Der Absturz des Airbus A330 im Atlantik verhagelt der französischen Fluglinie Air
France die ohnehin nicht gute Sicherheitsstatistik. Nach geheimen Berechnungen
aus Luftfahrtkreisen kommt die Airline mit ihrer Airbus-Flotte auf eine Rate von 1,26
Flugzeugverlusten pro eine Million Flüge. Das sei über viermal so hoch wie der Durchschnitt
(0,3 Verluste pro eine Million Flüge) anderer Luftfahrtlinien. Von den 19 seit
1988 verunglückten Airbussen gehörten 3 zu Air France und einer zu ihrer späteren
Tochtergesellschaft Air Inter. Die neuen Zahlen platzen in Frankreich in eine Debatte
darüber, ob die Air-France-Piloten des abgestürzten A330 fahrlässig gehandelt
haben könnten. In einem Interview mit „Le Figaro“ war Air-France-Chef Pierre-
Henri Gourgeon Spekulationen entgegengetreten, die Piloten seien direkt in eine
Gewitterzone hineingeflogen, weil sie Sprit sparen oder eine Verspätung vermeiden
wollten. Eine ungenügende Sicherheitskultur bei der Airline hatte bereits vor drei
Jahren ein interner Bericht bemängelt, der dem SPIEGEL vorliegt. Darin heißt es,
dem Unternehmen fehle ein „klarer und objektiver Blick auf die Leistung im Bereich
der Luftsicherheit“. Acht von zehn Unfällen oder Zwischenfällen bei Air France gingen
auf menschliche Faktoren zurück, etwa mangelnde Aufmerksamkeit, schlechte
Entscheidungsprozesse und falsche Zusammenarbeit zwischen Pilot und Copilot.
Insbesondere gehe aus einer Analyse von Zwischenfällen mit A330/340-Modellen
hervor, dass Kapitäne „ein gewisses Maß an Übervertrauen oder gar Selbstgefälligkeit“
an den Tag legten. Air France behauptet, man habe, seit der Bericht
im Juni 2006 vorgelegt wurde, alle angesprochenen Mängel abgestellt. Dennoch
räumte Jean-Cyril Spinetta, Chef der Air-France/KLM-Gruppe, vergangene Woche vor
Aktionären die schlechte Sicherheitsbilanz ein und kündigte an: „Wir müssen verstehen,
wie das geschehen konnte.“
DER SPIEGEL 29/2009