollte der frisch gewählte Bundeskanzler
Willy Brandt ein Schreiben an die drei westlichen Siegermächte zunächst nicht unter-
schreiben, in dem er die eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik Deutschland
ausdrücklich bestätigen sollte. Dies berichtet Egon Bahr, unter Brandt Staatssekretär
im Kanzleramt, in einem Beitrag für die ZEIT.
An einem der ersten Abende im Palais Schaumburg, so schildert Egon Bahr die bisher
unbekannte Episode, habe ein hoher Beamter dem neuen Bundeskanzler drei Briefe
an die Botschafter der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens zur Un-
terschrift vorgelegt. Darin sollte Brandt zustimmend bestätigen, was die Militärgouver-
neure in ihrem Genehmigungschreiben zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 an ver-
bindlichen Vorbehalten gemacht hatten. Als Inhaber der Siegerrechte für Deutschland
als Ganzes und Berlin hatten sie diejenigen Artikel des Grundgesetzes suspendiert, die
sie als Einschränkung ihrer Verfügungshoheit verstanden. Das galt auch für den Artikel
146, der nach der deutschen Einheit eine Verfassung anstelle des Grundgesetzes vor-
sah.
Brandt, so schreibt Bahr, sei empört gewesen, dass man von ihm verlangte, „einen
solchen Unterwerfungsbrief” zu unterschreiben. Er musste sich belehren lassen, dass
vor ihm schon Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger diese Briefe
unterschrieben hätten. „Also habe ich auch unterschrieben”, habe Willy Brandt ihm
gesagt, schreibt Bahr – und sei nie wieder auf das Thema zurückgekommen.
Schon Adenauer, fährt Egon Bahr fort, habe seine Anerkennung der alliierten Oberho-
heit wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Die Briefe der Bundeskanzler an die Vertreter
der Siegermächte seien bis heute unbekannt geblieben. Als Bahr die Kanzlerbriefe
einmal gegenüber dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker er-
wähnte, habe dieser erstaunt reagiert. „Er hatte von ihnen nichts gewusst”, schreibt
Egon Bahr.