Man spricht landläufig von einer Teuerung, wenn die Preise für Waren, die Teil eines vorab definierten Warenkorbs sind, steigen. Genauso spricht man von einer Verbilligung, wenn die Preise für Waren fallen. Der Preis des Warenkorbs bildet idealerweise die Lebenshaltungskosten ab. Ich habe bewusst nicht die Begriffe Inflation und Deflation gewählt, weil klar ist, dass dafür die unterschiedlichsten Definitionen existieren (z.B. die Ausweitung der Geldmenge ist Inflation etc.).
Die US-CPI (Consumer-Price-Index) soll die Lebenshaltungskosten eines typischen Städtebewohners abbilden. Robert Shiller hat die US-Lebenshaltungskosten bis 1871 zurückgerechnet, und für die Zeit zurück bis 1800 gibt es stimmige Schätzwerte. So lässt sich die US-CPI bis ins Jahr 1800 zurückverfolgen (nächster Chart).
Es ist zu erkennen, dass sich die US-Lebenshaltungskosten im Zeitraum zwischen 1800 und 1900 in einer Handelsspanne bewegten, die eher deflationär geprägt war. Lediglich in Kriegszeiten (US-Sezessionskrieg 1861 – 1865) stiegen die Lebenshaltungskosten. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sorgten der erste und der zweite Weltkrieg für Teuerungssprünge in den USA.
Nach dem Verlauf der 150 Jahre zuvor hätte man erwarten müssen, dass sich die Preisentwicklung nach der Beendigung des zweiten Weltkriegs beruhigt. Eigentlich hätte jetzt – ähnlich wie nach dem ersten Weltkrieg oder nach dem Sezessionskrieg – eine zehn bis zwanzigjährige deflationäre Phase eintreten müssen. Doch dazu kam es nicht. Dafür werden Gründe genannt (z.B. der weltweite Wirtschaftsboom zwischen Anfang der 40er und Anfang der 70er Jahre), die zwar zutreffen, aber nicht an den Kern des Geschehens heranreichen. Die Kernaussage ist: Die Große Depression hat das gewohnte Muster zerstört. Entscheidend ist häufig nicht das Ereignis selbst, sondern die Reaktion auf ein Ereignis. Man sagt, Angst ist ein schlechter Ratgeber. Angst war der Ratgeber für Leute wie Keynes. Dieser erfand ein von der FED kopiertes Reaktionsmuster. Die Philosophie der US-Zentralbank lautet seither: Inflation lässt sich kontrollieren, Deflation nicht. Deshalb muss alles getan werden, damit eine Volkswirtschaft nicht in eine länger anhaltende Phase fallender Lebenshaltungskosten eintaucht. Die Methode: Die Märkte werden so lange mit Geld geflutet, bis die Wirtschaft aus der Talsohle raus ist.
Das Beispiel Japan wurde in den vergangenen Jahren immer wieder als Mustervorlage für eine Deflation gebracht. Doch taugt die Arbeitslosenquote in Japan von fünf Prozent oder weniger nicht als Vorbild. Diese Art Deflation ist mit der großen Depression (bis zu 25 Prozent Arbeitslosigkeit) nicht zu vergleichen. In Japan leben etwa 25 Dollar-Milliardäre, und das trotz jahrzehntelang stagnierendem BIP. Warum wird die Deflation durch die Zentralbanken in Sippenhaft genommen, wenn sie sich in derart unterschiedlichen Ausprägungen zeigt?
Die Geldflutung bewirkte, dass Amerikaner und Europäer sechzig Jahre lang auf fallende Lebenshaltungskosten warten mussten. Aldi und Lidl senken die Preise um 20 Prozent: Den Verbraucher freut es. Die Arbeitslosenstatistik weist für Deutschland 3,5 Mio. Arbeitslose aus, was einer AL-Quote von 8,3 Prozent entspricht. Noch 2005 lag diese Quote bei 13 Prozent.
Ist Deflation in jedem Fall eine Katastrophe? Man sollte eine solche Frage nicht mit einem pauschalen Reflex beantworten. Eine deflationäre Entwicklung bewirkt das, was kein Kyoto-Protokoll erreichen kann: Einen Rückgang des CO2-Ausstoßes in den USA (nächster Chart).
Leider werden Amerikaner und Europäer bald keine Gelegenheit mehr haben, weitere Erkenntnisgewinne aus der Deflation zu ziehen, denn die Teuerung kommt zurück. Spätestens im Dezember dürfte sich die Inflationsrate in den USA wieder im Plus befinden. Das ist dem sogenannten „Basiseffekt“ geschuldet. Der scharfe Einbruch der US-CPI zwischen September und November 2008 und die anschließende langsame Erholung führen dazu, dass sich die aktuellen Zahlen bald wieder über den Zahlen des Vorjahresmonats befinden werden. Die Kurve dürfte dann so aussehen (nächster Chart):
Der Bounce dürfte von Oktober bis Dezember laufen (blauer Kreis). Die Kernrate (rote Linie; ohne Energie und Lebensmittel) hält sich weiterhin im Plusbereich. Dies zeigt, dass vor allen Dingen der drastische Einbruch der Rohstoffpreise im vergangenen Jahr die Ursache für die Deflation ist.
Wie weit kann die US-Inflationsrate steigen? Allein der Basiseffekt pusht die Rate von minus zwei auf plus ein Prozent. Alles was darüber hinaus geht, muss durch einen echten Anstieg der Lebenshaltungskosten ausgewiesen werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Preise für Öl und Kupfer gute Inflationsindikatoren sind. Erdöl bewegte sich im Rahmen seines hundertjährigen Trendkanals im vergangenen Juli am oberen Ende (siehe Pfeil nächster Chart).
Gestern rutschte der Ölpreis (Crude) wieder unter die 70-Dollar-Marke. Eine ausgeprägte saisonale Schwäche des Ölpreises zwischen Oktober und Februar lässt erwarten, dass sich der Preis für Öl in den kommenden Monaten in Richtung 50-Dollar-Marke bewegen wird. Das bedeutet, dass vom Ölpreis in den kommenden Monaten keine Unterstützung des oben genannten Basiseffekts zu erwarten ist.
Der folgende Chart zeigt, dass sich Kupfer im Rahmen seines Trendkanals bewegt. Auch hier war das obere Ende des Trendkanals Mitte 2008 erreicht.
Seit Jahresbeginn 61,8% seiner Abwärtsbewegung gutgemacht. Auf dem Tageschart – hier nicht erkennbar – lauern wichtige Widerstände. Die Frage, die sich diejenigen, die eine Hyperinflation auf USA zukommen sehen, beant-worten müssen, ist die folgende: Kann es dem Ölpreis gelingen, aus seinen Langfrist-Trendkanal nach oben zu überwinden? Kann beispielsweise die 1000-Dollar-Marke angelaufen werden? Schafft Kupfer das gleiche Kunststück? Eine Hyperinflation ohne deutlich steigende Rohstoffpreise (in US-Dollar) ist schlichtweg nicht vorstellbar.
Betrachtet man die Entwicklung der US-Inflationsrate seit 1900 (prozentuales Wachstum der CPI gegenüber dem Vorjahresmonat) mit Hilfe eines langfristigen gleitenden Durchschnitts, so ist zu erkennen, dass er seit Beginn der 80er Jahre laufende Abwärtstrend weiterhin Bestand hat.
Selbst wenn man für den Zeitraum von 1980 bis heute die Inflationsstatistik von „Shadow Stats“ zugrunde legen würde, würde sich ein – wenn auch nicht so ausgeprägter – Abwärtstrend ergeben.
Fazit: Eine Hyperinflation deutet sich in der Regel Jahre vorher durch steigende Inflationsraten an. In Deutschland stieg die Inflationsrate – im Vorfeld der Hyperinflation von 1923 - bereits seit 1914. Auch in Argentinien und Brasilien gab es lange Vorläufe.
Hingegen zeigt der Inflationstrend in den USA seit fast 30 Jahren nach unten. Erdöl und Kupfer zeigten einen kräftigen Bounce, aber das reicht gerade einmal – in Zusammen-arbeit mit dem Basiseffekt -, die Inflationsrate auf knapp über Null steigen zu lassen. Wir halten die Gefahr einer Doppel-Dip-Rezession mit wieder fallenden Inflationsraten (=trendbestätigend) derzeit für größer als die Gefahr einer Hyperinflation. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
www.wellenreiter-invest.de