Der Verwalter der insolventen Lehman-Brothers-Holding wirft der amerikanischen Politik vor, die Pleite der Bank völlig unzureichend vorbereit zu haben. „Das Chaos nach der Insolvenz hat allein bei Lehman innerhalb von 48 Stunden Werte von 50 bis 100 Milliarden Dollar vernichtet und die gesamte Weltwirtschaft erfasst“, sagte Bryan Marsal, Interimschef von Lehman Brothers, im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ (Montagausgabe). Im Nachhinein hätten alle Entscheider eingesehen, dass die Pleite ein Fehler war. „Aber zu der Zeit haben die politisch Verantwortlichen die Folgen eines kompletten Vertrauensverlustes nicht vorausgesehen.“
Der Mitgründer der Sanierungs- und Beratungsfirma Alvarez & Marsal (A&M) fordert eine bessere Vorbereitung auf mögliche Pleitefälle in der Zukunft. „Die Regulierer müssen einen Notfallplan haben und auch von jeder Bank einen verlangen“, sagte er der Zeitung. Gleichzeitig müsse man das Problem angehen, „dass ein globaler Konzern im Fall einer Pleite sofort in unzählige nationale Einheiten zerfällt“. Da für jede Tochterfirma in diesem Fall die jeweiligen nationalen Insolvenzregeln gelten, breche der Austausch zwischen den einst zusammenhängenden Konzernteilen zusammen. „Die nationalen Gesetze können ja durchaus bestehen bleiben. Aber es muss eine konstruktive Zusammenarbeit und einen Informationsaustausch zwischen den einzelnen Einheiten und ihren Insolvenzverwaltern geben“, fordert Marsal.
Im Falle Lehman bemüht sich Holding-Verwalter A&M um eine freiwillige Vereinbarung für einen Informationsaustausch unter den Insolvenzverwaltern. Der Vorstoß stößt aber auf Widerstand, unter anderem bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), die die Europa-Zentrale in London verwaltet. Marsal wirft PwC deshalb „Purismus“ vor: „Natürlich ist jeder in erster Linie seinen eigenen Gläubigern verpflichtet. Aber das entbindet einen nicht von einer gewissen Verantwortung für den früheren Gesamtkonzern.“
Die Ursache der Finanzkrise sieht Marsal in einem Bankensystem, „das aus weltweiter Gier und Überschuldung bestand“. Gierig seien dabei weniger die Banker als vielmehr die Investoren gewesen, die hohe Renditen eingefordert hätten. Abhilfe müsse der Staat schaffen. „Wir brauchen vor allem eine einfache Regulierung, die streng umgesetzt wird“, sagte Marsal. Bei Häuserkrediten sollte etwa ein zwanzigprozentiger Eigenkapitalanteil sowie ein Einkommensnachweis vorgeschrieben werden. „Und wenn irgendjemand bei diesen Angaben lügt, gehört er schlicht ins Gefängnis“, sagte Marsal. Gerade in den USA waren zu Boomzeiten auch Hauskäufe ohne Eigenkapital üblich, die vollständig über Kredite finanziert wurden.