Mit Sorge betrachtet Reporter ohne Grenzen (ROG) die sukzessiveVerschlechterung der Situation von Medien und Journalisten in einigeneuropäischen Ländern. Anlässlich der Veröffentlichung der neuenROG-Rangliste zur weltweiten Lage der Pressefreiheit am 20. Oktoberwarnt die Organisation zur Verteidigung der Presse- undMeinungsfreiheit davor, dass Europa seine langjährige Vorbildfunktionverlieren könnte. (Detaillierte Informationen zur ROG-Rangliste sowie zu einzelnen Regionen finden Sie hier.)
„Es ist beunruhigend festzustellen, dassdemokratische Staaten wie Frankreich, Italien oder die Slowakei jedesJahr weitere Plätze in der Rangliste verlieren“, sagte Jean-FrançoisJulliard, ROG-Generalsekretär bei der Vorstellung der Rangliste 2009.„Europa sollte eine Vorreiterrolle bei der Gewährung von bürgerlichenFreiheiten spielen. Wie können europäische Staaten Verstöße gegen diePressefreiheit in der Welt verurteilen, ohne sich auf dem eigenenTerritorium vorbildlich zu verhalten? Pressefreiheit muss überall inder Welt mit der gleichen Energie und Beharrlichkeit verteidigtwerden“, forderte Julliard.
So hat beispielsweise Frankreich(43.) im Vergleich zum vergangenen Jahr acht Ränge verloren, Italien(49.) ist um fünf Plätze abgestiegen und die Slowakei (44.) sogar um 37Plätze abgerutscht. Auch Bulgarien (68.) zeigt einen Abwärtstrend.Dieses Mal ist das südosteuropäische Land um weitere neun Rängegefallen und bleibt damit Schlusslicht unter den EU-Staaten. DerEU-Beitrittskandidat Türkei sinkt um 20 Plätze im Ranking und stehtdamit auf Rang 122.
Damit werden eine Reihe von EU-Staaten indiesem Jahr von Staaten mit parlamentarischem System in Afrika – Mali(30.), Südafrika (33.) und Ghana (27.) – sowie in Lateinamerika –Uruguay (29.) und Trinidad und Tobago (28.) – überholt.
Ineinigen europäischen Ländern sind Medienmitarbeiter auch vorkörperlichen Angriffen nicht sicher: In Italien sind mafiöse Gruppenund in Spanien (44., vorher 36.) die ETA für Gewalt und Drohungen gegenMedienvertreter verantwortlich. Auch auf dem Balkan dokumentierte ROGFälle von Gewalt gegen Journalisten: So wurde beispielsweise inKroatien (78.) der Eigentümer und Marketing-Direktor derWochenzeitschrift „Nacional“ bei einem Bombenattentat getötet.
Trotzbedeutender Abwärtsbewegungen besetzen europäische Staaten weiterhindie Mehrheit der ersten 20 Plätze. Deutschland steht in diesem Jahr aufPlatz 18 (2008: 20): Als kritisch bewertet wurde unter anderem das imvergangenen Januar in Kraft getretene BKA-Gesetz, das demBundeskriminalamt die Möglichkeit der Durchführung vonOnline-Durchsuchungen und Überwachung der Telekommunikation einräumt.Negativ ins Gewicht fielen auch Tendenzen der Pressekonzentration, derimmer noch unzureichende Zugang zu öffentlichen Informationen sowievereinzelte Fälle von körperlichen Übergriffen auf Journalisten.
Beider Betrachtung der Entwicklung außereuropäischer Staaten falleninsbesondere die großen Rangverluste des Irans sowie Israels ins Auge:Der Iran (172.) gehört zu den Schlusslichtern auf der Liste, hinter ihmfolgen nur noch Turkmenistan (173.), Nordkorea (174.) und Eritrea(175.) – alle drei Staaten belegten bereits im vergangenen Jahr diehintersten Ränge. In Eritrea werden immer noch keine unabhängigenMedien zugelassen. Nach neuen Festnahmen von Journalisten im Februar2009 hat sich die Lage in dem ostafrikanischen Land weiter verschärft.
Israelverzeichnet einen Absturz um 47 Positionen und liegt nun auf Platz 93.Dahingegen konnten sich die Vereinigten Staaten (20.) in diesem Jahr um16 Plätze verbessern.
Iran unter den Schlusslichtern
Repressionen,Drangsalierungen und Schikanen haben sich für iranische Journalistenund Journalistinnen in diesem Jahr extrem verschärft: Durch dieumstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist das Landin eine tiefe Krise gestürzt. Gleichzeitig verfestigte sich dieParanoia des Regimes gegenüber Medienmitarbeitern und Bloggern.
WachsendeSelbstzensur, staatliche Überwachung von Medien, Misshandlungen sowieillegale Festnahmen und Verhaftungen durch Polizei undSicherheitskräfte und eine größer werdende Zahl von Journalisten aufder Flucht – so stellt sich die Lage der Medienfreiheit zur Zeit imIran dar. Die islamische Republik hat deswegen weitere sechs Plätzeverloren.
Israel: Nachrichtenkontrolle während des Gaza-Kriegs
IsraelsMilitäroperation „Gegossenes Blei“ im Gazastreifen im Dezember 2008 undJanuar 2009 beeinträchtigte auch die Lage der Medien und Journalistenin Israel selbst: Infolgedessen führt das Land nicht länger die Gruppeder Staaten des Nahen Ostens / Nordafrika an und steht hinter Kuweit(60.) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (86.). Nicht nur bei derBerichterstattung aus Palästinensischen Gebieten hat Israel scharfeRestriktionen verhängt. Die Militärzensur bedroht die journalistischeBerichts- und Recherchefreiheit auch im eigenen Land. ROG hat zudemeine Reihe von Festnahmen dokumentiert – einige von ihnen eindeutigungesetzlich.
„Obama-Effekt“ bringt USA unter die „Top 20“
DieVereinigten Staaten haben es in diesem Jahr unter die ersten 20 Staatenauf der Rangliste geschafft. Der neue politische Kurs nach BarackObamas Amtsantritt im Januar 2009 ist eine Ursache für dieseEntwicklung. So ist die Zahl der Fälle von Verletzungen desQuellenschutzes im Namen der nationalen Sicherheit zurückgegangen.Zudem gibt es ernst zu nehmende Bemühungen, den Zugang zu öffentlichenInformationen zu verbessern.
Ein anderes Bild ergibt sichjedoch in Betrachtung US-amerikanischer Auslandseinsätze (siehePosition 108 auf der Rangliste „außerhalb der USA“). So ist das Landweiterhin in zwei Kriege involviert: Die Haltung US-amerikanischerMilitär- und Sicherheitsbehörden gegenüber Medien im Irak undAfghanistan bleibt besorgniserregend. ROG dokumentierte in beidenLändern Übergriffe von Journalisten durch das US-Militär sowie mehrereFestnahmen von Pressevertretern.
Zur Erstellung der Rangliste
Fürdie Rangliste wurden Verstöße gegen die Pressefreiheit genauso wieBemühungen der Staaten, dieses Menschenrecht umzusetzen im Zeitraum vonSeptember 2008 bis Ende August 2009 berücksichtigt.
Anhand einesFragebogens wurden hierzu unsere Partner-Organisationen, unserKorrespondenten-Netzwerk sowie Journalisten, Rechercheure, Juristen undMenschenrechtler in den jeweiligen Ländern befragt.