Vier Fragen an den Historiker Dr. Daniele Ganser zu 9/11, “Crossing the Rubicon“, Peak Oil. "Manipulierter Terror und endlose Ressourcenkriege sind einfach keine ansprechende Vision für die Zukunft."
Dr. Daniele Ganser ist Historiker an der Universität Basel, Friedensforscher und Buchautor. Zu seinen Forschungsgebieten zählen auch der 11. September und dessen Verbindung zu Peak Oil.
Herr Dr. Ganser, Sie beschäftigen sich wissenschaftlich u. a. mit "Crossing the Rubicon." Hierbei vergleichen Sie Mike Rupperts Werk z. B. mit dem 9/11-Report des U S-Kongresses. Wie schneidet Ruppert Ihrer Einschätzung nach im Vergleich ab?
Die Bücher vertreten zu 9/11 ganz unterschiedliche Thesen. Ruppert geht davon aus, dass die USA 9/11 manipuliert oder gar selber inszeniert haben, Dick Cheney ist sein Hauptverdächtiger. Der 9/11 Report von Thomas Kean, die offizielle Untersuchung vom Sommer 2004, geht hingegen davon aus, dass Osama bin Laden für 9/11 verantwortlich ist. Achtung, der Kean Report ist kein Bericht des US Kongresses.
Der US Kongress hat 9/11 nicht untersucht. Präsident Bush hat einige Menschen ausgewählt, darunter Kean, und die haben den Bericht verfasst. Mich hat vor allem das Spannungsfeld zwischen den beiden Büchern interessiert. Beide Bücher sind eher lang, über 600 Seiten, werden also von der breiten Bevölkerung nicht gelesen.
Ruppert ist spannend, weil er Themen bringt, die im Kean Report nicht drin sind, darunter der globale Kampf ums Erdöl. Ansonsten scheint mir aber, dass Ruppert zu viele Geschichten in sein Buch reingepackt hat, es ist daher ziemlich überladen. Beim Kean Report hingegen fehlen ganz wichtige Geschichten, das ist für eine angeblich umfassende Untersuchung nicht akzeptabel. Der Kean Report ist zu lückenhaft.
Würden Sie zustimmen, dass "Crossing the Rubicon" ein wichtiges Buch unserer Zeit darstellt, und wenn ja, wieso?
Ja, weil es 9/11 und Peak Oil verbindet. Das sind zwei sehr wichtige Phänomene, die ich in meiner Forschung auch seit vielen Jahren verbinde. Ich habe gesucht, in welchen Büchern eine solche Verbindung hergestellt wird, und nur “Crossing the Rubicon“ gefunden. Ruppert und ich teilen hier ein ähnliches Interesse, obschon wir uns nie getroffen haben.
Mike Rupperts zentrale These besteht darin, dass die Administration Bush den 11. September nicht nur nutzte, sondern bewusst herbeiführte, um eine Handhabe in Sachen Peak Oil zu bekommen. Wie schätzen Sie die Belastbarkeit der Ruppert'schen Argumentation ein?
Diese These, dass Cheney oder andere Amerikaner für 9/11 verantwortlich sind, wurde nun schon in verschiedenen Büchern zu 9/11 vorgetragen. Beweisen kann man sie meiner Meinung nach nicht. Auch der Beweis, dass es bin Laden war, wurde meiner Meinung nach nie erbracht.
Beweisen kann man heute nur, dass die weltweite Öffentlichkeit über die Terroranschläge vom 11. September getäuscht wurde, die Information war damals am TV und in Zeitungen sehr einseitig und unvollständig, das kann die historische Forschung heute ganz klar zeigen. Damit steht aber noch nicht fest, was wirklich geschehen ist. Wir wissen nur: Wir wurden angelogen und schlecht informiert. Das hinterlässt ein unangenehmes Gefühl. Denn natürlich sollte man die Wahrheit über 9/11 herausfinden, aber ich denke das wird schwierig.
Durch Peak Oil ergibt s ich eine überaus große, wenn nicht gar die größte Herausforderung für die industrialisierte Zivilisation. Ressourcenkriege sind entweder schon im Gange oder werden aber in Zukunft noch geführt werden. Gleichwohl findet eine breite Diskussion über die Konsequenzen dieser historischen Wasserscheide kaum bis überhaupt nicht statt. Woran liegt da s Ihrer Meinung nach?
Der Peak Oil ist als Phänomen heute noch kaum bekannt. Die meisten Menschen wissen nichts darüber, das ist ein wichtiger Grund. Jene, die darüber etwas wissen, hoffen, dass der Peak Oil noch weit weg ist, sprich nach 2030, oder dass andere Energiequellen wie Kohle oder Erdgas oder Atomenergie unsere Energieversorgung garantieren können auf dem heutigen Niveau. Doch dies ist unwahrscheinlich.
Der Peak kommt wohl vor 2020, und andere Energiequellen können das Erdöl weder schnell noch umfassend kompensieren. Auf der anderen Seite gibt es aber auch immer mehr Menschen, die über die Ressourcenkriege nachdenken, den Krieg im Irak, die geplante Pipeline in Afghanistan und die Rolle der NATO, die Präsenz der Chinesen im Sudan. Es ist ja nicht zu übersehen. Für die globale Friedensforschung, für die ich mich engagiere, ist es ganz zentral, dass man über Peak Oil und mögliche friedliche Wege aus der Energiekrise nachdenkt.
Manipulierter Terror und endlose Ressourcenkriege sind einfach keine ansprechende Vision für die Zukunft. Wir brauchen ein Senken des Energieverbrauches weltweit, eine Reduktion der Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern, und ein Ausbau von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Zudem müssten wir lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Das ist also ziemlich viel, was da von uns verlangt ist, eigentlich geht es um ein neues Bewusstsein.
Ob das klappt, ist noch sehr unsicher, man wird sehen. Wichtig ist, dass man ohne Angst in diese Veränderungen hineingeht, es ist ja auch gut, dass sich die Dinge fundamental ändern. Aber wie das alles herauskommen wird, ist noch völlig unklar. Ich bin selber gespannt, wo wir im Jahre 2030 stehen, und wie wir dann diese Fragen beurteilen werden.
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