"Ich war überzeugt, daß viele die neuen Vorteile verkünden würden, die die Gleichheit den Menschen verspricht, daß wenige es aber wagen würden, auf ihre Gefahren hinzuweisen. Ich lenkte deswegen in der Hauptsache meine Blicke auf diese Gefahren und war nicht feige genug, sie zu verschweigen, nachdem ich sie in aller Deutlichkeit entdeckt zu haben glaubte."
Alexis de Tocqueville
Charles Alexis Henri Maurice Clérel de Tocqueville (* 29. Juli 1805 in Verneuil-sur-Seine; † 16. April 1859 in Cannes) war ein französischer Publizist, Politiker und Historiker. Er gilt als Begründer der vergleichenden Politikwissenschaft. (--->Mehr zu Tocqueville)
Als Tocqueville-Paradox bezeichnet man in der Soziologie das Phänomen, "dass sich mit dem Abbau sozialer Ungerechtigkeiten gleichzeitig die Sensibilität gegenüber verbleibenden Ungleichheiten erhöht".
Die Entmystifizierung von Wahlen
Wahlen haben in der Demokratie nahezu sakralen Charakter, sielegitimieren beliebige Handlungen der Regierung. Doch wie rational sinddie Entscheidungen der Wähler? Was wird ihnen zur Entscheidungvorgelegt? Welche Fragen kommen überhaupt ins Blickfeld der Wähler?
Eine Wahl wirft nicht nur intellektuelle Probleme auf, sie stellt auchethische Fragen. Lassen sich die Ergebnisse einer Wahl moralischrechtfertigen, wenn die Mehrheit der Wähler eine Neidgenossenschaftbildet? Kann die Mehrheit der Versuchung widerstehen, sich auf Kostender Minderheit Vorteile zu verschaffen?
Wer wird im demokratischen Prozeß für Führungsämter ausgewählt?Kommen fachlich kompetente und moralisch vertrauenswürdigePersönlichkeiten an die Macht oder findet systembedingt eine negativeAuslese statt? Kann man von den Wählern erwarten, daß sie kurzfristigVerzicht leisten, um langfristige Vorteile zu erreichen?
"In Europa glauben viele Leute, ohne es zu sagen, oder sagen, ohnees zu glauben, einer der großen Vorteile der allgemeinen Wahl sei, daßsie zur Leitung der Staatsgeschäfte Menschen berufe, die desöffentlichen Vertrauens würdig seien. Das Volk - so sagt man - kannsich nicht selbst regieren, aber es wünscht allezeit aufrichtig dasWohl des Staates, und sein Instinkt verfehlt kaum, ihm die zubezeichnen, die der gleiche Wunsch beseelt und die am geeignetstensind, die Macht innezuhaben."
"Welch langes Studium, welche Fülle von Kenntnissen isterforderlich, um sich eine genaue Vorstellung vom Charakter auch nureines Menschen zu verschaffen! Die größten Geister versagen hierzuweilen, und die Menge sollte mehr Erfolg haben?"
Tocqueville weist darauf hin, "daß die Scharlatanealler Sorten sich so gut auf die Kunst verstehen, dem Volk zu gefallen,seine wirklichen Freunde bei ihm dagegen meistens durchfallen."
"Man darf sich nichts darüber vormachen, daß die demokratischenInstitutionen den Neid im menschlichen Herzen sehr stark entwickelnhelfen... Die demokratischen Institutionen rufen den Gleichheitstriebwach und schmeicheln ihm, ohne ihn doch jemals befriedigen zu können."
"Viele Leute bilden sich ein, diese geheime Neigung der unterenKlassen, die oberen von der Leitung der Staatsgeschäfte möglichstauszuschließen, sei nur in Frankreich wahrzunehmen; das ist ein Irrtum:diese Neigung ist keineswegs französisch, sie ist demokratisch."
"Während die natürlichen Neigungen der Demokratie das Volk dazubringen, die bedeutenden Männer von der Macht auszuschließen, veranlaßteine nicht minder starke Neigung diese Männer, sich der politischenLaufbahn fernzuhalten, in der es so schwer ist, man selbst zu bleibenund voranzukommen, ohne sich billig zu machen."
"Das Volk, umgeben von Schmeichlern, überwindet sich selbst nichtleicht. Wenn man von ihm erreichen will, daß es sich ein Opfer odereine Beschränkung auferlegt, weigert es sich zunächst fast immer,selbst dann, wenn seine Vernunft den Zweck billigt."
Die bevorstehende Bundestagswahl gibt erneut Anlass, darübernachzudenken, ob wir tatsächlich eine Wahl haben oder doch nur zwischenVariationen eines einzigen Prinzips entscheiden können. Ein Video-Kommentar: -->www.steinhoefel.de