Der Bundestag muss nun noch einige gesetzlichen Ergänzungen machen, bevor die Ratifikationsurkunde hinterlegt werden kann. Der vorsitzende Richter Voßkuhle selbst (!) hat aber direkt und offensichtlich für die Kameras / die Öffentlichkeit ausgeführt, dass "der Senat zuversichtlich" sei, dass dies "zügig geschehen" könne.
Die Argumente der Urteilsbegründung lauten frei aus dem Juristendeutsch übersetzt:
- Die Bundesrepublik darf ihre Hoheitsrechte mit nur wenigen Ausnahmen an EU-Organe übertragen, denn die dies verfügenden deutschen Volks"vertreter" sind ja demokratisch gewählt und damit legitimiert (...) .
- Auch dauerhaft dürfen dann EU-Organe für Deutschland per EU-Richtlinie verbindlich entscheiden und damit den Deutschen Bundestag de jure zum ausführenden Organ degradieren und damit de facto entmachten (!)
- ... denn INDIREKT seien ja auch die EU-Organe demokratisch legitimiert und damit eine Volksvertretung (...)
Dass die Ernennung (der EU-Kommissare) und die höchst indirekten "demokratischen" Wahlen der EU-Organe in der Praxis mit Demokratie fast nichts mehr zu tun haben, interessiert das BVG nicht.
Ebensowenig die Ewigkeitsgarantien des Grundgesetzes, die nun gerade noch 60 Jahre alt werden durften. Die gegenteiligen Ausführungen von Richter Voßkuhle überzeugen nicht im Geringsten und klingen stellenweise wie von einem anderen Stern.
Voßkuhle ergeht sich gerade in total einseitiger und volksferner, hochideologischer und internationalistischer Rhethorik. Auszüge (live mitgeschrieben, ohne Gewähr):
- "Souveräne Staatlichkeit steht für einen befriedeten Raum." [und ist kein Selbtzweck bzw. kein Wert an sich (sic!) ]
- "Der Staat ist weder Mythos noch Selbstzweck."
- "Das GG will eine europäische Integration und eine internationale Ordnung".
- "Supranationale Organe [wie die EU-Organe] müssen nicht in gleicher Weise dem Mehrheitswillen genügen (folgen?) wie nationale Parlamente." Wörtlich heisst es dazu in der Begründung: "Die Kommission muss als ein supranationales, besonderes Organ ebenfalls nicht umfänglich den Bedingungen einer entweder dem Parlament oder der Mehrheitsentscheidung der Wähler voll verantwortlichen Regierung genügen, weil sie selbst nicht in vergleichbarer Weise dem Wählerwillen verpflichtet ist"
Und die Verfasser des GG würden sich im Grabe umdrehen. Das letztgenannte Zitat ist absolut unfassbar, wenn es wirklich in dieser Form stimmen sollte (keine absolute Gewähr, da nur mitgehört). Die Ergänzung von Voßkuhle dazu war länglich und überzeugte natürlich nicht!
Deutschland war bis zum 31.12.2009 mit etwas gutem Willen eine "Republik". "Res publica" = Öffentliche Angelegenheiten = Rechtsstaat. Das ist (war) viel mehr als eine Demokratie, die insbesondere die Herrschaft des Volkes verbrieft hat. BEIDES wird per 2010 nun aufgegeben - "freiwillig" durch das deutsche Volk und seine "Volksvertreter" im Bundestag und im BVG.
Ernst zu nehmen wären die BVG-Vorbehalte erst, wenn sie Volksabstimmungen über die mit dem Lissabon-Vertrag übertragenen Kompetenzen und über ALLE künftigen Kompetenzübertragungen verbindlich machen würden. Da es diese aber bereits gegeben hat (F, NL, IRL) und da sie allesamt ablehnend waren, hätte das BVG konsequenterweise ganz offiziell eine klare Neuformulierung des Vertrags und damit eine komplette Neu-Ratifizierung in allen EU-Ländern herbeiführen müssen. Voßkohle hat letzteres suggestiv aber klar verneint (s.o.).
Solange beides nicht geschieht (Kodifizierung von Referenden und Neuratifizierung), gilt weiterhin: Freiheiten verliert man scheibchenweise.